Nur gemeinsam können wir die Klimawende schaffen.Bild: www.imago-images.de / imago images
Klima & Umwelt
Was wäre, wenn es in den ewigen Diskussionen rund um die Klimakrise nicht mehr um Vorwürfe gehen würde?
Etwa darum, dass Julia Leon rein gar nichts darüber erzählen darf, wie das funktioniert mit dem Klimaschutz – schließlich ist Julia erst letztes Jahr nach Thailand geflogen. Was für eine Heuchlerin.
Oder darum, dass Luise ihre Eltern nicht darauf hinweisen darf, dass sie statt des Autos doch lieber einmal Bus und Bahn oder das Fahrrad nutzen sollten. Denn Luise geht ja selbst gern bei H&M und Zara shoppen.
Könnten wir nicht endlich wieder friedlich gemeinsam auf der Familienfeier zusammensitzen? Und wirklich über die Klimakrise sprechen – und vor allem darüber, wie wir das Schlimmste noch abwenden können?
Ja, könnten wir.
Unser Leben könnte so viel einfacher sein.
So viel hoffnungsvoller.
So viel friedlicher – und vor allem: so viel besser.
Weil es nämlich in erster Linie rein gar nicht darum geht, wer noch Kaffee aus dem To-Go-Becher trinkt oder ein Verbrenner-Auto fährt. Sondern um etwas viel Größeres. Etwas, das wir nur gemeinsam bewältigen können.
Das jedenfalls schreibt Gabriel Baunach in seinem kürzlich erschienenen Buch "Hoch die Hände Klimawende – Warum wir mit der Holzzahnbürste nicht die Erderwärmung stoppen – und wo unsere wirklichen Hebel sind" (EMF Verlag, 18 Euro).
Gabriel Baunach beschäftigt sich seit Jahren damit, wie die Klimawende gelingen kann. bild: laura kirst
So wirst du zum Multiplikator beim Klimaschutz – und fühlst dich besser
Diese Hebel liegen Baunach zufolge nicht in erster Linie in unserem CO2-Fußabdruck (der übrigens von den größten Klimasündern überhaupt erfunden wurde – den fossilen Unternehmen), sondern in unserem sogenannten Klima-Handabdruck.
Damit meint er, dass es für die Klimawende am wichtigsten sei, strukturelle Veränderungen der Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens zu verändern. Denn mit solchen Hebeln würden wir nicht nur unser eigenes Verhalten klimafreundlicher und damit CO2-sparender gestalten, sondern im besten Fall auch das vieler anderer Menschen.
Ein Beispiel gefällig?
In Jans Uni-Mensa essen täglich tausend Studierende zu Mittag. Von den täglich fünf angebotenen Gerichten ist nur eines vegetarisch – es ist meist teurer als die Fleischgerichte und wird obendrein nur an der hintersten Essensausgabe angeboten. Die Folge: Nur die wenigsten Studierenden essen vegetarisch. Gemeinsam mit Kommiliton:innen schließt Jan sich zusammen und startet eine Unterschriftenaktion.
Mit Erfolg: Künftig werden zwei vegetarische und ein veganes Gericht angeboten. Und das zum günstigeren Preis als die zwei verbleibenden Fleischgerichte. Und tatsächlich – schon kurze Zeit später essen statt ehemals 200 plötzlich 500 Menschen vegetarisch oder vegan.
Statt Hack-Bolognese gibt es künftig Soja-Bolognese zum Mittagessen – und das zum günstigeren Preis.Bild: dpa-Zentralbild / Monika Skolimowska
Mit seiner Unterschriftenaktion sorgt Jan dafür, dass rund 60 Tonnen Treibhausgase eingespart werden – weil er es tausend Studierenden leichter gemacht hat, eine klimafreundlichere Entscheidung zu treffen. Und das nicht einmalig, sondern Jahr für Jahr. Damit wird in einem Jahr so viel CO2 eingespart, wie Jan mit seinem Lebensstandard in sechs Jahren verursacht, führt Baunach aus.
Anderes Beispiel: Weil Anne Solaranlagen für das Unternehmen erkämpft, in dem sie arbeitet, werden hunderte Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Denn plötzlich produziert das Unternehmen die Energie, die ehemals aus fossilem Strom bezogen wurde, klimaneutral selbst.
"Mit unserem Klima-Handabdruck haben wir die Möglichkeit, tatsächlich dazu beizutragen, die Welt Stück für Stück klimafreundlicher und besser zu machen."
Seine Botschaft ist klar: Selbst, wenn du vegan lebst, nur Secondhand-Klamotten kaufst, Ökostrom beziehst, nur Bus, Bahn und Fahrrad fährst, niemals in den Urlaub fliegst und außerdem nur regional und saisonal auf dem Markt und im Unverpackt-Laden einkaufst, kannst du nur einen Bruchteil der Emissionen einsparen, die Jan durch seine einfache strukturelle Veränderung angestoßen hat. Dazu kommt noch, dass diese Umstellung dazu führt, dass künftig jedes Jahr wieder 60 Tonnen CO2 eingespart werden – ohne, dass Jan auch nur einen Finger dafür krümmen müsste.
Willst du hingegen deinen eigenen CO2-Fußabdruck verkleinern, ist das Jahr für Jahr wieder mühsam, weniger effektiv und außerdem frustrierend. Denn selbst, wenn du jedwede Strapaze auf dich nimmst und tust, was du kannst, wirst du es vermutlich nicht schaffen, deinen Fußabdruck um mehr als fünf Tonnen CO2 zu reduzieren.
Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein – und bei Weitem nicht mehr ausreichend, um die existenzielle Klimakrise zu lösen.
Gute Lösungen statt schlechtes Gewissen: So packen wir die Klimakrise an
Mit unserem Klima-Handabdruck aber haben wir die Möglichkeit, tatsächlich dazu beizutragen, die Welt Stück für Stück klimafreundlicher und besser zu machen. Einfach, indem wir es so vielen Menschen wie möglich einfacher, günstiger oder gesellschaftlich attraktiver machen, CO2-sparender zu leben. Oder, indem wir gar dazu beitragen, dass es gesetzliche Änderungen gibt.
Baunach nennt insgesamt vier Bereiche unseres Lebens, in denen wir solche Hebel bewegen können:
- Im privaten Kontext – also in der Familie, bei Freund:innen oder durch Geldanlagen.
- Im Job – also im Kreis der Kolleg:innen, gegenüber Führungskräften oder mit neuen Produkten und Dienstleistungen bei Kund:innen.
- In der Gesellschaft – durch ehrenamtliches Engagement, Spenden, in der Schule, Uni oder Ausbildung.
- In der Politik – durch Wahlen, Petitionen, Demonstrationen, Gespräche mit Politiker:innen oder Gerichtsklagen.
Und das Beste an der Sache: Jede:r von uns, abhängig von den Lebensumständen, habe die Möglichkeit, sich kollektiv für die gesamtgesellschaftliche Klimawende einzubringen.
Voraussetzung für die großen Veränderungen: Wir kämpfen nicht allein, sondern gemeinsam. Hand in Hand. Schließlich, so schreibt Baunach, gehe es beim Klima-Handabdruck fast immer darum, gemeinsam mit Menschen auf Menschen einzuwirken.
Hoch die Hände, Klimawende, EMF-Verlag, 18 Euro.
Welche Möglichkeiten wir im Speziellen haben und wie es gelingen kann, sich nicht an Nichtigkeiten aufzuhängen, erläutert Baunach charmant und in bildhafter Sprache.
"Lasst uns einander nicht gegenseitig länger als Heuchler:in beschimpfen, nur, weil wir in einer nicht-nachhaltigen Welt nicht alles perfekt machen."
Dabei nimmt er auch sich selbst auf die Schippe und berichtet von seinem eigenen Hadern, seinen Ängsten – und schließlich den überwiegenden motivierenden Gefühlen. Denn anstatt weiter endlos viel Energie in Konsumentscheidungen wie etwa den Kauf einer Bambuszahnbürste oder regionaler Tomaten zu stecken, fokussiert er sich darauf, seinen Klima-Handabdruck zu vergrößern – und damit unsere Strukturen zu verändern.
Dieses Buch ist nicht nur eine Lese-Empfehlung für jene, die bei all den schlechten Nachrichten morgens am liebsten gleich wieder die Bettdecke über den Kopf ziehen würden. Dieses Buch ist auch ein Appell an uns alle: Lasst uns einander nicht gegenseitig länger als Heuchler:in beschimpfen, nur, weil wir in einer nicht-nachhaltigen Welt nicht alles perfekt machen. Sondern lasst uns lieber gemeinsam losziehen – und Politik und Weltkonzernen Feuer unterm Hintern machen.
Denn eines wissen wir mit Gewissheit: Wenn wir jetzt nicht (gemeinsam) anfangen zu kämpfen, wird das nichts mit der Klimawende. Also, hoch die Hände!