Wenn eines in diesem Jahr deutlich geworden ist, dann dieses: Die Klimakrise kennt kein Halten mehr. Vor nichts und niemandem. Das ist an den ewiglangen Listen an Katastrophen mehr als deutlich geworden.
Sollte man zumindest meinen.
Denn ganz gleich, wo auf der Welt sich Überschwemmungen, Brände oder anderweitige Tragödien ereigneten, überall zeigten sich Politiker:innen – auch in Deutschland – sogleich bestürzt.
Im ersten Moment könnte man meinen, erleichtert aufatmen zu können. Endlich – die Politik scheint begriffen zu haben, dass es zwischen den Katastrophen, der Klimakrise und ihrer Politik einen Zusammenhang gibt. Aber nichts da: Für bestürzte Bekundungen reicht es, mehr aber auch nicht.
Denn anstatt sich die Katastrophen und die eigene politische Wirkmacht zu Herzen zu nehmen – und wirklich etwas gegen die Erderhitzung zu unternehmen – passiert das genaue Gegenteil.
Die Klimapolitik wird mit Füßen getreten.
An diesem Freitag nämlich hat der Bundestag erstmals über einen Gesetzentwurf der Ampel-Regierung zur Änderung des Klimaschutzgesetzes beraten. Im Anschluss geht es in die parlamentarischen Beratungen.
Das Entsetzen und die Empörung über die Änderungen des Klimaschutzgesetzes ist bei vielen groß. Denn die sogenannte "Änderung" ist nichts weiter als eine Abschwächung des Gesetzes. Bam – in your face!
2019, noch unter der Großen Koalition mit Kanzlerin Angela Merkel, wurden die Klimaziele Deutschlands im Klimaschutzgesetz erstmals verbindlich festgehalten. Ein riesiger Fortschritt in der Klimapolitik.
Der Grund: Für jedes Ministerium wurde eine zulässige Jahresmenge an Emissionen festgelegt, die in dem entsprechenden Sektor bis 2030 ausgestoßen werden darf. Verfehlte ein Ministerium seine Emissionsziele, wurde es getadelt und musste binnen kurzer Zeit ein Klimaschutzsofortprogramm vorlegen, um das Ziel doch noch zu erreichen.
Verbindlich und ohne Widerrede. Schließlich ist ein Gesetz ein Gesetz und gilt gleichermaßen für alle.
Und wie sollte es anders sein? Natürlich verfehlte das Verkehrsministerium unter der Leitung von Minister Volker Wissing (FDP) auch 2022 sein Klimaziel. Zweites Sorgenkind neben dem Verkehrssektor: der Bereich Gebäude. Doch anstatt dass Scholz seine Minister:innen tadelte und dazu aufforderte, schnell ein Sofortprogramm vorzulegen, wie die Ziele doch noch erreicht werden könnten, geschah: nichts.
Stattdessen wurde kurzerhand beschlossen, die Sektorziele einfach aufzuheben. Quasi als nette Geste für Minister Wissing. Wie bei einem Schulkind, das eine schlechte Mathe-Note mit nach Hause bringt. Anstatt es zu schimpfen und zu sagen, es solle zusehen, dass es den Stoff versteht, wird es in Watte gepackt und sogar noch gelobt. So auch Volker Wissing, der vom selbsternannten Klimakanzler Olaf Scholz (SPD) mit überschwänglichen Worten bestärkt wurde: "Herr Wissing ist ein sehr, sehr guter Verkehrsminister."
Jo. Das wäre direkt nach dem Reißen der Sektorziele und der fortwährenden Bevorzugung von Autos gegenüber Bus und Bahn, der Ablehnung eines Tempolimits und sogar dem Blockieren eines EU-Kompromisses zu Verbrennungsmotoren das nächste, das mir in Bezug auf unseren Verkehrsminister eingefallen wäre. Nicht.
Ich würde lachen, wenn die Sache nicht so bitter ernst wäre. Aber das ist sie. Leider.
Doch Politik wäre nicht Politik, wenn der Kanzler und seine Minister:innen es nicht schaffen würden, die Abschwächung des Klimaschutzgesetzes als etwas Positives zu verkaufen. Denn eigentlich, so erläuterte Scholz bereits vor einigen Monaten, habe man das Klimaschutzgesetz nur "weiterentwickelt", nicht abgeschwächt. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und sagte: "Der Stillstand der letzten Jahrzehnte ist vorbei. Jetzt kommt Tempo in Deutschland."
Schön wäre es.
Die Sache ist nur die: Schon mit dem bestehenden Gesetz (samt der Sektorziele) verfehlt die Bundesregierung ihre Klimaziele bis 2030. Eigentlich, so betonen der Expertenrat der Bundesregierung, Umweltverbände, Forschende und Klimabewegungen immer und immer wieder, müsse die Ampel mit weitreichenderen Maßnahmen nachsteuern.
Stattdessen nimmt die Regierung einfach den Handlungsdruck raus. Nimmt sich aus der Verantwortung. Und versteckt sich stattdessen hinter dem Vorgehen anderer Länder: Denn auch in Großbritannien, Finnland oder Schweden wurden gesetzlich CO2-Gesamteinsparungen vereinbart. Jahresgenaue, verbindliche Sektorziele aber gibt es auch dort nicht.
Sollte uns das jetzt also die Sorgen nehmen?
Nein, ganz im Gegenteil. Die derzeitigen Entwicklungen in der Klimapolitik bewegen sich in eine gänzlich falsche Richtung. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Schweden, wo das Klimabudget gekürzt wird, oder in Großbritannien, wo Klimaziele einfach aufgeweicht werden.
Die Klimapolitik beginnt zu bröckeln. Und mit ihr das Fundament unserer Demokratie. Unseres Daseins.
Wie viele Überschwemmungen, Brände und Hitzetote muss es noch geben, damit die Politik endlich versteht, worum es in der Klimakatastrophe geht?
Es ist nicht der Schein, der zählt. Sondern das, was wirklich ist. Und getan wird. Mit jeder abgeschwächten Klimaschutzmaßnahme und jedem zehntel Grad mehr wird sich die Erde weiter aufheizen, wird es mehr Katastrophen und mehr Tote geben.
Die Politik hat die historische Chance, die Klimawende noch zu schaffen.
Wer also wären wir, uns mit leeren Worthülsen zu begnügen? Jetzt ist nicht die Zeit, aufzugeben. Jetzt ist die Zeit, aufzustehen und zu schreien: Verarschen könnt ihr euch allein. Wir wollen wahre Klimapolitik.