170 Beamte waren bei der Razzia gegen die Letzte Generation an diesem Mittwoch laut Polizei bundesweit im Einsatz.Bild: dpa / Christoph Soeder
Meinung
24.05.2023, 16:0224.05.2023, 17:40
Ein paar Mal tauchte das Wort in den vergangenen Wochen und Monaten bereits in den Schlagzeilen auf – mit einer ähnlichen Wucht wie heute: Razzia.
Die letzten Male ging es um die Reichsbürger. Auch bei ihnen wurden Durchsuchungen durchgeführt. Nachdem sie einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. An diesem Mittwochmorgen gab es wieder Berichte über eine Razzia. Dieses Mal gegen die Letzte Generation. War das wirklich nötig?
Es war eine deutschlandweite Razzia. 15 Objekte in sieben Bundesländern wurden durchsucht. 170 Beamt:innen waren laut Polizei im Einsatz.
Der Grund? Aktuelle Ermittlungen gegen sieben Beschuldigte. 22 bis 38 Jahre sollen sie alt sein. Ihnen wird die Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Es hätten zahlreiche Strafanzeigen aus der Bevölkerung zu den Untersuchungen geführt.
So viel zu dem, was passiert ist. Und jetzt mal Klartext: Die Bürger:innen sind genervt. Okay. Das verstehe ich. In deutschen Großstädten blockiert die Letzte Generation seit Monaten immer wieder Straßen. Fridays for Future, über die sich viele in deren Anfangszeiten aufgeregt haben, wirken dagegen wie brave Musterschüler:innen. Und ganz ehrlich? Würde ich im Stau stehen, weil sich Aktivist:innen irgendwo vor mir auf der Straße festgeklebt haben, ich wäre auch genervt. Und wie.
"Die Letzte Generation hat keinen Umsturz geplant, wie die Reichsbürger:innen. Sie versucht, die Klimakrise abzuwenden."
Trotzdem – drei Gedanken dazu.
Zuerst mal: Wie genervt werden Bürger:innen sein, sollten die Konsequenzen der Klimakrise auch für uns deutlicher spürbar werden? (Lasse ich jetzt einfach mal so stehen.)
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Dann: Egal, wie genervt ich wegen Straßenblockaden sein kann. Die gleichen Mittel anzuwenden wie bei Reichsbürger:innen, das ist unverhältnismäßig. Straßenblockaden sind friedlicher Protest. Und kein Terror. Und auch die Motivation beider Gruppen geht doch in ganz unterschiedliche Richtungen. Die Letzte Generation hat keinen Umsturz geplant, wie die Reichsbürger:innen. Sie versucht, die Klimakrise abzuwenden. Sie will die Politik durch ihre Aktionen dazu bringen, die selbst beschlossenen Klimaschutzziele umzusetzen. Und das ist gut.
Denn zu echten Durchbrüchen in der Klimapolitik in Deutschland kommt es leider nicht. Über das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird seit Wochen gestritten, ohne dass sich was tut.
Polizisten tragen während der Razzia gegen die Letzte Generation in Berlin-Kreuzberg einen Karton weg.Bild: dpa / Christoph Soeder
Und schließlich der Gedanke: Eine Razzia führt zu nichts. Sie macht die Situation, die kompliziert genug ist, nur noch schlimmer, befürchte ich. Ich weiß nicht, wann eine Bewegung zuletzt so sehr polarisiert hat wie die Letzte Generation. Für die einen sind sie Held:innen, für andere Kriminelle. Wissenschaftler:innen erklären sich öffentlich solidarisch. Aber, klar. Es geht auch anders. Und ich meine nicht Autofahrer:innen, die sich gegenüber Klimaaktivist:innen aggressiv verhalten.
"Warum braucht es diese Aktionen überhaupt? Sprich: Warum checkt die Bundesregierung nicht selbst, dass sie die Klimaziele besser einhalten sollte?"
Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz hat gerade gegenüber Schüler:innen in Brandenburg erklärt, er finde die Straßenblockaden "völlig bekloppt". Die Reaktion der Letzten Generation: Klimaaktivist:innen haben die SPD-Parteizentrale in Berlin mit Farbe beschmiert. Ist natürlich auch nicht klug. Leider.
Klimaaktivist:innen in dieser Woche vor der SPD-Parteizentrale in Berlin, die sie mit Farbe beschmiert haben.Bild: TNN / Sven Käulen
Denn ändern wird Olaf Scholz seine Meinung deshalb sicher nicht. Dabei sind die Forderungen der Letzten Generation ja nach wie vor nicht falsch. Im Gegenteil. Noch mal: Sie verlangt von der Bundesregierung lediglich, umzusetzen, was sie selbst versprochen hat – nämlich das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Und die eigentliche Frage ist doch: Warum braucht es diese Aktionen überhaupt? Sprich: Warum checkt die Bundesregierung nicht selbst, dass sie die Klimaziele besser einhalten sollte?
"Deutlicher als heute Morgen bei der Razzia konnte der Staat gegenüber der Letzten Generation als Gegner gar nicht auftreten. Und das halte ich für falsch."
Und auch viele der geforderten Maßnahmen von der Letzten Generation sind richtig: Die Gruppe will ein 9-Euro-Ticket, einen sogenannten Gesellschaftsrat, der Maßnahmen für die Klimapolitik erarbeiten soll, und ein Tempolimit von 100 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Das alles ist nicht sonderlich radikal. Aber all das würde uns weiterbringen.
Deshalb verstehe ich ehrlich einfach nicht, warum die Politik diese Front überhaupt aufmacht. Warum sie zulässt, dass sie als Gegenpol, oftmals sogar als Gegner der Letzten Generation wahrgenommen wird. Deutlicher als heute Morgen bei der Razzia konnte der Staat gegenüber der Letzten Generation als Gegner gar nicht auftreten. Und das halte ich für falsch.
Die ersten Reaktionen auf die Razzia gehen allerdings in eine deutlich andere Richtung: Die Deutsche Polizeigewerkschaft lobt die Durchsuchungen. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates", sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt. Das klingt nach: Endlich wird die Letzte Generation bestraft für ihr Verhalten. Wie ungezogene Schüler:innen, die von einem strengen Lehrer gemaßregelt werden.
Aimee van Baalen (r.), Sprecherin der Letzten Generation, und Journalist:innen auf der Pressekonferenz in Berlin.Bild: dpa / Christoph Soeder
Aber – und das ist nur eine Überlegung: Was ist eigentlich, wenn gar nicht die Aktivist:innen die Schüler:innen sind und der Staat die Lehrer:innen? Könnte es nicht auch sein, dass es genau andersrum ist – und wir Bürger:innen und die Politiker:innen die sind, die gemaßregelt werden müssen? Vielleicht macht die Letzte Generation genau das gerade mit ihren Aktionen.
Wer weiß, wie wir in zehn oder 20 Jahren über die Straßenblockaden denken: Vielleicht sind die Klimaaktivist:innen, die Kriminellen von heute, ja tatsächlich die Held:innen von morgen?
Dass ausgerechnet eine Razzia uns in der Sache jetzt weiterbringen soll, kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Mir geht das zu weit.
Am 15. März 2019 fand der erste globale Klimastreik statt, organisiert von Fridays for Future. Damals nahmen in 135 Ländern knapp 2,3 Millionen Menschen teil und gingen für mehr Klimaschutz auf die Straßen.