Der Streit über eine Bahn-Schnellstrecke zwischen dem Bund und Niedersachsen entlang der A7 ist nach Jahrzehnten vom Tisch: Der geplante Neubau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover soll vorerst nicht kommen – und gefährdet so den sogenannten Deutschlandtakt im Norden.
Mit dem Deutschlandtakt nach Schweizer Vorbild soll der bundesweite Bahnverkehr auf einen Taktfahrplan umgestellt werden. Das soll das Bahnfahren für die Fahrgäste zuverlässiger und planbarer machen und auch den Umstieg zwischen zwei Zügen erleichtern. Dafür sollen die Züge jede Stunde in jede Richtung zur selben Minute fahren. Fernzüge in einem Takt von 60 Minuten und auf Hauptverkehrsadern, also zwischen den großen Städten, sogar alle halbe Stunde.
Doch dieser Traum ist wohl erst einmal ausgeträumt.
Wie die "FAZ" berichtete, soll im Norden zunächst einmal die deutlich langsamere Bestandsstrecke über Lüneburg ausgebaut werden. Dafür soll die für 2026 geplante Generalsanierung der Bestandsstrecke um einen Ausbau erweitert und auf 2029 geschoben werden. Damit kommt der Bund den Interessen des Landes Niedersachsen entgegen, das den angestrebten Neubau einer Trasse entlang der A7 ablehnt.
Bei Fridays for Future sorgt die erneute Absage an die Verkehrswende für Unmut. "Es ist 2023, der Verkehrssektor reißt seine Klimaziele und Wissing sowie Lars Klingbeil fällt nichts Besseres ein, als den Neubau einer Bahnstrecke zu verhindern", twittern die Aktivist:innen beim Kurznachrichtendienst X.
Sie ergänzen:
Auch Luisa Neubauer, das bekannteste Gesicht der deutschen Klimabewegung, äußert sich ernüchtert über die erneute Absage an eine mögliche Kehrtwende der Politik. "Grüne Transformation, ja, aber nicht bei mir zu Hause", schreibt sie beim Retweeten des Posts von Fridays for Future und liefert dazu auch weitere Beispiele:
"Das sagt die Bayern-CSU, wenn sie Stromtrassen boykottiert, das sagt die Niedersachsen-SPD, wenn sie den Neubau der ICE-Strecke blockiert."
Der "Klima-NIMBYismus der Politik" sei real, überall und zu 100 Prozent verantwortungslos, schreibt Neubauer weiter.
"Nimby" steht wortwörtlich für "not in my backyard", also nicht in meinem Garten. Das bedeutet sinngemäß: "Sollen doch erstmal die anderen". Tatsächlich existiert der Begriff, der in Großbritannien schon zu einer gesellschaftlichen Kategorie geworden ist, auch in Deutschland bereits seit den frühen achtziger Jahren.
Damals wie heute bezieht er sich meist auf konkrete, lokale Einrichtungen oder Bauten, die die Menschen zwar an sich befürworten, aber eben bitte nicht in Sichtweite. Um beim Thema Klimaschutz zu bleiben, etwa bei Strommasten, Windrädern oder Bahntrassen.
Um ihren Punkt zu verdeutlichen, schreibt Neubauer weiter:
Damit spielt Neubauer unter anderem auf den vierstreifigen Neubau der A20 im nordwestlichen Niedersachsen an, dem "vordringlicher Bedarf" zugeschrieben wurde. Heißt: Er rangiert in der höchsten Dringlichkeitsstufe. Und das, obwohl dieser Abschnitt der Autobahn aus Klimagesichtspunkten stark umstritten ist.
Der Grund: Die geplante Trasse, die auch als "Küstenautobahn" bezeichnet wird, führt zu etwa 80 Prozent durch Moor- und Marschböden. Das Problem: Moore speichern mehr Kohlendioxid als jedes andere Ökosystem der Welt – und nirgends in Deutschland ist so viel CO₂ gespeichert, wie im Nordwesten Niedersachsens, wo sich die tiefsten Moorböden Deutschlands befinden.
Oder die Inbetriebnahme des Erdgaskraftwerks Irsching 6 in Bayern, das Bayerns Wirtschaftsminister Huber Aiwanger zufolge notwendig für ein stabiles Stromnetz ist.
Klimaaktivistin Neubauer macht durch ihre Aufzählung deutlich, wie rückschrittlich die Politik mit Blick auf die Klimakrise handelt – und dadurch dringend notwendige Fortschritte verwehrt.