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Deutsche Bahn: ARD-Show deckt lebensgefährliche Zustände auf – DB reagiert

Störung auf Bahnstrecke Hamburg Berlin Evakuierung ICE 703 im Ort Strohkirchen nach technischem Defekt am Zug alle Fahrgäste mussten in den aus Hamburg planmäßig fahrenden ICE 507 im Ort Strohkirchen  ...
In Zügen der Deutschen Bahn kommt es offenbar vor allem im Sommer zu teils lebensgefährlichen Situationen. Bild: imago images / Chris Emil Janßen
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Deutsche Bahn: ARD-Sendung deckt lebensgefährliche Zustände auf

25.08.2023, 21:03
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Wer bei hohen Temperaturen schon einmal in einem geparkten Auto saß, weiß, wie schnell es darin richtig heiß werden kann. Nicht umsonst wird immer wieder davor gewarnt, Kinder oder Tiere im Auto zu lassen. Selbst bei milderen Temperaturen.

Was aber, wenn man mit Hunderten anderen in einem Zug sitzt, der plötzlich nicht mehr weiterfährt, und man diesen nicht verlassen kann? Genau das ist zahlreichen Personen in diesem Sommer passiert, wie eine ARD-Recherche aufzeigt. Teils mussten sie stundenlang mit hunderten anderen Passagieren dort verharren. So kam es mitunter zu Situationen, die durchaus kritisch waren. Mehrere Personen kollabierten offenbar.

Missstände bei der Bahn und lebensgefährliche Situationen in Zügen

Wie das Politmagazin "Report Mainz" bei seinen Recherchen herausgefunden hat, steckten auch in diesem Sommer tausende Bahnreisende in Zügen ohne Klimaanlage fest. Teilweise mehrere Stunden lang. Das geht aus internen Protokollen hervor, die dem Recherche-Team vorliegen.

ARCHIV - 17.07.2023, Schleswig-Holstein, Hamburg: ICE-Züge der Deutschen Bahn (DB) stehen im Betriebswerk Stellingen auf den Gleisen. Im Tarifschlichtungsverfahren bei der Deutschen Bahn rechnet die E ...
Reisende berichten von kritischen Zuständen bei Fahrten mit der Bahn. Bild: dpa / Christian Charisius

Darin wird unter anderem ein Zugführer eines ICE zitiert, der an einem Sonntag im Juni stehengeblieben war: "Temperatur im Zug für Fahrgäste nicht mehr auszuhalten. Zwei Fahrgäste sind bereits kurz vor dem Kreislaufzusammenbruch." Die Leitstelle schrieb daraufhin: "Die Lage im Zug ist sehr angespannt und durch das Zugbegleitpersonal nicht mehr beherrschbar."

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Die Journalistin Sabine Kinkartz befand sich zufällig an jenem Sonntag auch im Zug. Sie beschreibt die Situation so: "Und dann drehten sich Leute vor mir um und sagten, da hinten liegt jemand auf dem Boden. Und wenn da jemand kollabiert ist, dann weiß man, das kann dir auch passieren."

800 Personen befanden sich an Bord des liegengebliebenen Zugs. Bis der Zug komplett evakuiert war, dauerte es fünfeinhalb Stunden.

Doch wie konnte es dazu kommen? Und wie oft passiert so etwas?

Dass Züge liegenbleiben, hat mehrere Gründe, wie eine Sprecherin der Deutschen Bahn gegenüber watson erklärt: Sie "reichen von witterungsbedingten Einschränkungen über technische Störungen an der Strecke oder am Zug bis hin zu behördlichen Anweisungen."

Etwa 47 Züge mit Personen an Bord werden im Monat evakuiert

Die Datenlage zur Häufigkeit ist dünn, wie "Report Mainz" im Zuge der Recherchen herausgefunden hat. Denn werden Züge auf offener Strecke evakuiert, sind diese Aktionen nicht meldepflichtig, wie das Eisenbahnbundesamt als zuständige Aufsichtsbehörde bestätigte. Dennoch passiert es immer wieder.

Störung auf Bahnstrecke Hamburg Berlin Evakuierung ICE 703 im Ort Strohkirchen nach technischem Defekt am Zug alle Fahrgäste mussten in den aus Hamburg planmäßig fahrenden ICE 507 im Ort Strohkirchen  ...
Bild: imago images / Chris Emil Janßen

Die Deutsche Bahn AG aber teilt gegenüber watson mit, dass 0,004 Prozent der Fahrten in Evakuierungen enden. Die Zahl wirkt erstmal gering. Doch betrachtet man die Anzahl der täglichen Zugfahrten in Deutschland – es sind um die 39.000 Personenzüge jeden Tag – ergibt sich ein anderer Eindruck. Im Schnitt sind das 1,56 Fahrten am Tag, die auf offener Strecke liegen bleiben, im Monat sind das 47 evakuierte Züge.

Erstickungsgefahr und Lebensgefahr durch Hitze in Zügen

Wie gefährlich das vor allem in den wärmeren Monaten werden kann, zeigt die eben eingangs beschriebene Situation. Vor allem dann, wenn es bis zur Evakuierung länger dauert. Professor Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin kritisiert gegenüber dem ARD-Politikmagazin das Vorgehen der Bahn in einigen Fällen: "Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, dann muss reagiert werden, auch wenn es keine Opfer gab." Gefährlich könne es für die Reisenden vor allem dann werden, wenn auch die Stromversorgung an Bord ausfällt.

Das kann laut Hecht mitunter dramatische Folgen haben:

"Wenn die Lüftung in den Fahrzeugen ausfällt, dann fällt viel CO2 an. Und es besteht tatsächlich Erstickungsgefahr, weil die Fenster sich in den modernen Zügen nicht öffnen lassen und kein Luftaustausch mehr stattfindet. Menschen können dann leicht in Panik geraten."

Doch warum lässt das Bordpersonal in solchen Fällen die Passagiere nicht einfach aussteigen? Aus Sicherheitsgründen. Auch hier könne mitunter Lebensgefahr herrschen, etwa durch einen anderen Zug auf dem Nebengleis oder durch Stromschläge. Die Sprecherin sagt hierzu gegenüber watson:

"Auch bei hohen Temperaturen sind alle Reisenden aus Sicherheitsgründen zunächst angehalten, im Zug zu bleiben, auf Anweisungen zu warten und niemals eigenmächtig auszusteigen. Eine Öffnung der Türen durch das Zugpersonal zur Frischluftzufuhr ist erst nach Sperrung des Gleises erlaubt und möglich. Das eigenmächtige Betreten der Gleise ist in einem solchen Fall lebensgefährlich."

ARD-Bericht zeigt: Notfallmanagement der Bahn funktioniert nicht immer

Deshalb gilt in Deutschland: Bei jeder Zugevakuierung müssen sogenannte Notfallmanager:innen der Deutschen Bahn dabei sein, um solche Folgen zu vermeiden. Die Person schaltet etwa den Strom an der Oberleitung ab und sichert die Gleisanlagen. An sich eine gute Sache. Eigentlich soll sie innerhalb von 30 Minuten vor Ort sein. Denn ohne Notfallmanager:innen dürfen Polizei und Feuerwehr nicht mit der Evakuierung beginnen.

Das ist allerdings nicht immer der Fall, wie "Report Mainz" unter anderem aufgedeckt hat. Oft dauere es deutlich länger, bis Notfallmanager:innen wirklich kommen. Dazu heißt es vonseiten einer Sprecherin der Deutschen Bahn gegenüber watson: "Es gibt keine minutenscharfe Vorgabe, bis wann Mitarbeitende des Notfall- bzw. Störungsmanagements der DB am Einsatzort eintreffen müssen. Dies wäre angesichts von möglichen Straßenstaus realitätsfern." Allerdings gäben interne Richtlinien vor, dass sich die Mitarbeitenden "alsbald und ohne schuldhafte Verzögerung" auf den Weg machen müssen.

Thomas Egelhaaf, Landesbranddirektor und Mitglied im Ausschuss der Innenministerkonferenz zu Feuerwehrangelegenheiten und Katastrophenschutz, kritisiert den Ablauf: "Permanent wird schon der Wunsch geäußert, darauf hinzuwirken, dass diese 30 Minuten, die in den Konzepten drin sind, auch als maximaler Wert angesetzt werden."

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Bleiben Züge auf offener Strecke stehen, kann das unter Umständen gefährlich für die Insassen werden.Bild: Getty Images / iStockphoto / huettenhoelscher

Lebensgefährliche Zustände: Ministerium will "kritikwürdige" Fälle klären

Der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion in Brandenburg, Andreas Büttner, berichtet von einer Häufung der Evakuierungen von Zügen in seinem Bundesland. Er will Aufklärung. Denn: Konkrete Zahlen habe er zwar angefragt, die bekomme er aber nicht. Er schießt scharf gegen die aktuellen Zustände:

"Das zeigt wieder, in welch irren Situationen wir eigentlich sind. Da sind Menschenleben in Gefahr, und niemand meldet irgendetwas. Keiner führt angeblich irgendwelche Statistiken, und keiner ist in der Lage, irgendeine Auskunft zu geben."

Nun will man sich offenbar mit dem Problem auf Bundesebene befassen. So teilte das Bundesverkehrsministerium mit, dass die Aufsicht des Eisenbahnbundesamtes im Rahmen von Verwaltungsverfahren "konkreten, möglicherweise kritikwürdigen Evakuierungsfällen" nachgehe. Allerdings wolle man wegen der laufenden Verfahren keine konkreteren Auskünfte geben.

Die Deutschen Bahn versichert, das Notfallmanagement besser machen zu wollen. "Selbstverständlich arbeiten wir daran, die Abläufe des Notfall- und Störungsmanagements zu optimieren und schulen unser Personal und die Notfallmanager:innen regelmäßig."

Polarforscherin Antje Boetius über die "Liste des Schreckens" der Meere
Die Meeresbiologin Antje Boetius war in den letzten 30 Jahren auf über 50 Expeditionen in den Weltmeeren unterwegs. Doch diese haben sich seitdem stark verändert. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Liebe zu den Meeren und warum sie so wichtig für uns sind.

watson: Frau Boetius, Forschende haben in Studien nachgewiesen, was wir eigentlich längst wissen: Am Meer geht es uns besser. Allerdings geht es den Meeren immer schlechter. Wie genau hängen die Meeresgesundheit und unsere psychische Gesundheit zusammen?

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