Nachhaltigkeit
Interview

Meeresbiologin Antje Boetius über Wichtigkeit der Meere: "Ozean bedeutet Leben"

HANDOUT - 20.09.2023, ---, Arktis: Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, steht neben dem Eisbrecher «Polarstern». Das Meereis in der zentralen Arktis ist in diesem Sommer nicht ganz  ...
Antje Boetius war auf Expedition in der Arktis. Bild: Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath
Interview

Polarforscherin Antje Boetius über die "Liste des Schreckens" der Meere

Die Meeresbiologin Antje Boetius war in den letzten 30 Jahren auf über 50 Expeditionen in den Weltmeeren unterwegs. Doch diese haben sich seitdem stark verändert. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Liebe zu den Meeren und warum sie so wichtig für uns sind.
14.04.2024, 15:04
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watson: Frau Boetius, Forschende haben in Studien nachgewiesen, was wir eigentlich längst wissen: Am Meer geht es uns besser. Allerdings geht es den Meeren immer schlechter. Wie genau hängen die Meeresgesundheit und unsere psychische Gesundheit zusammen?

Es gibt eine Reihe von Forschungsansätzen, die versuchen, herauszufinden, wie wichtig das Meer für uns ist. Da ist die Nahrung aus dem Meer, die Produktion von Sauerstoff durch Algen, die Aufnahme von Wärme durch den Ozean. Aber gerade in Zeiten der Pandemie ist deutlich geworden, wie sehr Menschen Spaziergänge am Wasser für ihre mentale Gesundheit benötigen. Und bei den Meeren erkläre ich es mir so, dass diese Weite, die an den Küsten vorherrscht, mit der Bewegung der Wellen und den Geräuschen des Windes entspannend auf uns wirkt. Das ist aber nur eine persönliche Annahme.

"Ob aus Liebe oder Eigennutz – es geht [beim Schutz der Meere] schon darum, uns selbst und unsere Nachfahren zu schützen."

Wie geht es Ihnen am Meer?

Tatsächlich habe ich mich schon als Kind geborgen gefühlt, wenn ich den weiten Blick auf das Wasser und den unendlichen Himmel hatte, und viel mehr noch beim Schwimmen. Wenn einen die Wellen tragen, einen heben und senken, empfinde ich immer ein ganz besonderes Gefühl des Friedens, der Ruhe und Geborgenheit.

Das finden vermutlich viele Menschen komisch, weil die Meere ja auch arg stürmen können und Angst machen vor Überflutungen oder Sturmfluten. Aber auf mich hat das Meer schon immer eine tiefe Ruhe ausgestrahlt. Selbst im U-Boot fühle ich mich geborgen. Mehr noch: Für mich ist das Abtauchen ein unbeschreiblich erfüllender Moment.

ARCHIV - 27.04.2023, Kanada, Tuktoyaktuk: Antje Boetius, Meeresbiologin und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, steht in Tuktoyaktuk in der Arktis. (Zu dpa "TV-Team begleitet ne ...
Antje Boetius leitet das Alfred-Wegener-Institut.Bild: dpa / Britta Pedersen

Das heißt, wir sollten die Meere allein aus Eigennutz schützen?

Ob aus Liebe oder Eigennutz – es geht schon darum, uns selbst und unsere Nachfahren zu schützen. Die Geschichte der Menschheit ist für die längste Zeit und die meisten Menschen doch die eines Überlebenskampfes, eines Ringens um Gleichgewicht. Von Nahem betrachtet stellt man schnell fest, dass wir nur im Zusammenspiel mit Pflanzen, Tier- und Umwelt, die wir eigentlich Mitwelt nennen sollten, überlebt haben. Also ja: Wenn wir das Klima, die Meere, die Vielfalt des Lebens schützen, ginge es uns langfristig besser.

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Warum sind die Meere denn so wichtig für uns?

Um es mal ganz drastisch zu formulieren: Ohne die Ozeane gibt es kein Leben auf der Erde. Diese Wassermassen, die 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken, nehmen 93 Prozent der Wärme auf und verteilen sie so um, dass wir ein lebensfreundliches Klima haben. Der Ozean nimmt derzeit noch 25 Prozent des CO2 auf, das wir emittieren, und produziert außerdem einen Großteil des Sauerstoffes, den wir atmen.

Es schenkt uns unglaublich viel Nahrung und Materialien – und beherbergt den größten Teil der Lebensvielfalt. Es gibt also eine ganze Reihe von fundamentalen Funktionen des Ozeans, sodass man ganz einfach sagen kann: Ozean bedeutet Leben.

Und wie kann man den Menschen klarmachen, wie viel für sie von den Meeren abhängt?

Ich glaube, die meisten stellen überhaupt nicht in Frage, dass die Ozeane ein essenzieller Teil der Erde sind. Trotzdem fehlt es oft an Wissen, wie sehr unser Alltagshandeln, wie Industrie und Entwicklungsperspektiven der Gesellschaften vom Zustand der Meere abhängen.

Seit über einem Jahr beobachten Wissenschaftler:innen, dass sich die Oberflächentemperatur der Ozeane immer weiter aufheizt. Um ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass den meisten Menschen klar ist, dass die Meere über 90 Prozent der Wärme absorbieren und es ohne sie viel, viel wärmer wäre.

Das stimmt wohl. Daher ist es ja auch ein Ziel der europäischen Mission für den Ozean wie auch der internationalen Ozean-Dekade, dass es ein viel besseres Verständnis der Rolle des Ozeans in unserem Leben braucht. Das Thema sollte schon viel früher in der Schule behandelt werden, in vielen Ländern passiert das auch. Ich war vor Kurzem auf einer kleinen Insel in Polynesien, da haben die Jugendlichen mit dem Lehrer diskutiert, dass ihre Zukunft vom Schmelzen der Gletscher in Grönland abhängt.

"Es gibt eine ganze Liste des Schreckens."

Weil sie die Vehemenz des Ganzen natürlich noch einmal ganz anders erleben…

Ja, Menschen, die auf Inseln und an Küsten leben, sind näher dran, haben oft über Generationen Erfahrungen mit dem Meer und auch Extremwettern gesammelt.

Sie forschen seit 30 Jahren zur Tiefsee und waren bereits auf über 50 Expeditionen. Wie haben sich die Ozeane seitdem verändert?

Wirklich weitreichend, sie sind fast überall wärmer geworden. Am deutlichsten kann man die Veränderungen in den Polarregionen beobachten. Die Arktis erwärmt sich viermal schneller als der Rest des Globus. Dadurch schmilzt das Meereis schnell und stark, wie Satellitenbilder zeigen – mittlerweile auch von der Antarktis. Und in den tropischen Regionen ist es vor allem der Zustand der Korallenriffe, der mich besorgt.

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Durch Hitzewellen in den Ozeanen können Korallen sterben.Bild: imageBROKER / Reinhard Dirscherl

Inwiefern?

Durch die Hitzewellen, Verschmutzung und Übernutzung werden die Korallen gestresst und können absterben. Aber es gibt noch viele weitere Folgen wie toxische Algenblüten, die Überdüngung und Versauerung der Meere, Sauerstoffmangel im Meer, das Absterben von Fischen, die Plastikverschmutzung. Es gibt eine ganze Liste des Schreckens.

Ende 2023 sind Sie von der Expedition mit der Polarstern vom Nordpol zurückgekommen und haben, um die Liste des Schreckens weiterzuführen, davon gesprochen, dass das Eis wie tot war. Ist Eis normalerweise lebendig?

Normalerweise entstehen die Eisschollen, die in das europäische Nordmeer driften, an den Küsten der sibirischen Arktis. Meereis ist Meerwasser, das gefriert. An den Küsten werden dann kleine Partikel wie Sedimente und Algen eingeschlossen – scheint dann die Sonne drauf, fangen die Algen unter dem Eis zu wachsen an. Letztes Jahr allerdings hat sich das Meereis vor allem auf der hohen See vor Kanada gebildet, hatte also keinerlei Kontakt zu den Küsten. Das erklärt, warum die Algenteppiche an der Unterseite des Meereises fehlten – das Eis war also kaum besiedelt, es sah "tot" aus.

Wissen Sie, woran das liegt?

Wirklich gut erklären können wir uns das noch nicht, aber es hängt vermutlich mit einem Wetterphänomen des letzten Jahres zusammen. Die Tiefdruckgebiete hingen länger fest und die Windrichtung hat dann die Eisdrift geändert.

HANDOUT - 23.09.2023, Arktis: Aussicht auf Eis und Meer mit Lichteffekt von der Polarstern aus. Das Meereis in der zentralen Arktis ist in diesem Sommer nicht ganz so stark abgeschmolzen wie erwartet. ...
Das Eis an der Arktis ist dünner – und "wie tot".Bild: Alfred-Wegener-Institut / Esther Horvath

Kann man schon etwas zu den Folgen sagen?

Das ist schwer zu sagen, wir müssen noch viele Daten auswerten. Aber das Fehlen der Algen betrifft natürlich nicht nur das Eis, sondern hat auch Folgen auf das Nahrungsnetz von der Meeresoberfläche bis in die Tiefsee und die Tiere, die diese Algen eigentlich fressen.

Um noch einmal an den Ursprungsgedanken anzuknüpfen, dass die Meere einen großen Einfluss auf unsere Psyche haben: Wie geht es Ihnen, wenn Sie all diese Schreckensnachrichten hautnah miterleben?

Mir hilft Wissen und Verstehen, auch wenn es nicht um gute Nachrichten geht. Die gibt es aber durchaus auch. Es belastet mich dagegen viel mehr, wenn ich mir etwas nicht erklären kann – wie zum Beispiel Kriege, die gerade wieder mehr werden und die so entsetzliche Konsequenzen haben und keinen rechten Ausweg. Was mir auch hilft: durch die Forschung auch Zeithorizonte von Tausenden, Hunderttausenden, Millionen von Jahren zu betrachten, was wir Erdsystemforscher ja machen. Dieser Blick auf die langfristigen Prozesse hilft, die menschliche Existenz nicht so im Zentrum von allem zu sehen.

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