Neben allen möglichen Brandherden bei der Deutschen Bahn macht derzeit vor allem ein Thema die Runde. Zwischen Vorstands-Boni und GDL-Streiks poppte die Meldung auf, der Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt steige aus dem Deutschlandticket aus – und sorgte für mächtig Verwirrung.
Wieso können Kommunen eigenständig aus dem Deutschlandticket ausscheiden? Warum zieht sich Stendal zurück? Was bedeutet das für die Zukunft des Deutschlandtickets? Steht es vor dem Aus? Ausgang des Wirrwarrs ist mal wieder das liebe Geld. Die Finanzierung des Deutschlandtickets ist schon länger ein Streitpunkt. Bund und Länder wollen nicht mehr als die von Anfang an vereinbarten 1,5 Milliarden Euro übernehmen – für die Kommunen zu wenig.
Nun hat sich das Bundesverkehrsministerium gegenüber watson zu Stendals Rückzug und der Zukunft des Tickets geäußert.
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) rühmte sich lange im Glanze seines Deutschlandticket-Triumphs. Im Schatten des Erfolgs wurden jedoch die Stimmen vieler Kommunen lauter: Der Vorwurf lautetet: Wissing lasse sie im Stich. Der FDP-Minister hatte das Ticket bundesweit eingeführt, die Finanzierung jedoch nur zur Hälfte dem Bund und den Ländern überlassen. Die restlichen 1,5 Milliarden Euro sollten die Kommunen übernehmen.
Damit nicht genug: Zuletzt wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz im November bestätigt, dass Bund und Länder auch bis einschließlich 2025 jährlich 1,5 Milliarden Euro beisteuern. Mittlerweile, kritisieren viele, entspräche dies aber nicht mal mehr der Hälfte der Kosten. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) prognostizierte schon im September, dass die Kosten für das Ticket 2024 bei vier statt drei Milliarden Euro liegen werden.
Daher stieg der Landkreis Stendal nun aus. Allein in den ersten vier Monaten des Jahres hätte man mit Mehrkosten von 40.000 Euro gerechnet, die der hoch verschuldete Landkreis nicht vertragen könne, hieß es. Das Verkehrsministerium äußerte auf watson-Anfrage dennoch, es könne die Stendaler Entscheidung "nicht nachvollziehen".
Selbstkritik ist vom Ministerium derweil nicht zu vernehmen. Für das Ziel, beim Deutschlandticket keinen Flickenteppich entstehen zu lassen, sieht man dort vor allem die anderen in der Verantwortung:
Wenn die Kommunen sich für das Deutschlandticket jedoch weiter verschulden müssen, wie der Landkreis Stendal, ist das Pflichtbewusstsein für teure Bundesprojekte wohl eher schwach ausgeprägt. Daher müssen dort ab dem 1. Januar auch alle Besitzer:innen des Deutschlandtickets für Fahrten mit dem Bus bezahlen.
Der Wegfall eines einzigen Landkreises aus dem Deutschlandticket wäre für die meisten von ihnen wohl verkraftbar. Dennoch warnte zuletzt unter anderem Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn im MDR, dass ein Nachziehen weiterer Kommunen den "Tod des Deutschlandtickets" bedeuten könnte. Eine andere Sorge ist bei vielen, dass das Ticket in der Konsequenz teurer als 49 Euro werden könnte.
Das Verkehrsministerium äußert auf derartige Szenarien angesprochen mit Optimismus. Es wolle das Thema insbesondere mit Sachsen-Anhalt erörtern und geht davon aus, "dass hier rasch Lösungen gefunden werden". Über vergleichbare Fälle wie in Stendal lägen dem Ministerium keine Informationen vor.