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Saubere Luft dank leerer Straßen – Was davon nach der Corona-Pandemie bleibt

LEIPZIG, GERMANY - APRIL 20: People wearing protective face masks wait for a street tram on the first day face masks became compulsory on public transport in the state of Saxony during the novel coron ...
Hunderttausende Menschen in der EU sterben jedes Jahr an durch Luftverschmutzung ausgelösten Krankheiten.Bild: Getty Images Europe / Sean Gallup
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Saubere Luft dank leerer Straßen: Was davon nach der Corona-Pandemie bleibt

25.05.2020, 06:2508.06.2020, 18:14
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Mit dem Corona-Lockdown kamen auch die Satellitenbilder: Fotos aus dem All, die zeigten, dass die dunklen Stickstoffdioxidwolken, die sonst über den Großstädten der Welt waberten, plötzlich verschwunden waren. Fotos der Berggipfel des Himalayas, aufgenommen aus dem 200 Kilometer entfernten nordindischen Staat Punjab. Und Fotos der Skyline von Manila, die sich ohne ihren gräulichen Schleier aus Smog ungewohnt klar vom blauen Himmel abhob.

Doch mit dem Abflachen der Corona-Pandemie füllen sich die Straßen wieder und die Fließbänder in den Fabriken rollen wieder an. Die Frage ist: Hat der Corona-Lockdown die Luft wirklich verbessert – und was bleibt am Ende davon übrig?

"Mitunter sanken die Feinstaubwerte um mehr als 50 Prozent."
Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert

"Weniger Autos und weniger industrielle Produktion sorgen nachweislich für eine sauberere Luft", sagt Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert von der Universität Zürich, der gleichzeitig der Präsident des Deutschen Naturschutzrings ist. "Sowohl Satelliten als auch Bodenstationen zeigen eine deutlich verbesserte Luftqualität während der letzten Wochen. Mitunter sanken die Feinstaubwerte um mehr als 50 Prozent." In Paris etwa wurde ein Minus von 54 Prozent gemessen. Und im Umfeld von Flughäfen, wo normalerweise sehr hohe Feinstoffwerte aufgezeichnet werden, sank die Belastung nach dem starken Reduzieren des Flugverkehrs um 40 Prozent.

Corona zeigt Wirksamkeit von Fahrverboten

Optimale Bedingungen also, um die negativen Auswirkungen des Verkehrs und die Wirksamkeit der viel diskutierten Fahrverbote zu beweisen. Denn Dieselfahrzeuge gelten laut Umweltbundesamt als die Hauptquelle des viel zu hohen Stickstoffdioxid-Ausstoßes in den Großstädten – was Automobilverbände wiederum bestreiten. Diese verwiesen in der Corona-Krise darauf, dass die Stickstoffdioxid-Werte nicht überall so stark fielen, wie erwartet: In Stuttgart etwa wurden der "Stuttgarter Zeitung" zufolge im März vereinzelt Spitzenwerte gemessen, obwohl 40 Prozent weniger Autos auf den Straßen unterwegs waren.

Tatsächlich spielt bei der Luftqualität auch noch ein anderer Faktor eine entscheidende Rolle: das Wetter.

"Im März gingen die Temperaturen zunächst hoch und dann wieder runter, weil Polarwinde zu großen Luftdruckunterschieden geführt haben. Wind sorgt auch für eine bessere Luft in der Stadt, weil der Dreck herausgepustet wird."
Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert

Bei den Messungen in Stuttgart könnte die Kessellage der Stadt dagegen den Luftaustausch erschwert haben.

Um den tatsächlichen Effekt des Lockdowns zu berechnen, kombinierten Forscher des Earth Observation Center des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt deshalb Satellitendaten, Bodenmessungen und Wetterdaten. Die Computersimulation zeigt: Die Stickoxid-Emissionen gingen unabhängig vom Wetter mit dem Lockdown stark zurück, in Norditalien beispielsweise um 45 Prozent. Der Corona-Effekt scheint damit bewiesen. Auch Niebert sagt:

"Trotz des Nebeneffekts durch das Wetter ist klar: Die bessere Luftqualität ist maßgeblich auf die coronabedingten Quarantänemaßnahmen zurückzuführen."
Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert

Weniger Verkehr bedeutet bessere Luft, so einfach ist das. Das erscheint insbesondere mit Blick auf die krassen Auswirkungen des Smogs auf die Gesundheit dramatisch. „Ein internationales Forscherteam hat für das renommierte European Heart Journal berechnet, dass in Europa im Jahr 790.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung sterben", sagt Niebert. Weltweit bringt eine WHO-Studie sogar 4,2 Millionen Sterbefälle mit Luftverschmutzung in Verbindung. „Kleinste Feinstaubartikel dringen bis in die tiefsten Verästelungen der Bronchien vor. Die Menschen sterben dann zwar nicht an der Luftverschmutzung direkt, aber indirekt an dadurch ausgelösten Erkrankungen wie Bronchitis oder Asthma.“

Insgesamt, sagt Niebert, fordert die Luftverschmutzung damit dreimal mehr Tote als Aids, Tuberkulose und Malaria zusammen – und 15 mal mehr, als in sämtlichen Kriegen der Welt sterben.

Weniger Todesfälle dank saubererer Luft

Der Corona-Lockdown könnte also Leben gerettet haben. "Welche Auswirkungen eine bessere Luftqualität auf die Lebensqualität haben kann, zeigt die europäische Umweltagentur auf. Dort haben Forscher vor kurzem vorgerechnet, dass es 30 Prozent weniger Todesfälle gäbe, wenn man die Schadstoffbelastung um 30 Prozent senken würde", sagt Niebelt. "Es wäre schön, könnte man sagen, dass in den Hotspots wie Paris nur noch halb so viele Menschen an Luftverschmutzung sterben, weil die Luftqualität um 50 Prozent besser geworden ist. Das wären dann deutlich mehr, als der Lockdown jemals an Virentoten verhindern würde. Die massiven Einschränkungen der letzten Wochen zeigen Wirkung. Doch das öffentliche Leben lahm zu legen ist keine Lösung." Und so bleibt das Ganze bleibt reine Theorie – schließlich hielt der Lockdown nur einige Wochen an.

In den meisten chinesischen Millionenmetropolen jedenfalls ist es schon wieder vorbei mit dem Durchatmen. Greenpeace zufolge lag die Konzentration von Stickstoffdioxidwerten und Feinstaubpartikeln im April sogar über der im Vorjahr. Chinesische Klimaexperten sind erstaunt, wie schnell die Emissionen nach dem drastischen Fall wieder steigen. "Das könnte ein frühes Anzeichen dafür sein, dass sich die positiven Trends während der Epidemie nun schnell wieder umkehren könnten", sagte Li Shuo von Grenpeace China der Nachrichtenagentur AFP.

"Wenn wir jetzt nichts ändern, wird der Corona-Effekt ein sehr kurzfristiger sein."
Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert

Auch in Europa und Deutschland könnte die saubere Luft schnell wieder verpestet werden. "Wenn wir jetzt nichts ändern, wird der Corona-Effekt ein sehr kurzfristiger sein", sagt Niebert. "Statistisch können wir dann ausrechnen, welchen Effekt die zwei Monate Lockdown auf die Sterberate hatten, aber was wir wollen sind doch dauerhafte Effekte."

E-Mobilität für langfristigen Corona-Effekt

Wirtschaft, Mobilität und Industrie müssen ganz anders gefördert und gefordert werden als bisher, sagt der Nachhaltigkeitsforscher. Statt Diesel und Verbrennungsmotoren müsste CO2-freie E-Mobilität subventioniert werden – nur dann hätte der Corona-Lockdown einen langfristigen Einfluss auf die Gesundheit. "Wir haben die Technologie, und sie ist inzwischen auch bezahlbar – wir sollten sie also auch für uns nutzen."

Denn allein durch die erhöhte Stickoxidkonzentration in Folge des Dieselskandals, sagt Niebert, seien Schätzungen zufolge bis zu 11.000 Menschen im Jahr in Deutschland zusätzlich zu Tode gekommen. "Wenn wir jetzt weiter fossile Verbrennungsmobilität wie Benziner oder Diesel fördern – trotz dessen, dass mit der E-Mobilität die bessere Technologie marktfähig ist –, dann ist das fast schon Vorsatz."

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