Was ist, wenn das Gefängnis zu einem Raum wird, in dem Unrecht geschieht?
Dann nimmt die Angst überhand.
Lennart Wenzel, 27 Jahre alt und Aktivist bei der Letzten Generation, ist genau das, eigenen Schilderungen zufolge, passiert.
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch saß er in der Gewahrsamszelle Tempelhofer Damm in Berlin ein, das bestätigt ein Dokument, das watson vorliegt. Weil er die Straße blockiert und sich festgeklebt hatte. Zum wiederholten Male.
Nach Paragraf 30, 31 des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG) wurden 33 Aktivist:innen mit dem Ziel, sie am Folgetag einem Richter vorzuführen, im Polizeigewahrsam genommen.
Darauf bezog sich die Polizei, als sie Lennart gemeinsam mit weiteren Aktivist:innen abtransportierte und in die Polizeiwache in der Kruppstraße brachte. Verfrachtung in Gruppenzellen mit rund 20 Menschen, Frauen und Männer getrennt voneinander. Alles zog sich.
Erst in der Nacht wurden die Aktivist:innen erneut abtransportiert, einige von ihnen – unter anderem Lennart – zum Tempelhofer Damm. Dort erwartete ihn eine Einzelzelle mit Pritsche.
Und die blanke Angst.
Es war 3.07 Uhr in der Nacht, als Lennart in die Gewahrsamszelle am Tempelhofer Damm gebracht wurde: Kahler, schlauchartiger Raum, etwa vier bis fünf Meter lang. Am Ende ein automatisch gekipptes Fenster, davor: Gitterstäbe. Bis auf eine schmale Metallpritsche ist der Raum leer. "Wenn ich die Arme ausgestreckt habe, konnte ich die Wände an beiden Seiten berühren", sagt Lennart im Gespräch mit watson.
Es ist kalt, ungemütlich. Die Stunden ziehen sich.
Gegen zehn oder elf Uhr am nächsten Morgen bittet Lennart einen Beamten, ihn zur Toilette zu begleiten. In der Gewahrsamszelle gibt es keine. "Der größte Teil der Polizistinnen und Polizisten ist professionell mit uns und geht gut mit uns um, sie haben ja auch eine Fürsorgepflicht für uns", erzählt Lennart.
An diesem Vormittag kommt es anders, wie Lennart berichtet.
"In diesem Moment am Vormittag habe ich einfach so viel Angst erlebt, wie schon lange nicht mehr in meinem Leben", sagt er. Seine Stimme zittert, bricht dann völlig. Er setzt erneut an und erzählt:
Zu diesem Zeitpunkt, so erzählt Lennart es, steht er bereits zwei Meter in der Zelle, der Beamte in der offenen Tür. Er ist irritiert von der Aussage und fragt nach, was der Polizist ihm damit sagen wolle.
"Und dann ist er gewaltsam auf mich zugestürmt und hat mich mit Wucht auf meine Pritsche geschubst", sagt Lennart, seine Stimme zittert noch immer. "In dem Moment habe ich realisiert, dass ich ganz allein bin mit zwei Polizisten, von denen einer handgreiflich wird und mir Gewalt androht. Ich hatte wirklich richtig Angst, so wie ich schon lange keine Angst mehr hatte."
Lennart wird klar, dass ihm hier keiner helfen kann – keiner helfen wird. Die Angst kriecht ihm kalt durch den Körper. Denn auch der zweite Beamte, der nicht weit entfernt steht, scheint nicht eingreifen zu wollen. Gegenüber watson sagt Lennart:
Lennart erinnert sich, dass der zweite Polizist, als ihn der eine Beamte schubste, einen kleinen Schritt in seine Zelle machte. "Es kann sein, dass er vielleicht schon bereit war, einzugreifen. Das weiß ich aber nicht. Ein wirkliches Eingreifen habe ich nicht wahrnehmen können."
Das sind schwere Vorwürfe.
Watson hat die Berliner Polizei mit den Vorwürfen der Aktivist:innen konfrontiert. Ein Sprecher erklärte daraufhin:
Und mit dieser Angst scheint Lennart nicht allein zu sein. Auch andere Aktivist:innen der Letzten Generation, die aufgrund der Straßenblockaden zuletzt vermehrt in Polizeigewahrsam waren, berichten über Polizeigewalt.
Laut einem Post der Letzten Generation auf Instagram sagte ein Beamter zu einer oder einem Aktivist:in:
Ein:e weitere:r Aktivist:in berichtet, dass sie:er nach der Anhörung von einem freundlichen Beamten zur Zelle gebracht worden sei, aber ein weiterer Beamter soll gesagt haben:
Dass das Leben in einer Haftanstalt sich von dem in Freiheit unterscheidet, weiß Lennart bereits. Denn die Nacht von Dienstag auf Mittwoch in dieser Woche war nicht die erste, die der Aktivist in einer Zelle verbracht hatte.
Nach seiner ersten Straßenblockade wurde er schon einmal einen Tag lang in einer Zelle festgehalten. Kurz vor Ostern musst er erneut für neun Tage in der Untersuchungs-Haftanstalt in Präventiv-Gewahrsam in Hamburg bleiben.
Gegenüber watson erzählt Lennart:
Und trotz allem macht Lennart weiter: Blockiert Straßen, klebt sich fest. All das, um das Klima zu schützen. "Ich werde alles geben, was ich habe, um dafür zu sorgen und Teil davon zu sein, dass wir es hinbekommen, uns und die Welt intakt zu halten. Und davon lasse ich mich auch von solchen Erlebnissen nicht abbringen."