Die Letzte Generation will Berlin lahmlegen, Deutschland wachrütteln – und endlich dazu bringen, den Klimaschutz schnell und effektiv voranzutreiben.
Mithilfe von Straßenblockaden. Und dem Besprühen der Schaufenster von Prada, Dolce & Gabbana, Gucci und Rolex.
Weil die Welt sich die Reichen nicht mehr leisten könne: "Euer Luxus = unser Klimakollaps", steht auf Schildern, die die Aktivist:innen der Letzten Generationen im Rahmen dieser Aktionen hochhalten.
Die Aktionen sorgen bei vielen Menschen für Kopfschütteln. Als ob dieser Vandalismus irgendetwas bringen würde, sagen sie.
Die Diskussion dreht sich im Kreis.
Auf der einen Seite stehen die, die den Kopf schütteln über die Aktionen der Letzten Generation. Auf der anderen Seite atmen die Menschen erleichtert aus. Weil da jemand ist, der sich traut, gegen eine Politik, die nicht ausreichend handelt, aufzumucken.
Gegen die Politik, die uns als gesamte Menschheit gegen die Wand fahren lässt.
Ja, die Letzte Generation stiftet Unmut, Frust, Wut. Und ja, die Protestformen mögen kritikwürdig sein. Aber was sagt das schon aus, mit Blick auf die Forderungen der Aktivist:innen?
Lasst uns dafür einmal möglichst unparteiisch auf die derzeitige klimapolitische Lage blicken: 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft darauf geeinigt, die Erderhitzung auf möglichst 1,5 Grad und höchstens zwei Grad zu begrenzen. Ein Ziel, das in dieser Form von der Wissenschaft gestützt wird.
Denn: Mit einer Erhitzung auf "nur" 1,5 Grad ließen sich irreversible Kipppunkte mit größter Wahrscheinlichkeit verhindern.
Aber: Obwohl sich die Weltgemeinschaft dieses Ziel auf die Fahnen geschrieben hat, passiert fast nichts. Die Welt rast auf die "Klimahölle" zu, wie es UN-Chef António Guterres formulierte. Mit der derzeitigen Klimapolitik und den dazugehörigen Klimaschutzmaßnahmen schießen wir weit über das 2-Grad-Ziel hinaus: Drei Grad und mehr lautet die aktuelle Einschätzung der Wissenschaftler:innen.
Die Konsequenz daraus: eine sich dramatisch wandelnde Welt mit sich multiplizierenden Krisen. Die einzig nachvollziehbare Reaktion auf diesen Ausblick ist die blanke Angst. Und im zweiten Schritt hoffentlich der Mut und die Zuversicht, alles dafür zu tun, um dieses Schicksal abzuwenden.
Denn das, was uns droht, ist schlimmer als alles, was wir uns jetzt vorstellen können. So gesehen wirken die Protestaktionen der Letzten Generation gar nicht so radikal, wie viele behaupten.
Und damit zurück zu den Aktionen der Letzten Generationen.
Auch wenn ich die Forderungen der Aktivist:innen befürworte und der Meinung bin, dass wir lieber gestern als heute ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen brauchen, frage auch ich mich, ob das der richtige Weg ist.
Mit der Aussage, dass wir uns "die Reichen" nicht mehr leisten können, hat die Letzte Generation recht: Laut einer Studie von Oxfam wird das reichste Prozent – das sind weltweit weniger Menschen als die Bevölkerung Deutschlands – bis 2030 für 16 Prozent der globalen Gesamtemissionen verantwortlich sein. Damit hätte eine kleine Elite einen Freifahrtschein, um die Klimakrise (erheblich!) weiterzutreiben – und Millionen Menschen näher in Richtung "Klimahölle" zu treiben.
Ich wiederhole nochmal: Ein Prozent der Menschen soll 2030 für 16 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sein und damit auch für Millionen von Menschenleben.
Das muss man erstmal sacken lassen.
Bedeutet das nicht umgekehrt, dass die Reichen eine riesige Verantwortung gegenüber uns allen haben?
Klar, die Letzte Generation hätte stattdessen auch die Schaufenster von Zara- und H&M-Filialen besprühen können. Immerhin verursacht Fast Fashion riesige Mengen an Treibhausgasen, da für ihre Herstellung vor allem fossile Energien wie Erdöl und Kohle verwendet werden. Mal abgesehen von den Ressourcen, die für unsere Wegwerf-Mentalität herhalten müssen.
Aber der Punkt, den die Aktivist:innen mit ihrer Aktion klarmachen wollen, ist mehr als deutlich: Die "Reichen" treiben die Klimakrise überproportional schnell voran, ergo sollen sie auch diejenigen sein, die ihr derzeitiges Leben hinterfragen – und umgestalten.
Dass "die Reichen" im Privatjet um die Welt fliegen und jedweder Bedrohung mit Luxus entfliehen, während andernorts Inseln untergehen, Menschen verhungern und Ozeane versauern, ist schlicht unfair. Und stellt ehrlich gesagt mein gesamtes Weltbild infrage.
Was bilden wir uns ein, in einem Luxus zu schwelgen, der Millionen von Menschenleben gefährdet?
Die Frage lässt sich so einfach nicht beantworten. Aber sie setzt die Proteste der Letzten Generation wieder ins richtige Verhältnis. Mehr noch: Angesichts der Vehemenz der Auswirkungen auf die Erderhitzung wirken die Proteste der Letzten Generation nahezu lächerlich.
Und damit will ich nicht sagen, dass die Proteste krasser werden sollen oder müssen. Die Sache ist nur die: Die Aktivist:innen der Letzten Generation schreien um Aufmerksamkeit und Hilfe. Nicht, weil sie nichts Besseres zu tun hätten oder weil es ihnen Spaß macht, sich von der Polizei festnehmen zu lassen, von Autofahrer:innen treten und schleifen und von Fußgänger:innen beschimpfen zu lassen.
Sie nehmen all das nur in Kauf, um uns allen die Augen zu öffnen – und uns vor uns selbst zu schützen. Denn fahren wir das Klima an die Wand, fahren wir auch uns an die Wand.
Aus und vorbei.
Das müssen wir verstehen. Danach müssen wir handeln.