Sie ist das Gesicht der Klimabewegung Letzte Generation in Österreich: Anja Windl, besser bekannt als "Klima-Shakira". Aufgrund ihrer optischen Ähnlichkeit wird sie immer wieder mit der kolumbianischen Pop-Sängerin verglichen. Doch weil sie sich im Kampf gegen die Klimakrise wieder und wieder auf der Straße festklebte, prüft die österreichische Fremdenpolizei derzeit ein mehrjähriges Aufenthaltsverbot gegen die 25-Jährige, die gebürtig aus Niederbayern stammt.
Im Interview mit watson spricht die Aktivistin über ihre Ängste – und warum sie trotz allem weitermacht.
watson: Als "Klima-Shakira" bist du zum Gesicht der Letzten Generation in Österreich geworden. Ärgert dich dieses Stigma?
Anja: Ich würde sagen, das ist eine zweischneidige Geschichte. Auf der einen Seite ist es natürlich so, dass wir für alles, was an Medienaufmerksamkeit auf uns gerichtet wird, sehr dankbar sind und das auch entsprechend opportunistisch nutzen. Und gleichzeitig bringt natürlich die Berichterstattung, die mich rein aufs Äußerliche reduziert, auch eine Menge an Sexismus und Sexualisierung mit sich, die schlichtweg von unseren eigentlichen Zielen ablenkt.
Hast du jemals damit gerechnet, dass so etwas passieren könnte?
Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, das kam sowohl für mich als auch die ganze Organisation, die hinter der Bewegung steht, relativ überraschend. Das kannst du ja auch in der Form nicht planen.
Durch diese Erzählung hast du bei den Protesten besonders viel Aufmerksamkeit bekommen und wurdest kürzlich beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vorgeladen. Dort wird geprüft, ob du Österreich verlassen musst. Was ist dir durch den Kopf gegangen, als du davon erfahren hast – hattest du Angst?
Der Tag, an dem ich das erste Mal davon erfahren habe, war der 23. Februar. Ich war gerade im Polizeianhaltezentrum des Gefängnisses für Verwaltungsstrafen in Wien, als mir mitgeteilt wurde, dass sie ein mehrjähriges Aufenthaltsverbot gegen mich erwirken möchten. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich bin direkt nach unserer Entlassung rausgegangen und habe erst einmal wirklich geweint. Danach habe ich mich dann von den anderen Menschen aus unserer Organisation stützen lassen und habe mir eine ganze Menge Zuspruch geholt – in dem Moment war ich emotional ernsthaft mitgenommen. Es ist auch einfach Irrsinn, friedliche Proteste so zu kriminalisieren.
Wie war das für dich? Du hattest vorher ja vermutlich keinen Kontakt mit der Polizei.
Nein, gar nicht. Es ist schon absurd, wenn man sich mal überlegt, dass man jetzt so im Fokus steht, dass man denen so ein Dorn im Auge ist, dass sie einen unbedingt loswerden möchten oder auf diese Art und Weise zumindest versuchen, uns einzuschüchtern. Anstelle der Umsetzung dringend notwendiger Schutzmaßnahmen für die Menschheit.
Deine Anhörung war am 6. April. Wie wahrscheinlich ist deine Ausweisung?
Anhand dessen, was jetzt gegenwärtig vorliegt, halte ich es tendenziell für unwahrscheinlich. Und auch die Jurist:innen, die wir bisher so gefragt haben, halten es auf der Basis für schwierig, mich auszuweisen, weil ich EU-Bürgerin bin. Ich kann mir schon vorstellen, dass mir kurzfristig auch ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung auferlegt wird, aber ich glaube nicht, dass sich das in der nächsthöheren Instanz durchdrücken ließe.
Es gab beispielsweise in Österreich 2020 einen Fall, da wurde ein Aktivist, der die Rüstungsindustrie mit Graffiti verschönert hat, innerhalb von 24 Stunden ausgewiesen und mit Polizeieskorte nach Deutschland zurückgebracht, inklusive zehnjährigem Aufenthaltsverbot in Österreich. Der hat es später angefochten und Recht bekommen. Insofern hoffe ich, dass es bei mir im Zweifelsfall ähnlich wäre.
Und was würde das für dich bedeuten, wenn du jetzt tatsächlich, auch wenn es nur kurzweilig sein sollte, ausgewiesen werden solltest?
Das wäre für meine persönliche Zukunft dramatisch, weil ich mein Studium noch in Österreich beenden möchte. Und gleichzeitig ist es natürlich auch so, dass sich der Großteil meines Lebens hier abspielt: Meine engsten Freunde leben hier in Österreich, ich möchte hier nicht weg.
In deinen und vieler anderer Augen setzt du dich für etwas Gutes ein: für die Rettung des Planeten. Anstatt das aber als etwas Gutes zu betrachten, wirst du als Straftäterin gehandelt. Was löst das in dir und deinen Mit-Aktivist:innen aus?
Ich glaube, das zeigt uns einmal mehr, wo wir auch in der Gesellschaft gerade stehen und dass es bitter, bitter nötig ist, sich diesem fossilen Wahnsinn in den Weg zu stellen, auch mit unserer Form des Aktivismus. Wir stecken kollektiv noch so in der Verdrängung. Die Menschen wollen einfach nicht wahrhaben, was durch die Klimakrise ausgelöst wird. Und deswegen projizieren sie ihre Angst und Wut so sehr auf uns, wenn wir da die Straße blockieren, anstatt auf die Verursacher.
Und ich kann es ja im Sinne der psychischen Abwehr verstehen, dass man sich so gegen uns und unsere Proteste verschließt, aber wie die Welt derzeit aussieht und worauf wir zurasen, legitimiert eben auch unsere Form des Protests – weil alles andere nicht funktioniert hat, wir müssen jetzt emotionalisieren.
Und hat dich selbst auch die Angst in den Protest getrieben?
Ich bin jahrelang in einer passiven Position verharrt, weil mich eine Mischung aus Resignation und Ohnmacht übermannt hat. Das heißt, ich hatte das Gefühl, dass ich auf individueller Ebene eh nichts mehr richten kann, dass sowieso alles den Bach runtergeht. Ich habe aber jetzt insbesondere durch das Engagement bei der Letzten Generation gelernt, dass das absolut nicht der Fall ist. Du kannst dich der Klimakrise auch als Individuum selbstwirksam in den Weg stellen. Im Gegenteil eigentlich: Es ist sogar unfassbar wichtig, dass wir das jetzt machen und Schutzmaßnahmen einfordern.
Und du machst auch jetzt, nach der Androhung einer möglichen Ausweisung, weiter?
Ich mache auf jeden Fall weiter. Ich war auch heute und gestern in Graz schon wieder auf der Straße. Wir haben dort gerade eine Protestwelle am Laufen. Ich werde mich die ganze Woche wieder und wieder in den Weg stellen, schlichtweg, weil die Verzweiflung anhand der Untätigkeit der Entscheidungstragenden mich dazu treibt. Unsere Lebensgrundlagen stehen auf dem Spiel!
Hast du die möglichen rechtlichen Konsequenzen jetzt trotzdem immer im Hinterkopf?
Ja, klar, ich möchte ja auch in Österreich bleiben. Natürlich macht mir das Angst. Die ganze Diskussion nur als Selbstblamage der Behörden abzutun, so gern ich es auch täte, trifft es nicht. Ich kann mich nicht einfach von der Sorge freimachen, ich bin auch nur ein Mensch.
Gleichzeitig weiß ich aber auch: Selbst wenn es so kommen sollte, dass ich ausgewiesen werden sollte, ist ziviler Ungehorsam gerade unverzichtbar. Uns läuft die Zeit davon. Wir haben nur noch ein paar Jahre, um die Auslösung der irreversiblen Kipppunkte im Klimasystem aufzuhalten. Und es gibt so viele Millionen Menschen, die sich wünschen, ausgerechnet nach Deutschland ausgewiesen zu werden – da bin ich in einer absolut privilegierten Position. Das ist ja kein Horrorszenario in dem Sinne, kein Bürgerkriegsgebiet.
Das heißt, du würdest in Deutschland genauso weitermachen.
Ja. Ich würde mich dann der Letzten Generation in Deutschland anschließen und weitermachen wie bislang.