Die Letzte Generation ist wieder da.
Bundesweit.
Und das stärker, lauter und präsenter als je zuvor.
Dass sie Autos und Flugzeuge durch ihre Aktionen wieder zum Stehen bringen wollen, hatten die Klimaaktivist:innen bereits im Januar groß angekündigt. "Eines ist klar: Der Widerstand wird nicht aufhören, er wird 2023 größer als je zuvor", hatte eine Sprecherin der Gruppe erklärt.
Das Ziel der Letzten Generation: Auf die Klimakrise und mangelnde Lösungskonzepte der Politik aufmerksam zu machen. Und die Aktivist:innen halten Wort. Seit diesem Montag kleben sie sich etwa wieder auf Straßen fest, bringen den Verkehr ins Stocken.
Deutschland im Stillstand. Zumindest für einen kurzen Moment.
Im Kanzleramt hagelt es dafür Kritik.
In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Nachfrage:
Der Kanzler ist also genervt.
Na Gott sei Dank, endlich!
Vielleicht ist es Olaf Scholz nicht bewusst, aber: Den Aktivist:innen geht es doch gerade darum, zu nerven. Und zwar so doll, dass die Politiker:innen – wenn schon nicht motiviert durch die Vehemenz der Klimakrise – endlich anfangen, gegen die Erderhitzung anzukämpfen.
Und zwar schnell.
Und zwar so doll und so effektiv, dass sie das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderhitzung auf 1,5 und höchstens zwei Grad zu begrenzen, auch tatsächlich einhalten können. Denn im Gegensatz zu den Aktivist:innen der Letzen Generation, die sich dem Kampf gegen die Klimakrise verschrieben haben, halten Politiker:innen weltweit nicht Wort.
Sie brechen Versprechen für Versprechen.
Brechen – obwohl die CO₂-Emissionen doch eigentlich sinken sollten – Jahr für Jahr neue Rekorde.
Setzen klimakritische Projekte um.
Und das, obwohl die Horrorszenarien, in die wir mit voller Wucht hineinrasen, klar und deutlich vorhergesagt werden. Seit Jahrzehnten.
Aber klar, der Protest der Aktivist:innen ist unbequem. Hält unseren Alltag auf, in dem wir es uns vielleicht ein bisschen zu bequem gemacht haben. Raubt Zeit, die wir doch eigentlich nicht haben. Lässt uns hilflos zurück, weil wir so gar nichts dagegen unternehmen können, wenn wir im Stau stecken. Und das nur, weil sich ein paar Aktivist:innen unbedingt auf die Straße kleben mussten.
Es geht nicht vor, nicht zurück.
Kommt euch bekannt vor, dieses Gefühl, festzustecken und nichts dagegen tun zu können? Mir auch.
Und zwar nicht, weil ich im Auto sitze und im Stau stecke. Sondern, weil auch mir Zeit geraubt wird. Zukunft. Möglichkeiten. Chancen.
Wie jedem von uns.
Und nur so ganz nebenbei: All das wird auch denen geraubt, die sich immerzu über die "ach so nervigen Klimaproteste" beschweren. Die mit ihren dicken Karren an die festgeklebten Aktivist:innen heranfahren, bis sie nicht mehr weiterkommen. Die sie gewaltvoll von der Straße reißen, damit sie endlich weiterfahren können.
Denn mit jedem Jahr, jedem Monat, jeder Woche und jedem Tag sinkt die Chance, in einer halbwegs lebenswerten Welt zu leben.
Und warum?
Weil die Politiker:innen einen Kompromiss nach dem anderen aushandeln: Weil neue Autobahnen priorisiert werden und der Fechenheimer Wald dafür weichen soll. Weil die Kohle unter Lützerath eben doch gebraucht wird. Weil der Regenwald abgeholzt werden muss, damit wir auch ja weiter unser Steak essen können. Weil LNG-Terminals gebaut und unsere Abhängigkeit vom Gas manifestiert wird.
Die Liste ließe sich endlos weiterführen.
Aber, liebe Leute von der Letzten Generation, hört lieber auf damit. Immerhin sind Olaf Scholz und viele weitere Bürger:innen genervt von euren Protesten. Geht lieber einfach so auf die Straße, bastelt euch ein paar Schilder und lasst all diejenigen in Ruhe, die keine Lust (oder Zeit) haben, sich mit der Klimakrise auseinander zu setzen.
Kleiner Spaß.
Ja, die Proteste von Fridays for Future haben unfassbar viel in der Klimapolitik und der Gesellschaft bewegt. Aber es reicht eben noch nicht.
Und die Zeit rennt uns davon. Im Übrigen auch den Klimaaktivist:innen, die sich vermutlich eine entspanntere Freizeitgestaltung vorstellen können, als sich auf die Straße zu kleben, in Baumhäusern zu verschanzen und von der Polizei zu Geldstrafen verdonnern zu lassen.
Und trotz allem stehen sie Tag für Tag auf, setzen sich für uns alle und unsere Zukunft ein.
Obwohl sie beschimpft werden. Ja, sogar, obwohl sie von wütenden Autofahrer:innen angefahren und von der Straße gerissen werden.
Obwohl so viele Menschen genervt sind.
Obwohl sie einfach aufgeben und ein unbesorgtes Leben führen könnten.
Ja, ich verstehe jede und jeden, die oder der sagt, dass diese Art des Protests nicht der richtige ist oder die Massen verschreckt. Weil er unbequem ist und uns unsere Unzulänglichkeiten vor Augen führt.
Die Sache ist die: Demonstrationen allein scheinen ja nicht zu reichen. Wissenschaftler:innen, Klimaaktivist:innen, Prominente und du und ich können uns Tag für Tag den Mund fusselig reden oder die Finger wund tippen.
Politiker:innen wie Olaf Scholz können all das ignorieren. Vielleicht nicken sie hier und da mal zustimmend, gestehen ab und zu ein, dass sie mehr hätten tun können – und das auch ganz bald tun werden. Aber dann kommt eben doch wieder irgendeine andere Krise dazwischen. Ein Projekt, das wichtiger und noch dringlicher scheint. Ein Kompromiss, der ausweglos wirkt. Damit die Ampel nicht zerbricht, oder in der EU alle mitziehen, oder bei der Weltklimakonferenz.
Lasst uns nicht den Fehler machen, in zehn Jahren zurückzublicken und zu sagen: "Hätten wir mal..."
Lasst uns Olaf Scholz und alle anderen Politiker:innen so lange nerven, bis sie gar nicht anders können, als genauso hart für mehr Klimaschutz und Gerechtigkeit zu kämpfen, wie es all die Klimaaktivist:innen schon längst tun.
Denn das Problem ist: Wir haben keine Zeit mehr, auf den oder die Letzte zu warten. Wir müssen handeln. Jetzt. Als würde unser Leben davon abhängen. Denn ganz ehrlich, das tut es.