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Hungerstreik in Berlin: Klimaaktivisten fordern Erklärung von Scholz

Hungerstreik Wolfgang Metzeler-Kick "Wolli" Scientist Rebellion Berlin Invalidenpark
Wolfgang Metzeler-Kick, genannt Wolli, streikt seit 78 Tagen.bild: laura Wagener
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Hungerstreik für das Klima: Aktivisten fordern Statement von Kanzler Scholz

23.05.2024, 19:4723.05.2024, 20:05
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24 Kilogramm. So viel hat Wolli schon abgenommen. Seine Arme sind merklich dünner geworden, sein Körper knochig. In der Hand hält er seine tägliche Nahrung: eine Flasche Wasser, vermischt mit etwas Tomatensaft. 27 Gramm Kohlenhydrate pro Tag. Mehr nimmt er nicht zu sich.

Der Aktivist setzt aktuell seine Gesundheit aufs Spiel – und das in aller Öffentlichkeit. Sein Ziel: der Kampf gegen die Klimakrise. Dafür riskiert er sogar den Tod.

Hungern für das Klima: Aktivisten streiken in Berlin

Seit dem 7. März hungern in Berlin mehrere Wissenschaftler:innen der Gruppe "Hungern bis ihr ehrlich seid" für das Klima. Ihre Forderung: Eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), in der er "ehrlich aussprechen" soll, dass es kein CO₂-Budget mehr gebe. Dass schon jetzt hunderte Gigatonnen CO₂ zu viel in der Luft seien.

Solange diese Forderung nicht erfüllt wird, wollen die Aktivist:innen ihren Streik weiterführen. Keine Nahrung, nur Wasser.

dpatopbilder - 03.04.2024, Berlin: Aktivist Wolfgang Metzeler-Kick, der sich seit dem 7. M
Wolli streikt seit Anfang März.Bild: dpa / Sebastian Gollnow

Angefangen hat alles mit Wolli, der bürgerlich Wolfgang Metzeler-Kick heißt. Der 49-jährige Ingenieur hungert seit mittlerweile 78 Tagen.

Jeden Tag setzt Wolli einen weiteren roten Strich hinter seinen Namen auf die Tafel im Hungerstreik-Camp. Seit mehr als zwei Monaten sind die Zelte in Berlin aufgebaut, aktuell im Invalidenpark, direkt neben dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium.

Das Hungern werde immer anstrengender, sagt Wolli. "Die Reserven sind einfach weg." Schon jetzt sei er deutlich langsamer im Kopf. Auch Verdauungswärme besitze er mangels Nahrung nicht mehr. Während der Rest Berlins bei 25 Grad Außentemperatur schwitzt, sitzt er mit langärmeligem Shirt in seinem drückend warmen Zelt und spürt die Hitze nicht einmal.

Gemeinsam mit ihm streiken derzeit noch drei weitere Männer im Camp – Richard Cluse, Titus Feldmann und Adrian Lack. Zwei weitere mussten den Streik bereits beenden: In der vergangenen Woche brach Tin nach 16 Tagen des Hungerns im Camp zusammen und wurde ins Bundeswehrkrankenhaus eingeliefert. Nur wenige Stunden später stand fest: Tin will den Streik vorerst fortsetzen.

Hungerstreik Wolfgang Metzeler-Kick "Wolli" Scientist Rebellion Berlin Invalidenpark
Wolli sitzt im Hungerstreik-Camp vor wissenschaftlichen Schaubildern zur Klimakrise.bild: Laura Wagener

Michael Winter, ein 61-jähriger Biologe, wurde kurz darauf ebenfalls in einer Klinik aufgenommen – 30 Tage des Hungerns lagen da hinter ihm. Das Ärzteteam hatte zu dem Zeitpunkt bereits die Betreuung eingestellt, weil eine Fortsetzung seines Streiks nicht mehr zu verantworten gewesen sei. Winter machte vorerst trotzdem weiter.

Doch warum setzt man seine eigene Gesundheit einem solchen Risiko aus? Setzt das eigene Schicksal aufs Spiel? Wenn das erklärte Streikziel, die Forderung, möglicherweise nie erfüllt wird?

Olaf Scholz will Forderungen des Hungerstreiks nicht entsprechen

Der Bundeskanzler hatte bereits mitteilen lassen, den Forderungen der Aktivist:innen nicht entsprechen zu wollen. Die geforderte Regierungserklärung werde es nicht geben.

Carola Rackete, Europawahlkandidatin der Linken, appellierte an den Kanzler, auf die Anliegen einzugehen. "Die Hungerstreikenden haben verstanden, wie dramatisch die drohende Klimakatastrophe ist", sagte Rackete. "Sie gehen bis zum Äußersten, um sie aufzuhalten. Ich bin besorgt über den Gesundheitszustand der Beteiligten."

Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte, die Klimakrise nehme tatsächlich immer bedrohlichere Ausmaße an: "Ich verstehe und unterstütze das Anliegen der Hungerstreikenden." Dennoch sei ein Hungerstreik nicht die angemessene Protestform.

Die Aktivist:innen machen trotz Scholz' Absage weiter. Warum?

"Weil es das schärfste Schwert ist", sagt Wolli. "Ich habe alles ausprobiert – von Pipelines abdrehen, über Kartoffeln pflanzen vor dem Kanzleramt bis zu Pferdemist im Landwirtschaftsministerium von Cem Özdemir auskippen." Nichts habe etwas gebracht.

Er setze jetzt alles auf eine Karte. Es bringe ja nichts, wenn er "den ganzen Scheiß überlebe" und die Menschheit sich trotzdem entscheide, dass "wir alle aussterben sollen".

Hungerstreik Wolfgang Metzeler-Kick "Wolli" Scientist Rebellion Berlin Invalidenpark
Im Invalidenpark steht das Camp der Streikenden.bild: Laura Wagener

Er und die weiteren Wissenschaftler:innen stützen sich dabei auf Werte des Weltklimarats. Demzufolge ist das 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen, die globalen Treibhausgasemissionen müssten sofort sinken.

Ein sogenanntes CO₂-Restbudget, von dem immer gesprochen werde und auf dem man sich ausruhen könne, gibt es nicht, sagt Wolli. "Wir müssen jetzt dringend CO₂ aus der Luft holen", stellt er klar. "Wenn wir jetzt volle Kanne anfangen, Erneuerbare Energien auszubauen, haben wir noch eine Chance." Um das zu erreichen, hungert er weiter.

Aber bringt ein Hungerstreik etwas? Der Politologe Johannes M. Becker befasst sich mit sozialen Bewegungen und Protestverhalten. Die Effektivität von Hungerstreiks sei recht unterschiedlich. "Der Hungerstreikende riskiert etwas für seine Sache und erntet damit vielfach Zustimmung, Sympathie für die jeweilige Sache. Ein Anliegen wird durch einen Hungerstreik publik, öffentlich gemacht", sagt er gegenüber watson.

In der Vergangenheit habe es bereits erfolgreiche Beispiele gegeben, wie im Falle von Mahatma Gandhi. "Auch wenn Hungerstreiks abgebrochen werden, haben sie oft ihr Grundanliegen erreicht: öffentliche Aufmerksamkeit", sagt Becker.

Das Problem: "Hungerstreikende schaden ausschließlich sich selbst, riskieren für ihre Sache ihre eigene Gesundheit."

Hungerstreik: Weiterer Aktivist bricht Protest in Berlin ab

Wie lange ein Mensch den Streik ohne Nahrung überlebt, kommt auf den individuellen Zustand der Person und äußere Umstände wie Hitze und Kälte an, die den Körper beanspruchen. Ohne Essen sprechen Mediziner:innen oft von 60 Tagen. Es finden sich jedoch auch Medienberichte von Menschen, die mehr als 100 Tage überlebt haben sollen. Bei Flüssigkeit wird es kritischer: Wer kein Wasser zu sich nimmt, kann nur rund drei bis vier Tage überleben.

Michael Winter hat wenige Tage nach der Aufnahme im Krankenhaus entschieden, seinen Streik nun doch zu beenden. "Mein persönliches Resümee ist, dass ich mein Leben genügend aufs Spiel gesetzt habe, um daraus schließen zu können, dass Olaf Scholz eher Tote in Kauf nimmt, als den Menschen die Wahrheit über die Klimakatastrophe zu sagen", erklärte Winter, wie die "Tagesschau" berichtet.

31 Tage lagen da hinter ihm, bevor sein Zustand kritisch wurde. Wolli zufolge befindet er sich immer noch im Krankenhaus.

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Auch Tin hat nach einem zweiten Anlauf den Hungerstreik mittlerweile eingestellt. 21 Tage des Hungerns lagen da hinter ihm.

Wolli hat mittlerweile knapp 80 rote Striche auf der Tafel im Camp gezogen. Am Donnerstag gab er bekannt, er werde nun zu weißen Strichen übergehen – dann gibt es nur noch Wasser, ohne Tomatensaft. Keine Kohlenhydrate, nur noch Flüssigkeit.

Wolli hofft, dass das die Politik endlich wachrüttelt und die Forderungen erfüllt werden. Sollte das nicht passieren, wolle er kurz vor der Europawahl Anfang Juni die "letzte Eskalationsstufe zünden". Statt weißen wird er dann schwarze Striche auf die Tafel setzen – Trockenhungerstreik. Wolli trinkt dann auch kein Wasser mehr.

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