Montag, 19. September – vier Tage vor dem globalen Klimastreik: Annika Rittmann, Klimaaktivistin und Sprecherin von Fridays for Future (FFF), hastet aus dem Hamburger Hauptbahnhof. Ihr Zug aus Berlin hat Verspätung. Mit dem Handy am Ohr läuft sie zur Stadtrad-Station – ob der Banner schon fertig sei? Ja, ist er. Sie nickt, das ist schonmal erledigt.
Nun geht es direkt weiter zur Universität Hamburg, wo sie ein Planungstreffen mit einem Kernteam von Aktivist:innen hat.
Davor noch schnell Sticker holen. Die klebt Annika fest, wo auch immer sie gerade unterwegs ist: an Laternen, Ampeln, Stromkästen. "Eine frisch gestrichene Ampel löst in mir immer den Impuls aus, einen unserer Sticker anzukleben – dann ist er so schön sichtbar", sagt sie.
Sichtbar zu sein und Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu erregen – das ist das Ziel von Annika Rittmann und den anderen FFF-Aktivist:innen. Denn am Freitag steht der elfte globale Klimastreik an. Im Gespräch mit watson sagt Annika:
Den Erfolg eines Klimastreiks an der Anzahl der Streikenden zu messen, sei aus diesem Grund auch nicht der richtige Gradmesser, erklärt Annika. "Der Maßstab sollte stattdessen sein: Wie hoch ist der politische Druck? Und der ist seit unserer Forderung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro definitiv hoch."
Und trotzdem, der globale Protest spielt für die Aktivist:innen und die Wahrnehmung der Klimakrise in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Das Programm muss sitzen. "Denn erstens kommt es anders, und zweitens, als man denkt", sagt Annika. Das hat sie auf dem Segelschiff gelernt. Sie lacht. "Nein, mal ehrlich – egal wie gut man alles plant, irgendwas geht immer schief."
In der Uni angekommen, geht Annika schnellen Schrittes zum Raum des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA). Hier trifft sie sich mit den anderen Hamburger Aktivist:innen mindestens einmal die Woche, oft auch häufiger. Auf dem Plan heute: Das Programm für den Streik in Hamburg finalisieren, die Pressestrategie ausarbeiten, noch offene Fragen klären, das Narrativ des Streiks konkretisieren.
Annika wirft ihren Rucksack in die Ecke, klappt den Laptop auf. Sie scrollt, tippt, zückt währenddessen das Handy. "Wenn ich nicht gerade in Meetings bin, bin ich eigentlich ständig dabei, E-Mails und andere Nachrichten zu beantworten. Oder ich hänge am Telefon", sagt sie.
Annika ist routiniert, effizient.
Sie ruft Excel-Listen auf, gibt Infos zum Programm durch, liest Zitate für eine Pressemitteilung gegen. Das Arbeitspensum gleicht dem einer Vollzeitbeschäftigten, dabei macht sie all das neben ihrem Studium. "Das ist ja auch nur so halbfreiwillig", sagt sie und zieht eine Grimasse. "Wir machen das ja nicht, weil wir so gern Demos organisieren, sondern weil es halt gemacht werden muss."
Der Druck ist hoch. Denn die Zeit, um das 1,5 Grad-Ziel noch zu erreichen, ist knapp. "Wir wollen darauf aufmerksam machen, damit unsere Erfolge nicht alle wieder zunichte gemacht werden, weil die Bundesregierung jetzt die Energiekrise und die Invasion in die Ukraine gegeneinander ausspielt", betont Annika.
Das Problem, das sie bei Fridays for Future sehen:
So könnten Menschen von der Demonstration fortbleiben, aus Angst, die Preise für Strom und Gas würden aus Klimaschutzgründen noch weiter ansteigen.
Deswegen sei es essenziell, die Botschaften herunterzubrechen und klar zu formulieren, worauf es ihnen wirklich ankommt: Klimagerechtigkeit. "Klimaschutz ist ja immer auch eine soziale Frage."
Darüber, wie das gelingen kann, spricht Annika auch in ihrem Meeting mit den Aktivistinnen Patsy Islam-Parsons und Jördis Thümmler.
Annika sagt:
Patsy und Jördis nicken. Die Kernbotschaften und wichtigsten Fakten haben sie in einem Google-Doc gesammelt, das die Aktivist:innen bekommen, um es auf der Demo und gegenüber Journalist:innen zu kommunizieren.
Die Zeit fürs Meeting ist knapp.
Ein Blick auf die Uhr verrät Annika: Jördis und sie sollten eigentlich schon in ihrem nächsten Call sein, dieses Mal mit weiteren Aktivist:innen auf Bundesebene.
Annika startet den Zoom-Call. Aus ganz Deutschland schalten sich Aktivist:innen zu. Im Rekordtempo besprechen sie, was noch zu klären ist. Dann muss sie schon in die nächste Besprechung. Ob sie am Dienstag nochmal sprechen könnten? Annika überlegt kurz. Ja, geht klar. "Aber morgen kann ich nur bis 23 Uhr", sagt sie. Die anderen zucken mit den Schultern.
Hauptsache, alles wird geklärt.
Dienstag, 20. September – drei Tage vor dem Klimastreik: Physiotherapie, etwas Schlaf nachholen, ein Treffen mit einer Aktivisten-Freundin. Danach Programmtreffen, Orgatreffen auf Bundesebene, Presseteam treffen. Zwischendurch muss Annika noch ihre Zitate für ein Interview mit dem "RND" freigeben.
Mittwoch, 21. September – zwei Tage vor dem Klimastreik: Um 7 Uhr morgens ein Radiointerview beim "rbb", danach Mails beantworten, Telefonate führen. Um 11 Uhr steht schon das nächste Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" an, danach folgen Meetings, Mails, Telefonate.
Die Zeit rast – und es ist noch so viel zu erledigen. "Die Woche vor dem Streik ist immer am heftigsten und am vollsten", sagt Annika und zückt entschuldigend ihr Handy, um während des Gesprächs schnell etwas zu klären.
Ob sie stolz ist, auf das, was sie mit Fridays for Future erreicht haben? Annika überlegt, schweigt lange. "Ich empfinde mehr Erleichterung als Stolz dafür. Es schwingt ja immer auch viel Frust mit. Beim Klima gibt es am Ende nur schwarz und weiß, und nicht diese vielen Graustufen wie in der Politik."
Und auch, wenn sie weiß, dass in den vergangenen Jahren klimapolitisch so viel passiert ist wie nie zuvor – reichen tut es dennoch nicht.
Sie sagt:
Annika gibt jedenfalls nicht auf.
Ihr Ort für Klimapolitik ist die Straße.
Und wenn der Streik am Freitag geschafft ist, der Adrenalinpegel wieder sinkt und das Bauchgrummeln stoppt, ist sie gedanklich längst bei der nächsten Aktion, immer mit der einen Frage im Kopf: Wie machen wir jetzt weiter?