Neues Jahr, neues Glück für all diejenigen, denen die Umwelt am Herzen liegt. Zumindest theoretisch. Denn seit dem 1. Januar 2023 sind Restaurants, Bistros und Cafés, die Essen und Getränke zum Mitnehmen verkaufen, dazu verpflichtet, ihre Produkte auch in Mehrwegverpackungen anzubieten. Der Umwelt zuliebe. Dabei dürfen die Produkte nicht teurer sein als in der Einwegverpackung, höchstens eine Pfandgebühr darf erhoben werden.
Kontrolliert werden soll die Einhaltung der neuen Pflicht von den Landesbehörden. Dabei entscheiden die Länder selbst, ob sie die Aufgabe an die Kommunen abgeben oder nicht.
Klingt gut, aber ist dem auch wirklich so? Um das herauszufinden, begebe ich mich auf einen Hungerstreifkurs durch die Hamburger Innenstadt. Mein Ziel: Etwas zu Essen in einem Mehrweg-Behältnis zu finden.
Kann ja nicht so schwer sein, denke ich mir und ziehe mit Hunger im Gepäck los.
Meinen ersten Versuch starte ich bei der Poké Bar, einer Kette mit fünf Läden in ganz Hamburg. Die Nachhaltigkeit der Zutaten als auch der Umweltschutz liegen dem Laden eigenen Worten zufolge am Herzen. Sie werben mit "Fairness" – also handgefischtem Thunfisch, regionalem Hähnchen aus Freilandhaltung – und "sustainable Packaging", einem wiederverwendbaren To-Go-System und weniger als fünf Prozent Lebensmittelverschwendung. Das klingt gut. Ich bin schneller fündig geworden, als gedacht.
Doch zu früh gefreut: Zwar gibt es tatsächlich eine wiederverwendbare Schüssel, die auch prominent auf dem Verkaufstresen drapiert wurde. Aber diese muss man einmalig für 9,90 Euro kaufen – und dann jedes Mal mitbringen. Wer sich für diese Option entscheidet, bekommt sogar jedes Mal einen Euro Rabatt auf seine Bowl. Ein verlockendes Angebot. Lohnen tut sich das allerdings nur für diejenigen, die regelmäßig bei der Poké Bar essen. Ansonsten bekommt man eine Pappverpackung zum Mitnehmen.
Enttäuscht und mit zunehmendem Hunger ziehe ich weiter.
Zweiter Versuch: Meinen nächsten Stopp lege ich bei dem Restaurant Suja – einfach indisch ein, auch dieses gibt es mehrfach in der Hansestadt. Auf meine Frage hin, ob ich mein Mittagessen in einem Mehrweg-Behältnis zum Mitnehmen bekommen könnte, guckt man mich mit großen Augen an. Was genau das denn sein soll? Ich bin irritiert, berichte von der neuen Pflicht und worum es sich dabei handelt. Aha. Per App gebe es so etwas wohl, wie die aber heiße, wisse man jetzt auch nicht. Aha. Wenn ich jetzt etwas mitnehmen wolle, dann nur in einer Pappbox. Ich nicke dankend – und ziehe weiter.
Alle guten Dinge sind drei, denke ich mir und schlendere zu L'Orient, einem Restaurant mit libanesischer Küche. Ich werde freundlich begrüßt und frage, ob ich etwas zum Mitnehmen im Mehrweg-Behältnis bestellen könnte. Leider nein, Mehrweg-Geschirr gebe es bislang nur bei Lieferando. Das checke ich gegen. Und tatsächlich: Ganz oben auf der Seite, noch bevor ich ein Gericht auswählen kann, werde ich darauf hingewiesen, Besteck nur zu bestellen, wenn ich es "wirklich" benötige und möglichst einen Mehrweg-Behälter zu wählen. Der Umwelt zuliebe.
Dass es vor Ort noch keine Mehrweg-Behälter gibt, bedauert Ihab Abboud, Geschäftsführer von L'Orient im Gespräch mit watson. "Ich fänd es auch besser, wenn die Leute Mehrweg-Geschirr nehmen und es später zurückbringen würden", sagt er. Selbst wenn die Menschen ihr Essen über Lieferando bestellen würden, würde nur etwa ein Prozent der Kund:innen auf Mehrweg-Behältnisse umsteigen.
Das Problem: Zwar werden einige wenige Mehrweg-Bowls bestellt, allerdings gelangen diese nicht zurück in den Kreislauf. "Ich habe bislang keine einzige Verpackung wiederbekommen. Und das ist natürlich problematisch, ich bezahle ja viel Geld dafür."
Weil das mit dem Mehrweg noch nicht allzu gut klappe, hat Abboud auf Bio-Verpackungen umgestellt. Außerdem hätte er eine große Stammkundschaft aus den umliegenden Büros, die mit ihren eigenen Tupperdosen vorbeikämen – "das ist natürlich doppelt gut, für die Umwelt und für uns, die Verpackungen sparen".
Nichtsdestotrotz hofft er darauf, dass sich die Verwendung von Mehrweg vereinfacht. "Uns fehlt leider auch die Zeit, jeden Kunden einzeln darauf hinzuweisen, unsere Gäste kommen ja mittags alle gleichzeitig."
Mein nächster Versuch führt mich zu Falafel Salat- & Mezza Bar. Ob es ein Mehrweg-System für Essen zum Mitnehmen gebe, will ich wissen. Awil Bal, Filialleiter des Ladens, verneint. Noch nicht, aber bald.
In Altona, wo sie eine zweite Filiale hätten, gebe es bereits ein Mehrweg-System. Das Problem: "Viele bringen die Boxen nicht zurück und schmeißen sie einfach weg." Deswegen planen sie, bald eine Pfandgebühr zu erheben. "40 Prozent unserer Kunden bringen aber ihre eigene Box mit, das sind Stammgäste, die aus den Büros aus der Gegend kommen", erzählt Bal.
Mit einem großen Loch im Bauch ziehe ich weiter. Dass es so schwierig werden würde, etwas zum Mitnehmen in einem Mehrweg-Behältnis zu finden, hätte ich nun wirklich nicht gedacht. Immerhin handelt es sich um eine Pflicht für alle Läden mit mehr als fünf Mitarbeitenden und einer Größe von über 80 Quadratmetern. Kleine Imbisse, Spätis und Kioske sind also die einzigen Läden, die von der Mehrwegangebotspflicht ausgenommen sind.
Schließlich mache ich mich auf den Weg zu Dean & David, mein Magen knurrt fürchterlich. Doch ich habe endlich Glück: Es gibt – gegen eine Pfandgebühr von 8 Euro – eine Mehrweg-Schüssel zum Mitnehmen, prominent drapiert direkt an der Kasse. "Das nutzen auch sehr viele unserer Kunden", erzählt ein Mitarbeiter. "Vor allem, weil es jedes Mal, wenn man sich für den Mehrwegbehälter entscheidet, ein Topping on top gibt." Früher hätten sie solche Behältnisse auch für Kaffee und Säfte angeboten, das aber wurde gar nicht genutzt, "weswegen wir das wieder abgeschafft haben".
Ich bin trotzdem froh, endlich etwas zum Essen gefunden zu haben und bestelle mir die Bowl zum Mitnehmen. Und nicht nur bekomme ich ein zusätzliches Topping, ich spare auch noch Geld. Denn passend zum Veganuary gibt es eine Aktion, dass man bei jedem Hühnchen-Gericht, wo man die vegane Chicken-Alternative wählt, einen Euro spart. Jackpot!
Meine Streiftour durch Hamburg hat mir deutlich gemacht, was ich fast schon befürchtet hatte: Die Mehrwegangebotspflicht klingt in der Theorie zwar gut, aber wenn die Läden und Gäste nicht mitmachen und das Ganze nicht kontrolliert wird, bringt das alles nichts.
Und genau diese Befürchtung hatte auch die Deutsche Umwelthilfe. Thomas Fischer, Bereichsleiter für Kreislaufwirtschaft bei der DUH, erklärte gegenüber watson:
Seine Befürchtung: Kund:innen können auch weiterhin ohne Nachteile Einweg-Plastikschalen oder -becher nutzen. Schließlich müsse Mehrweg ihnen lediglich als Alternative zur Verfügung gestellt werden. Auch gebe es diverse Schlupflöcher für die Betriebe.
Deswegen fordert die DUH die Verwendung von einheitlichen Mehrwegsystemen und eine Abgabe von mindestens 20 Cent auf Einweg-Becher, -Boxen und -Besteck. "Nur so erhalten Kundinnen und Kunden einen echten Impuls, Mehrweg gegenüber Einweg vorzuziehen", betont Fischer.