"Keine Geschäfte mit Russland – Embargo für russisches Öl und Gas!", schreit Eva Yakubovska heiser ins Mikrofon. Die 27-jährige Ukrainerin steht eingewickelt in eine blau-gelbe Ukraineflagge auf einer Bühne im Invalidenpark und blinzelt gegen das Sonnenlicht in die Menschenmenge, die sich an diesem Freitagmittag auf dem Platz zwischen Wirtschafts- und Klimaschutzministerium sowie dem Verkehrsministerium versammelt hat. Unter ihnen sind aufgeregte Grundschüler, Teenagergrüppchen, aber auch ältere Menschen. Am Rande des Trubels steht eine Gruppe mehrerer Senior*innen mit riesigen Plakaten.
"Wir stehen heute hier für die Ukraine und für eine Zukunft mit demokratischen Werten ohne lebensbedrohliche Konsequenzen! All together: Stand with Ukraine!", schallt Evas Stimme wieder und wieder aus den Lautsprechern, bis sich die Rufe mit dem Applaus und einsetzender Musik vermischen.
Zum zehnten Mal hat Fridays for Future an diesem Freitag zum globalen Klimastreik aufgerufen – und dennoch war es eine Premiere: International und auch deutschlandweit demonstrierten Menschen in über 300 Städten dieses Mal für Klimagerechtigkeit und mit Fokus auf die Ukraine auch für Frieden. Nach Angaben der Polizei sind allein in Berlin für den Protest rund 10.000 Teilnehmende im Regierungsviertel zusammengekommen.
"Wir freuen uns total über diese riesige Solidarität mit der Ukraine, aber das Wichtigste heute ist, dass wir hier zusammen gegen das russische Regime kämpfen", sagt Eva leise, als auf der Bühne nun das Rapper-Duo Sechser anfängt, über Auffanglager und Flüchtlingswellen zu rappen.
Sie ergänzt gegenüber watson:
Ihre Stimme bricht und sie dreht sich zu einer Freundin um, die sie mit wenigen Worten auf Ukrainisch beruhigt.
Nur wenige Meter entfernt von ihnen streckt Markus eine blau-gelb bemalte Schneeschaufel in die Höhe. "Pullover statt Gas – Ölstop heute!" hat er noch heute morgen auf beide Schaufelseiten gemalt. "Ich bin heute zwar alleine unterwegs, aber bei uns ist Klimaprotest Familiensache", erzählt der 63-Jährige. "Heute hier zu sein ist mir wichtig, seit gestern habe ich auch meine Gasheizung abgestellt und nutze lieber den Elektroheizer und Solarzellen auf dem Dach", sagt er. "Ich will mich nicht abhängig machen von einem menschenverachtenden Regime wie Russland!"
Inzwischen haben sich noch mehr Menschen auf dem Invalidenplatz versammelt – unter ihnen auch Luise, Anouk und Theresa. Die drei Mädels aus der elften Klasse hätten gerade eigentlich noch Unterricht, eine der letzten Stunden vor einer wichtigen Klausur, die auch ins Abiturzeugnis zählen wird. Aber heute hier zu sein ist ihnen wichtiger: "Zu kommen stand für uns eh schon seit Monaten fest, aber heute setzen wir ja zusätzlich auch ein Zeichen für Frieden. Dazu hat ja auch Selenskyj erst aufgerufen, dass es wichtig ist, sich umso mehr zu positionieren auf Friedensdemos", erzählt die 17-jährige Luise. "Man kann zumindest versuchen, ein Zeichen zu setzen, weil wir können hier noch unsere Meinung frei äußern – anders als die Leute in Russland. Und dann müssen wir diese Chance auch nutzen, die wir haben!"
Etwas weiter entfernt von den dröhnenden Lautsprechern haben sich auch die "Omas for Future" zum Streik versammelt. Auch ihnen ist es wichtig, heute wieder mit dabei zu sein, wie Katarina Dietze erklärt: "Wir sehen ganz speziell unsere Aufgabe darin, gerade ältere Personen ein Stück weit für Klimaschutz zu sensibilisieren. Wir gehen dafür oft in Seniorenheime und versuchen immer wieder, diese Grätsche zwischen Alt und Jung zu überwinden und alle darin zu unterstützen, die Folgen der Klimakrise immer wieder innerhalb der Familie zu diskutieren. Denn manchmal erreicht man doch noch einen Sinneswandel, wenn einen das eigene Enkelkind auf Umweltthemen anspricht", sagt sie. "Die Alten haben ja Angst vor Verzicht, es geht ja eigentlich um die Reduzierung von Verschwendung", sagt Dietze. "Ich wurde noch so erzogen, dass man keine Energie und keine Lebensmittel verschwendet. Wir versuchen einfach diese Erinnerung an 'Weniger ist Mehr' zurück zu holen."
Inzwischen setzt sich die Menge an Demonstrierenden zu Fuß, mit Bollerwägen oder auf Fahrrädern langsam in Bewegung. Ihr Ziel: das Brandenburger Tor. Dort wollen sie die deutsche Regierung ein weiteres Mal an ihre Verantwortung für Frieden und Klimagerechtigkeit erinnern.