In Skigebieten in Deutschland, Österreich und selbst der Schweiz bietet sich mitten in der Hauptsaison ein absurdes Bild: Vereinzelte weiße Flecken stechen auf sonst braun-grünen Berghängen ins Auge.
Die Flecken sind extra künstlich beschneite Pisten, denn bisher hat es nirgendwo ausreichend geschneit.
Dennoch tummelten sich besonders zu Neujahr wieder Tausende Skifahrende und Snowboarder:innen auf den Abfahrten, allerdings oft enger gedrängt, als in den vergangenen Jahren. Zu mehr Fahrplatz fehlte der (Kunst-)-Schnee.
Der Platz ist begrenzt, der Ansturm weiter hoch – doch wie lange geht das noch gut? Welche Folgen die "immerweißen" Skipisten auf die Bergwelt haben und ob Skigebiete auch nachhaltig funktionieren könnten, beantwortet watson für euch.
Für Kunstschnee wird üblicherweise Schmelz- und Regenwasser verwendet, das übers Jahr in extra angelegten Sammelstellen aufgefangen wurde. Diese Sammelstellen nennen sich "Beschneiungsteiche". Um daraus Schnee zu machen, wird das Wasser in den Düsen einer Schneekanone oder einer Schneelanze sehr fein zerstäubt und anschließend rausgepustet. Im trockenen Luftstrom verdunstet ein Teil der Wassertropfen und entzieht der Umgebung Wärme. So kann der andere Teil gefrieren und als kleine Eiskristalle zu Boden fallen. Der Prozess frisst Energie.
Je wärmer die Außentemperaturen sind, desto schwieriger gestaltet sich dieses Verfahren – denn das angesammelte Wasser reicht nicht: "So gibt es bereits Skigebiete, die die Beschneiungsteiche bei Bedarf durch hochgepumptes Grundwasser befüllen", sagt Maximilian Witting. Er ist Experte für Klimawandel und Wintersport an der Ludwig-Maximilians-Universität München und beobachtet den Zustand von verschiedenen Skigebieten, vor allem in deutschen Bergregionen.
Auf Anfrage von watson erklärt er:
Gerade in Zeiten von steigenden Energiekosten ist das ein wunder Punkt. Vor allem da dieser Energiebedarf noch zu einer Liste anderer Energiefresser im Skigebiet hinzukommt: Liftanlagen, Skimobile und Schneeraupen fahren vielerorts unter Einsatz von Benzin und Diesel.
Auch ohne dass Schnee extra eingeflogen wird – wie dieses Jahr bereits in den Schweizer Skiorten Wengen, Adelboden und Gstaad – benötigt das Präparieren von Pisten Tonnen von Energie.
So benötigen mehrere Schneekanonen für die Beschneiung von allein einem Hektar Piste mindestens 15 Megawattstunden im Jahr. Für die Beschneiung eines 2000 Hektar großen Skigebiets wären das 32.500 Megawattstunden im Jahr. Um das in verständliche Relationen zusetzen, hat die "News WG"-Redaktion berechnet, dass mit derselben Energiemenge 4.232 Klassenzimmer beheizt werden könnten.
"Durch das Planieren, also Festdrücken des Schnees, kommt es zu einer Verdichtung des Bodens", erklärt Wintersportexperte Witting weiter. Damit kann Oberflächenwasser auf planierten Böden weniger gut versickern. "Bei Starkregenereignissen kann dies zu erhöhter Bodenerosion führen."
Für jede Piste wird Bergwald entwurzelt. Der festigt mit seiner tiefen Durchwurzelung eigentlich den Boden auch in steilen Lagen. Darüber hinaus ist er ein Wasserspeicher. Fehlt er, kann er auch keinen Murgang aufhalten, also einen Erdrutsch, bei dem ein Strom aus Schlamm und gröberem Gesteinsmaterial im Gebirge schnell talwärts fließt.
Versickert nur noch wenig Wasser, trocknet der Boden aus und es kommt langfristig zum Grundwassermangel. Aber auch wenn die Hänge nicht länger planiert würden, hätte es die Vegetation schwer, sich wieder auszubreiten. Der Grund: Für den Fahrspaß auf ebener Piste wurden die Bäume nicht nur abgeholzt, sondern entwurzelt. Dadurch fehlen die nötigen Wurzelstrukturen.
Die Umweltfolgen von planierten Skipisten sind mittlerweile weit bekannt. Aber viele Menschen wollen heute nicht mehr nur Ski auf der Piste fahren. Nach Angaben des Deutschen Alpenvereins (DAV) hat sich die Zahl der Skitourengeher:innen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt (Stand: Juli 2021).
So gab es 2021 in Deutschland mehr als 500.000 Skitourengänger:innen. Um das Jahr 2000 waren noch deutlich unter 200.000 Menschen auf Tourenskiern unterwegs. Eine gute Entwicklung?
"Wenn Sie auf den CO₂-Fußabdruck abzielen, dann ist dieser beim Skitourengehen im Schnitt geringer (als beim Skifahren). Auch, weil diese Sportart auf Naturschnee ausgeführt wird", ordnet Witting ein. Jedoch betont er:
Auch da brauche es Sensibilisierung und Rücksichtnahme der Sportler:innen auf den Naturraum, in dem sie sich bewegen.
Aktuell gibt es noch keine gesetzlichen Vorgaben, an die sich Skigebiete halten müssen. Witting, dessen Forschungsschwerpunkt auf Mensch-Umwelt-Beziehungen im Wintersport liegt, stellt klar:
Allerdings würden gerade viele Orte versuchen, sich von der Abhängigkeit vom Winterskitourismus zu lösen. Auch angesichts der hohen Instandhaltungskosten durch die hohen Temperaturen. "Das muss nicht heißen, dass es in den Regionen keinen Wintersport mehr gibt. Eher, dass dieser nicht mehr eine solch starke Rolle spielt, wie es in der Vergangenheit der Fall war", erklärt er.
Je nachdem, wie der Naturraum in der Region aussieht und welche touristische Infrastruktur schon vorhanden ist – also Hotels, Aufstiegshilfen, Wander- oder Biketrails –, sollten betroffene Gebiete versuchen, auf verschiedene schnee-unabhängige Angebote umzusatteln oder die übrigen Saisons (Frühling, Sommer und Herbst) zu stärken. Der größte Knackpunkt ist und bleibt aber weiterhin der CO₂-Fußabdruck der An- und Abreise.
Hier würden immer mehr Gebiete versuchen, beispielsweise bessere Mobilitätsmöglichkeiten durch eine Anreise mit der Bahn oder verfügbare Räder vor Ort anzubieten. "Ob und wie schnell die Skiorte diese Umstellung aber vorantreiben, hängt auch davon ab, wie sehr sie von den sich verschlechternden Schneebedingungen betroffen sind", fasst der Experte zusammen.