Die deutsche Debatte über einen Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke nach dem geplanten Atomausstieg wird angesichts des Ukraine-Krieges und der aktuell gestiegenen Energieknappheit immer heftiger geführt. Regelmäßig fällt der Blick dabei auch auf das Nachbarland Frankreich: Hier spricht Präsident Emmanuel Macron von einer "Renaissance der Atomkraft", aktuell hat er den Bau von bis zu 14 neuen Atomreaktoren angekündigt. Die Atomenergie stehe im Zentrum der französischen Klimaschutzpolitik, betonte er.
Gleichzeitig leidet das Land unter einer noch nie dagewesenen Dürre. "Diese Trockenheit ist die schlimmste, die in unserem Land jemals verzeichnet wurde", schrieb Premierministerin Élisabeth Borne in einer offiziellen Pressemitteilung der französischen Regierung.
Allerdings benötigen Atomkraftwerke zwingend Wasser, um sowohl aktive als auch bereits inaktive Brennelemente im Reaktor eines AKWs zu kühlen. Werden sie nicht durch einen konstanten Wasserdurchlauf gekühlt, oder bleiben sie längere Zeit trocken, werden sie stark beschädigt – und eine Kernschmelze kann einsetzen.
Doch wie zuverlässig sind Frankreichs Atomkraftwerke, wenn das Wasser fehlt, das sie zur Kühlung benötigen? Im Q&A beantwortet Watson die wichtigsten Fragen.
Die Kraftwerke pumpen Wasser zur Kühlung und stoßen dieses später wieder aus. Je nach Werk darf das Wasser, das wieder in die Natur zurückgeführt wird, eine bestimmte Temperatur nicht übersteigen. Wegen der Hitzewelle in Teilen Frankreichs gab es zuletzt aber vereinzelt vorübergehende Ausnahmeregelungen, die eine etwas höhere Wassertemperatur erlaubten. Von Kühlungsproblemen berichtete eine Sprecherin des Energiekonzerns Électricité de France (EDF) nicht. Doch was passiert, wenn es aufgrund der anhaltenden Dürre in Frankreich nicht mehr genügend Wasser gibt, um die Atomkraftwerke zu betreiben?
Aufgrund des fehlenden Kühlwassers müssen immer wieder Kraftwerke gedrosselt werden, wie zuletzt im Werk Saint-Alban. Statt 1300 Megawatt können dort derzeit nur 260 Megawatt geliefert werden.
Mehr als die Hälfte der französischen Atomreaktoren läuft derzeit nicht. Wie eine Sprecherin des Energiekonzerns EDF der Deutschen Presse-Agentur sagte, sind aktuell nur 27 der 56 Meiler verfügbar. Bedingt sei das durch umfangreiche geplante und vorübergehende Instandhaltungsarbeiten, von denen wegen der Corona-Pandemie zuvor einige verschoben werden mussten. Zudem seien auch Meiler außer Betrieb, weil dort Untersuchungen zur Bildung von Rissen laufen würden, nachdem der Konzern EDF zu Jahresbeginn teils Mängel festgestellt hatte.
Trotzdem sagte Energieministerin Agnès Pannier-Runacher dem Sender LCI Ende Juli, dass 18 Meiler in den kommenden Wochen wieder hochgefahren werden sollen.
Frankreichs Kernkraftwerke machen dem Handelsblatt zufolge 30 Prozent des nationalen Wasserverbrauchs aus. Während aufgrund der Dürre zahlreiche Gemeinden in Frankreich Wasser sparen müssen, Gärten und Golfplätze nicht mehr gegossen werden, Autos nicht mehr gewaschen und Pools nicht neu gefüllt werden sollen, scheint es umso absurder, dass die Kraftwerke weiterhin in Betrieb sind. Doch weil das Land auf die erzeugte Energie angewiesen ist, wurden Ausnahmeregelungen für die Atomkraftwerke beschlossen – damit so viele von ihnen wie möglich in Betrieb bleiben können.
Die Ausnahmegenehmigungen gelten seit dem 6. August, vorerst bis zum 11. September. Wie französische Medien berichten, könnten die Flüsse zu warm werden, um die Reaktoren überhaupt noch ausreichend zu kühlen. Die Überhitzung könnte gravierende Folgen für die Umwelt haben. Umweltschutzorganisationen wie France Nature Environnement befürchten beispielsweise, dass viele Fische aussterben und sich aggressive Arten durchsetzen könnten.
Umweltexpertin Anne Bringault vom Reseau Action Climat räumte zwar ein, dass es schwierig sei, den genauen Einfluss zu beziffern, da für die aktuelle Situation Daten und Beweise fehlten. AKWs waren bisher schon abgeschaltet worden, bevor die Flüsse eine bestimmte Temperatur erreicht hätten. Der Tagesschau gegenüber bestätigte sie aber:
Dass die Biodiversität unter den Ausnahmeregelungen für die Kraftwerke leidet, scheint ein Konsens unter Umweltaktivist:innen zu sein. Und auch wie stark die bereits vertrockneten Flüsse von dem heißen Wasser der Atomkraftwerke geschädigt wurden, wird sich erst noch zeigen.
(mit Material der dpa)