Einfach mal ausspannen und den Alltagsstress vergessen, das ist für viele in der aktuellen Weltlage wichtiger denn je. Wofür die einen All-Inclusive-Urlaub auf Mallorca buchen, brauchen andere endlich einmal wieder Zeit an der frischen Luft.
Wandern, wohl eines der ältesten Hobbys der Deutschen, kann dabei Abhilfe schaffen und wird aktuell auch wieder beliebter bei jungen Menschen. Ganz oben auf der Bucketlist steht dabei auch der Jakobsweg, der nicht erst seit dem bedeutungsschwangeren Ausflug von Hape Kerkeling im Fokus der Öffentlichkeit steht.
Doch gerade weil viele den Jakobsweg als Chance sehen, einmal allein den Sinn des Lebens zu erkunden, scheint dieser auch erhebliche Risiken mit sich zu bringen. Denn gleich mehrere Frauen berichten mittlerweile von Übergriffen während ihrer Pilgerreise über den Jakobsweg.
"Sexuelle Belästigung gehört auf dem Camino zum Alltag. Es fühlt sich beinahe gewöhnlich an", erklärt Lorena Gaibor gegenüber dem "Guardian". Sie hat die Gruppe "Camigas" gegründet, in der sich weibliche Pilgerinnen vernetzen und austauschen können.
Seit Jahren gäbe es innerhalb des Netzwerks Frauen, die von Übergriffen berichteten. Im Jahr 2015 sorgte ein Vermisstenfall aus Spanien für Aufregung, bei dem später der Mord an einer Wanderin bestätigt wurde.
Allein gegenüber dem "Guardian" sprachen nun neun Frauen ausführlich über ihre Erlebnisse mit sexueller Übergriffigkeit auf dem Jakobsweg in den vergangenen fünf Jahren. Sieben von ihnen wurden Zeuginnen von Männern, die sich mitten auf dem Wanderweg entblößten und begannen zu masturbieren.
Eine Betroffene berichtet der britischen Zeitung, dass gleich mehrere Männer sie ungefragt berührt oder sexuell belästigt hätten. Eine weitere berichtet von einem Lieferwagen, in dem ein Mann sie zum Einsteigen nötigen wollte.
"Diese Routen gelten als sicher für Frauen und es gilt als Tabu, etwas Gegenteiliges zu sagen", erklärt die Autorin Marie Albert. Laut offiziellen Zahlen wanderten im vergangenen Jahr mehr als 200.000 Frauen über den Jakobsweg durch Spanien und Portugal, ein Großteil davon auch allein.
Im Jahr 2021 startete die spanische Regierung eine Kampagne, im Rahmen derer inzwischen 1600 Informationspunkte aufgestellt wurden. Wander:innen können an diesen Stellen in mehreren Sprachen Auskunft über Unterstützungs- und Kontaktmöglichkeiten im Notfall erhalten.
Auf eine Anfrage des "Guardian" nach einer Liste über registrierte Straftaten erklärte die Delegation der spanischen Zentralregierung in Galicien jedoch, dass ihr keinerlei Fälle sexueller Aggression bekannt seien.
Sechs der neun Frauen, die der Zeitung ihre Geschichte erzählten, hatten den Übergriff angezeigt. In nur einem Fall wurde der Täter allerdings strafrechtlich verfolgt. Die Polizei in Portugal berichtet von fünf Fällen im Jahr 2023, Festnahmen gab es hier wiederum keine.
"Man muss immer ein Gleichgewicht finden zwischen Warnung und Beunruhigung", betont Johnnie Walker, Administrator eines weiteren Wanderforums für den Jakobsweg. Durch die Häufung der Fälle fühlte er sich mittlerweile aber dazu berufen, das Thema weiter an die Öffentlichkeit zu tragen.