Ein Video der Sängerin Mine machte es erst kürzlich erneut deutlich: Die Stimmung in deutschen Zügen ist zunehmend aggressiv. Während die Künstlerin in einem ICE von betrunkenen Fußballfans angepöbelt wurde, sind auch andere Gewalttaten in der Bahn längst keine Seltenheit mehr.
Allein im Jahr 2023 erfasste die Bundespolizei 25.640 Gewaltdelikte an Bahnhöfen und in Zügen in Deutschland. Besonders für viele weibliche Personen erzeugt das ein Umfeld der Angst, seit Jahren geben sie in Umfragen die Bahn als unsicherstes Verkehrsmittel an. Mit einem Vorstoß der Grünen will man aus diesem Grund nun eine klare Schutzmaßnahme ergreifen.
Antje Kapek, die verkehrspolitische Sprecherin der Partei in Berlin, sprach sich am Montag gegenüber der "Bild" für ein Konzept aus, das so beispielsweise bereits in Tokio Anwendung findet. Außerhalb der Stoßzeiten fordert sie, dass in Berliner U-Bahn einzelne Waggons nur für Frauen reserviert werden. Diese hätten ihr zufolge "einen übergeordneten Schutzbedarf“.
Wie der "Tagesspiegel" berichtet, stieg die Zahl sexueller Straftaten im öffentlichen Nahverkehr in Berlin zwischen 2017 und 2023 von 295 auf 391 Fälle. Die Opfer sind laut Polizeistatistik zu 89 Prozent weiblich.
Konkret spricht sich Kapek nun dafür aus, dass jeweils der Wagen hinter dem Fahrer nach der Rushhour ausschließlich weiblichen Personen vorbehalten ist. In Tokio ist das etwa zwischen 17 und 21 Uhr abends und morgens vor 10 Uhr der Fall.
Eine weitere Maßnahme müssten laut Kapek explizit markierte Zonen an den Bahnhöfen sein, an denen Videoüberwachung und Notrufsäulen zu finden sind. "Im Zug habe ich keine Angst, aber manchmal auf Bahnhöfen – und eher schon auf dem Weg zur Haltestelle", erklärt die 48-Jährige der "Bild".
Bereits jetzt gibt es in Berlin wie in vielen anderen Städten entsprechende Notrufsäulen, über die Betroffene "Tag und Nacht" direkt Kontakt zu den Verkehrsbetrieben aufnehmen können. "Drücken ist ausdrücklich erlaubt!", erklärt eine Sprecherin der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) auf Anfrage von watson.
"Ebenso verfügen auch alle Fahrzeuge über Alarm- oder Notrufeinrichtungen, über die man direkt mit den Fahrer:innen verbunden wird", heißt es vom Unternehmen. Ähnlich äußert sich ein Sprecher zur Situation bei der Berliner S-Bahn. "Die DB betreibt aktuell rund 10.000 Kameras an rund 800 Standorten, das sind rund 2.000 Kameras mehr als 2020", heißt es auf watson-Nachfrage von einem Bahnsprecher. Auch in den würden 80 Prozent der Flotte videoüberwacht.
Auf den Vorstoß von Kapek nach einem Extra-Wagen in den Berliner U- und S-Bahnen ging allerdings weder die BVG noch die DB in ihrer Antwort ein.
Stattdessen nennen die Unternehmen jene Maßnahmen, mit denen man aktuell schon dem Anspruch nach einem "guten Gefühl" für alle gerecht werden möchte, so die BVG. Eine zeitweise Umrüstung der Waggons nur für Frauen dürfte indes allein aus Gründen der mangelhaften Kontrollierbarkeit schwierig umsetzbar sein.
Die BVG verweist stattdessen auf den bereits bestehenden Sicherheitsdienst, der "personell und technisch kontinuierlich ausgebaut" werde. An Schwerpunktbahnhöfen sind demnach auch Streifen gemeinsam mit der Polizei unterwegs. Gleiches teilt die Deutsche Bahn auf watson-Nachfrage zur Berliner S-Bahn mit.
Hintergrund der aktuellen Debatte ist ein Fall aus dem Februar, bei dem eine Frau in einer U-Bahn im Berliner Südwesten vergewaltigt wurde. Die Polizei konnte den Täter später festnehmen.