Im Tennis steht der Court, auf dem die Spieler antreten, immer im Mittelpunkt. Aktuell ist es allerdings nicht der Center Court. Der wird aber spätestens ab 17. Januar bei den Australian Open in den Fokus rücken. Vielmehr war in den letzten Tagen der Federal Circuit Court of Australia im Mittelpunkt. Also der Gerichtssaal, in dem Novak Djokovic zunächst gewonnen hat, in dem sein Visum für gültig erklärt wurde.
Dennoch tauchten seit dem Gerichtsprozess vom Montag neue Ungereimtheiten auf. Beispielsweise hat Djokovic wohl bei seiner Einreise am Flughafen gelogen. Australische Medien berichten von Dokumenten, in denen er unter anderem die Frage beantworten musste, ob er in den vergangenen 14 Tagen gereist sei. Der 34-Jährige, der in Monaco lebt, antwortete mit "Nein", aber er war offenbar in Spanien und Serbien gewesen. Das belegen verschiedene Bilder in den sozialen Medien.
Aber auch ein zweiter Punkt lässt aufhorchen. Das australische Gericht veröffentlichte nach der Verhandlung eine Datei mit mehreren Dokumenten. Insgesamt waren es 41 Seiten. Darunter auch der QR-Code des Serbischen Instituts für öffentliche Gesundheit. Der QR-Code soll zum PCR-Ergebnis von Djokovic vom 16. Dezember 2021 führen.
Der 34-Jährige hatte erklärt, dass er an diesem Datum positiv getestet wurde und hatte sich bei seiner Ausnahmegenehmigung darauf bezogen, dass er als Genesener nach Australien dürfe. Das Problem: Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" scannte den QR-Code am Montag um 13.19 Uhr. Das Ergebnis: Negativ. Etwas mehr als eine Stunde später, um 14.33 Uhr wurde der Vorgang wiederholt. Das Ergebnis war dann positiv.
Fragen dazu, wie diese unterschiedlichen Ergebnisse bei ein und dem selben QR-Code aufkommen konnten, ob es ein technischer Fehler oder ein Betrugsversuch gewesen sei, ließ das Serbische Institut für öffentliche Gesundheit dem Spiegel gegenüber unbeantwortet.
Dennoch gibt es einige weitere Fragen, die sich im Fall Djokovic stellen. Beispielsweise, ob er durch die negativen Schlagzeilen der letzten Tage und die Diskussion um seine Einreise, seinen Impfstatus und seine Teilnahme an den Australian Open auch langfristig an Ansehen verlieren wird.
Markenexperte Christopher Spall erklärt gegenüber watson zunächst grundsätzlich:
Für Spall kam die Djokovic' Einreise per Sondergenehmigung jedoch nicht überraschend. Laut dem Markenexperte ist der Serbe nicht "aalglatt" und polarisiere und würde deshalb anecken. "Im Grunde ist es nicht überraschend, dass er sich die Sondergenehmigung eingeholt hat. Es passt ins Bild."
Zur Polarisierung trägt aber nicht nur Djokovic selbst bei. Auch sein Vater hat diese Art der Kommunikation perfektioniert. Während Novak Djokovic im Hotel festsaß, in dem Asylbewerber untergebracht werden, verglich Vater Srdjan Djokovic seinen Sohn mit Jesus. "Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns. Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun."
Markenexperte Spall schätzt, dass das konsequente Anecken und Einreisen mit der Ausnahmeregelung bei den Fans in der serbischen Heimat gut ankomme. Es könne sogar "den Halbgottkult" befeuern, weil die Fans es als Bestätigung sehen könnten, "dass sich Djokovic nicht verbiegen lässt, sich nicht unterordnet und glaubwürdig bleibt."
Dennoch sei es ein großer Fehler gewesen, ungeimpft nach Australien zu reisen, um an den Australian Open teilnehmen zu wollen. "Der Wunsch, den 21. Grand Slam unbedingt jetzt zu gewinnen und erfolgreichster Tennisspieler aller Zeiten zu werden, scheint so groß, dass er seine gesellschaftliche Rolle völlig außer Acht gelassen hat." Weil Australier mit dem gleichen Corona-Status während der Pandemie nicht in ihre Heimat reisen durften und von ihren Familien getrennt wurden, sei es "nicht vermittelbar", wenn nun ein Tennisspieler nach Australien reisen dürfe.
Gleichzeitig sei Djokovic' großer Fehler nicht die fehlende Impfung gewesen – wenngleich es auch aus Spalls Sicht besser wäre, wenn sich Djokovic impfen lassen würde. Der große Fehler sei es gewesen, trotz fehlender Impfung nach Australien geflogen zu sein und somit für Tatsachen und eine Konfrontation gesorgt zu haben.
"Selbst wenn er den 21. Grand Slam gewinnt, wird er zwar der erfolgreichste Tennisspieler sein, aber niemals der größte. Größe setzt sich nicht nur aus Erfolgen zusammen, sondern auch stark durch die Strahlkraft und Vorbildfunktion." Rafael Nadal und Roger Federer seien Djokovic hier eindeutig voraus.
Spall zeigt aber auch einen Ausweg für Djokovic an, für den es noch nicht zu spät sei. Aktuell kann Alex Hawke, der australische Einwanderungsminister, ihm noch das Visum entziehen. Eine Entscheidung wird am Mittwoch erwartet. "Um die Situation zu retten und auch auf der menschlichen Ebene Größe zu zeigen, sollte er öffentlich eingestehen, dass er einen Fehler gemacht hat und ankündigen, dass er in diesem Jahr nicht an den Australian Open teilnimmt. Egal, was die Gerichte entscheiden."
Dafür sei aber schnelles Handeln unbedingt notwendig. "Er muss agieren, bevor die australische Regierung entscheidet, damit glaubhaft ist, dass er zur Einsicht gekommen ist." Andernfalls könnten bei einer Teilnahme die Australian Open 2022 "immer ein schwarzer Fleck in seiner Karriere bleiben".
Dass der Tennissport langfristig durch die Schlagzeilen von Djokovic beeinflusst wird und junge Menschen aufhören mit dem Sport, glaubt Spall nicht. "Meines Erachtens gibt es mit Roger Federer und Rafael Nadal zwei Marken, die mindestens genauso stark sind", erklärt der Markenexperte.
Wie unterschiedlich Menschen zu Djokovic stehen, zeigt eine Umfrage des Meinungsinstitut Civey, die watson exklusiv in Auftrag gab. Dabei wurden zwischen dem 7. und 11. Januar 2022 über 5000 Menschen gefragt, ob Spitzensportlerinnen und Spitzensportler, die nicht geimpft sind, nach Meinung der Befragten von Turnieren ausgeschlossen werden sollten?
Insgesamt ist eine überwiegende Mehrheit für den Ausschluss von ungeimpften Sportlern. Insgesamt 72 Prozent beantworteten die Frage mit "Ja". Sechs Prozent waren unentschlossen und 22 stimmten für "Nein".
Besonders, wenn diese Frage nach Altersgruppen geordnet wird, fällt auf, dass jüngere Menschen weniger Probleme mit ungeimpften Spitzensportlern haben. Bei den 18- bis 29-Jährigen wollten lediglich 62 Prozent einen Ausschluss von ungeimpften Spitzensportlern und -sportlerinnen. 30 Prozent waren dagegen. In der ältesten Zielgruppe, den über 65-Jährigen befürworteten 86 Prozent einen Auschluss. Nur elf Prozent stimmten gegen ein Teilnahmeverbot.
Männer und Frauen unterscheiden sich hingegen nur geringfügig. Während Männer zu 73 Prozent einen Ausschluss befürworten, sind es bei Frauen lediglich 71 Prozent. 22 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen hätten wiederum nichts dagegen, wenn auch ungeimpfte Sportler und Sportlerinnen an Turnieren teilnehmen.
Aufgeschlüsselt nach den Wahlabsichten der Befragten sind Wähler der SPD (90 Prozent), der Grünen (86 Prozent) und der CDU/CSU (81 Prozent) am strengsten gegenüber ungeimpften Sportlern und Sportlerinnen. Anhänger der AfD wiederum haben die wenigsten Probleme (17 Prozent) mit ungeimpften Teilnehmern an Turnieren.
Ob Djokovic am Ende wirklich bei den Australian Open ab 17. Januar teilnimmt, wird sich in den nächsten Tagen noch zeigen. Dass Tennis aber ab Montag wieder hauptsächlich auf dem Center Court, der in Australien die Rod Laver Arena ist, stattfindet, ist garantiert. Offen nur, ob auch Djokovic dann seine Aufschläge servieren darf und wird.