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Absturz eines Formel-1-Weltmeisters: Warum Sebastian Vettel so tief gefallen ist

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Ferrari-Pilot Sebastian Vettel erlebt eine unterirdische Saison. Die nächste fährt er für Aston Martin.Bild: imago images / imago images
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Der Absturz eines Formel-1-Weltmeisters: Warum der einstige Held Sebastian Vettel so tief gefallen ist

14.12.2020, 12:18
maik mosheim
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Heute ging eine Ära zu Ende: Der deutsche Formel-1-Pilot Sebastian Vettel hat sein letztes Rennen für Ferrari bestritten. Es war eine Ära, die geprägt war durch Rückschläge, Rivalität und Unzufriedenheit. Und die im Jahr 2020 ihren traurigen Höhepunkt fand.

Platz 13 in der WM-Gesamtwertung mit gerade einmal 33 Punkten stehen für Vettel nach dem Saisonfinale in Abu Dhabi zu Buche.

Beim Sieg des Niederländers Max Verstappen im Red Bull war der viermalige Formel-1-Weltmeister einmal mehr chancenlos, fuhr auf den 14. Platz. Mal wieder keine Punkte.

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Sebastian Vettel in seinem Auto beim Großen Preis von Abu Dhabi. Bild: dpa / Kamran Jebreili

Die schlechteste Punkteausbeute in seiner Karriere

Vettels vergangene Platzierungen machen das Debakel dieser Saison noch klarer: Platz drei beim Großen Preis der Türkei, Platz sechs in Ungarn und Platz sieben in Spanien – und dazu noch viermal Platz zehn. Mehr nicht. Von einem viermaligen Weltmeister. Und auch wenn fairerweise gesagt werden muss, dass sein letzter Titel aus dem Jahr 2013 stammt – die 33 WM-Punkte im Jahr 2020 sind nicht umsonst das schlechteste Ergebnis, das er je eingefahren hat.

Sechs Jahre war er bei Ferrari. Immerhin zweimal Vize-Weltmeister. Doch seit zwei Jahren ging es bergab. Letztendlich wollte Ferrari ihn nicht mehr, machte zur nächsten Saison kein neues Angebot. Auch finanzielle Einbußen durch die Corona-Pandemie sollen eine Rolle gespielt haben. Am Ende wurde Vettel sozusagen ausrangiert.

Doch der Absturz des einstigen Vorreiters der Formel 1 hat mehrere Gründe. Einer davon ist sicherlich das Auto. Schon vor dem Beginn der Saison war klar: Das Ferrari-Auto wird in diesem Jahr nicht um den Titel mitfahren können.

Grund 1: Das Ferrari-Auto

Der "SF1000", das Vettel-Auto dieser Saison, verfügt anders als 2019 über einen der schlechtesten Motoren im Feld. Das stellte Ferraris Teamchef Mattia Binotto im September in einem Interview mit der italienischen Zeitung „Corriere della Serra“ fest. "2019 konnten wir die Einschränkungen des Autos mit dem Motor kaschieren", sagte Binotto. 2020 ist das nicht mehr möglich.

Doch die Schuld allein beim Auto zu suchen, wäre zu kurz gedacht. Denn Vettels Teamkollege Charles Leclerc saß im gleichen Auto, holte aber fast das Dreifache an Punkten. Zwei Podestplatzierungen und drei vierte Plätze sind zwar auch nicht der Anspruch von Ferrari, aber es sind immerhin Erfolgserlebnisse, die Hoffnung machen. Von denen gab es bei Vettel kaum welche.

Das hat auch Vettel bemerkt und sagte noch am Samstagabend vor seinem letzten Ferrari-Rennen am Sonntag zu einem niederländischen TV-Sender: "Es ist ganz offensichtlich ein Rätsel, warum zwischen den Autos so ein großes Delta ist. Ich glaube nicht, dass das Delta bei irgendeinem anderen Team in der Boxengasse so groß ist."

Grund 2: Teamkollege Leclerc war von Anfang an zu gut

Die Personalie Leclerc führt auch gleich zum zweiten Grund für die miserable Vettel-Saison. Und das gleich in zweifacher Hinsicht. Leclerc kam im Jahr 2019 als großer Hoffnungsträger zu Ferrari, der Deutsche sollte dem Monegassen mit seiner Erfahrung helfen und ihn in dessen zweitem Formel-1-Jahr in seiner Entwicklung voranbringen.

2020 Bahrain GP BAHRAIN INTERNATIONAL CIRCUIT, BAHRAIN - NOVEMBER 26: Sebastian Vettel, Ferrari, and Charles Leclerc, Ferrari during the Bahrain GP at Bahrain International Circuit on Thursday Novembe ...
Sebastian Vettel (l.) und Charles Leclerc.Bild: imago images / Steven Tee

Es kam anders, der heute 23-jährige Leclerc lieferte sofort ab, erzielte bessere Ergebnisse als Vettel, gewann ein Rennen mehr und lag auch in der Gesamtwertung am Ende vor ihm. Schon nach seinen ersten guten Ergebnissen begann Ferrari, das vorher auf Vettel abgestimmte Auto mehr an die Wünsche Leclercs anzupassen.

Und das war das große Problem für Vettel, wie der ehemalige Formel 1-Fahrer und heutige Motorsport-Experte Marc Surer gegenüber watson sagt.

"Es gibt zwei Fahrstile, die sich grundsätzlich unterscheiden: Fahrer, die eine präzise Vorderachse und ein loses Heck bevorzugen und Fahrer, die ein stabiles Heck wollen."
Marc Surer

Der Unterschied ist gravierend. Ein loses Heck habe laut Surer den Vorteil, dass "das Auto super in die Kurve einlenkt und sehr schnell die Richtung wechselt". Somit lasse sich das Auto schnell richtig zum Kurvenausgang ausrichten und der Fahrer könne früh Gas geben. Oder vereinfacht gesagt: Ein loses Heck hat einen Vorteil am Ausgang der Kurve.

Vettels Problem: Sein Fahrstil passt nicht mehr zum Auto

Das Gegenteil dazu ist dann das stabile Heck, mit dem man "in die Kurve hinein fast bis zum Scheitelpunkt bremsen" könne, erklärt Experte Surer. Das bedeutet, dass der Vorteil hier am Eingang der Kurve liegt, da man schneller einbiegen und hier Zeit gutmachen kann.

Das Problem im Team von Ferrari: Vettel bevorzugt ein stabiles Heck, Leclerc dagegen ein loses. Mit dieser Präferenz stößt er auf prominente Gesellschaft – auch Michael Schuhmacher bevorzugte ebenjenes lose Heck.

"Als Leclerc zu Ferrari kam und gleich erfolgreich war, fing man an, auf seine Wünsche zu hören. Der große Bruch kam dann mit dem 2020er Auto."
Marc Surer

Dieses sei "stärker angestellt" gewesen, also mit einem höheren Heck versehen. Und ein höheres Heck sei immer unstabiler als ein tieferes. Das kam Vettel deshalb überhaupt nicht zugute. "Wenn Vettel jetzt das Auto für seinen Fahrstil einstellt, untersteuert er und verliert damit Zeit", sagt Surer.

Grund 3: Die Rivalität von Vettel und Leclerc

Doch Leclerc war nicht nur wegen seiner Erfolge einer der Gründe für Vettels Absturz. In der Saison 2019 waren die beiden Ferrari-Fahrer zwischenzeitlich auf einem sehr ähnlich guten Niveau unterwegs. Doch immer wieder kosteten teaminterne Streitigkeiten Punkte, beide Fahrer wollten nicht zurückstecken und dem anderen den Vortritt lassen.

11.12.2020, Vereinigte Arabische Emirate, Abu Dhabi: Motorsport: Formel-1-Weltmeisterschaft, Grand Prix von Abu Dhabi, 2. Freies Training: Sebastian Vettel aus Deutschland vom Team Ferrari steuert sei ...
Der "SF1000" mit dem für Vettel zu hohen Heck.Bild: dpa / Giuseppe Cacace

Sinnbildlich dafür steht das Rennen in Sotschi, das immerhin Ferraris vierter Sieg nacheinander hätte werden können. Vettel setzte sich im Rennen über eine Anweisung des Teams hinweg, Leclerc vorzulassen. Am Ende sprang allerdings gar nichts heraus, weil Vettel auf dem ersten Platz liegend mit technischem Defekt ausschied und Mercedes die Gunst der Stunde für einen Doppelsieg nutzte.

Ein Neuanfang bei Aston Martin

Das Hinwegsetzen über Team-Anweisungen und die offensichtlich schwelende Rivalität zeugten davon, dass Vettel seine Vormachtstellung im Ferrari-Team partout nicht aufgeben wollte, es aufgrund der Leistungen aber nicht mehr gerechtfertigt war, dass Vettel diesen Anspruch erhob. Dass das 2020er-Auto eher an Leclercs Wünsche angepasst ist, war da fast schon die logische Konsequenz.

Und Vettel scheint die Zeit bei Ferrari zumindest gut reflektiert zu haben. In einem Interview mit dem "Focus" ließ Vettel jüngst durchklingen, dass er die Schuld für den Absturz auch bei sich selbst sieht. "Natürlich steht man sich manchmal auch selbst im Weg, es gibt sicher auch Dinge, die ich selbst falsch gemacht habe", sagte er.

Doch was wird jetzt aus unserem einst so gefeierten Helden Vettel? In der nächsten Saison wird er für den Rennstall Aston Martin fahren, das das Werksteam Racing Point übernimmt. Geldmittel stehen zur Verfügung, mit Vettel ist ein Aushängeschild gefunden. Vielleicht ist es genau das, was der viermalige Weltmeister jetzt in seiner Karriere braucht. Eine Art Neuanfang. Schlechter als diese Saison kann es sowieso kaum mehr werden.

Nach DFB-Erfolgen: ZDF-Experte Christoph Kramer redet sich in Rage

Bundestrainer Julian Nagelsmann und die Nationalmannschaft haben das geschafft, was ihnen im November noch niemand zugetraut hätte. Mit zwei überzeugenden Auftritten in Frankreich (2:0) und gegen die Niederlande (2:1) hat das DFB-Team Vorfreude auf die Heim-EM im Sommer geweckt.

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