Das Internet ist ein wunderbarer Ort. Diente es einst zur Informationsübertragung etwa zwischen Universitäten, fand es schnell seinen Weg in unseren Alltag. Heute können wir mit einer Handvoll Klicks einen Wocheneinkauf erledigen, mit wenigen Wischern Freunde am anderen Ende der Welt sehen oder uns einfach stundenlang mit niedlichen Katzenvideos berieseln lassen. Die Möglichkeiten sind nahezu endlos.
Man könnte sich auch, ohne jemals den Weg nach Skandinavien gefunden zu haben, einen finnischen Amateurklub suchen und diesen voller Leidenschaft supporten. Klingt abwegig? Diese Geschichte hat sich in Deutschland aber tatsächlich so zugetragen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine von Jonathan Frakes vorgetragene Erzählung, sondern um eine tatsächliche Gegebenheit.
Denn seit April freut sich der finnische Drittligist FC Kiffen aus Helsinki über große Unterstützung deutscher Fans. Wegen seines Namens.
"Für ein Heimspiel sind Fans aus Hamburg angereist, bei einem anderen kamen Leute aus Dresden und München in unser Stadion", berichtet Janne Wikman, Aufsichtsratsmitglied des Drittligisten, stolz im Gespräch mit watson. Für einen Amateurklub, der im Schnitt 250 Zuschauende anlockt, ist das bereits ein bemerkenswerter Andrang.
Wahrlich überwältigend ist aber das, was sich online abspielt. Auf X sind die Kommentarspalten voll mit deutschen Antworten, der Klub postet mittlerweile sogar selbst auf Deutsch. Er informiert seine ausländische Anhängerschaft über anstehende Partien, Aufstellungen sowie Ergebnisse, haut in belustigender Regelmäßigkeit zudem Memes raus.
Auf Social Media findet sich auch der Ausgangspunkt für die unerwartete Aufmerksamkeit deutscher Grasgenießer. Was der Plan des Vereins für 420 sei, wollte ein X-User im Frühjahr wissen. "Kiffen und gewinnen", antwortete der Klub am 19. April trocken. Es war die Geburtsstunde eines Schlachtrufes – und eines kleinen Hypes.
"Es ist unglaublich, wie schnell sich das entwickelt hat. Dank X ist das explodiert", staunt Wikman über die Entwicklung. Sie hat ihn zu einem viel beschäftigten Mann gemacht, denn die ehrenamtliche Tätigkeit im Verein, die er neben seinem Beruf ausübt, umfasst nun auch Interviews. Mit deutschen Medien ebenso wie mit finnischen.
"Wir sollten unsere Social-Media-Admins für die zusätzliche Arbeit die Schuld zuweisen", sagt er mit einem herzhaften Lachen. Ernst meint Wikman das nicht. Denn dieser Mehraufwand ist eigentlich "ein großer Spaß" für die Finnen. Und es ist vor allem auch: lukrativ.
Der Klub hat die Zeichen der Zeit erkannt und mit einem kleinen Marketingcoup reagiert. Die Finnen buddelten ihr Jubiläumstrikot aus, das sie in der Vorsaison ob des 115-jährigen Bestehens des Vereins kurzzeitig getragen und seinerzeit wenig erfolgreich abgesetzt hatten. "Es waren vielleicht 20 oder 30 Stück", erinnert sich Wikman.
Das Design ist nicht sonderlich ausgefallen, das Shirt ist rot-grün gestreift, Kragen und Ärmelenden sind weiß. Was es für die deutschen Fans aber so begehrt macht: Auf der Brust steht in Versalien Kiffen.
Der Amateurklub habe dieses Jahr "hunderte" der Retrotrikots verkauft. "Nicht tausende, noch nicht", schiebt Wikman grinsend nach. Eine zweite Fuhre sei aber geplant, mit dem Produzenten stehe man im Austausch.
Das Trikot hat es in diesem Sommer bereits in deutsche Stadien geschafft, bei einem EM-Spiel trugen es vier Kiffen-Fans in der Düsseldorfer Arena. Zuvor war es auch schon in Leverkusen präsent gewesen. Tomas Hradecký, Bruder von Leverkusen-Schlussmann Lukáš, hat das Trikot zur Meisterfeier der Werkself mitgebracht.
Ein Trikot ohne Name und Rückennummer, auch dreistellige Zahlen sind auf Wunsch der Fans möglich, kostet 89 Euro. Wie hoch die Gewinnmarge für seinen Verein genau ist, will das Vorstandsmitglied nicht verraten. Sie sei aber "gut" und helfe dem Klub in einer schwierigen Zeit.
"Das ist wichtig für unser Budget. Wir hatten vorher unseren Hauptsponsor verloren", berichtet er. Zudem habe man im Jahr zuvor den Aufstieg verpasst. "Da haben uns die Verkäufe enorm geholfen."
Mit Blick auf den deutschen Markt seien weitere Aktionen geplant, über allem steht bei Wikman ein Wunsch: "1955 haben wir mal gegen Werder Bremen gespielt. Wir würden gerne wiederkommen und gegen St. Pauli spielen. Oder gegen ihre vierte Mannschaft, das entspräche eher unserem Niveau."
Die Kiezkicker nennt er nicht von ungefähr als möglichen Testspielgegner, sieht er doch Parallelen zwischen dem Bundesligisten und seinem Verein. "Wir sind mehr als ein Klub, wir sind eine Familie. Man kommt nicht nur fürs Training oder für die Spiele her, sondern um gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen", erklärt er.
Das gelte nicht nur für die Anhängerschaft, sondern auch für die Spieler. Die verreisen jedes Jahr nach dem Ende der Saison, also im November, gemeinsam. "Letztes Jahr waren sie in Wien, davor in Lissabon", erzählt Wikman. Für dieses Jahr steht die Entscheidung noch aus, "wir warten auf Einladungen aus Deutschland".
Sollten diese nicht kommen, könnte die deutsche Anhängerschaft dennoch helfen, dass ein Kiffen-Trip nach Deutschland gelingt. "Die Reise für 25 Leute kostet eine Menge Geld, aber die Fans können uns mit den Trikotverkäufen helfen. Es wäre ein Traum, durch Norddeutschland zu reisen."
Beim letzten Besuch vor 69 Jahren trennten sich die Finnen von Werder mit 3:3. Über den Andrang beim damaligen Freundschaftsspiel ist nichts bekannt, heute dürfte er durch die Entkriminalisierung von Cannabis aber beachtlich ausfallen.
Die Herkunft des Klubnamens hat übrigens eine deutlich weniger spektakuläre Geschichte, als es der Blick durch die deutsche Brille vermuten lässt. Der Verein hieß bei seiner Gründung im Jahr 1908 Kronohagens IF, wurde als KIF abgekürzt. Umgangssprachlich war schnell von "dem KIF" beziehungsweise in dem regionalen Mix aus Finnisch und Schwedisch von "KIF-en" die Rede. Daraus leitete sich für die Fußballabteilung der Name FC Kiffen 08 ab.
Der deutschen Fanbase dürfte die fehlende Verbindung zum Cannabiskonsum herzlich egal sein. Und sollte dieser Punkt einige doch stören, so liefert Wikman einen guten Grund für deutsche Fußballfans, seinem Klub aus der Ferne dennoch die Daumen zu drücken. Er sagt: