Niko Kovac (r.) trainierte den FC Bayern von 2018 bis 2019, wurde dann von Hansi Flick (l.) ersetzt, der jedoch im Sommer 2021 seine Tätigkeit beendet. Bild: www.imago-images.de / Peter Schatz
Analyse
02.05.2021, 09:4202.05.2021, 09:41
Louis van Gaal, Andries Jonker, Jupp Heynckes, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti, Willy Sagnol, wieder Jupp Heynckes, Niko Kovac und nun Hansi Flick: Konstanz auf der Trainerposition sucht man beim FC Bayern vergebens. Neun Trainer in den vergangenen zwölf Jahren sind selbst für europäische Spitzenverhältnisse ziemlich viel. Nun kommt ein weiterer hinzu: Wie die Vereine am Dienstag bestätigten, wird Julian Nagelsmann ab Sommer neuer Chefcoach der Münchner.
"Man kann nicht alle
glücklich machen."
Niko Kovac mit einem Resümee aus seiner Zeit beim
FC Bayern
Dass der Trainer eine enge Verbindung zu Fans und Verein aufbauen kann, wie zum Beispiel Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund oder jetzt in Liverpool, ist in München in den vergangenen Jahren absolut unmöglich gewesen. Dass es der FC Bayern aber auch nicht schafft, einen Trainer länger als drei Jahre zu halten, lag in der Vergangenheit an einfachen Gründen.
Mit Hansi Flick lief es eigentlich so gut. Vorstandboss Karl-Heinz Rummenigge schwärmte nach dem Champions-League-Sieg im September 2020 bereits davon, mit dem Erfolgstrainer und der Mannschaft eine Ära zu prägen. Nun ist die Ära Flick beim Rekordmeister in wenigen Wochen nach gut eineinhalb Jahren aber schon wieder vorbei. Mit einem Vertrag bis 2026 erhoffen sich die Bayern-Bosse nun, dass der 33-jährige Nagelsmann diese Ära in München prägt.
Der Trainer muss alle Spieler hinter sich haben
Dabei gelang Flick das Kunststück, an dem sein Vorgänger Niko Kovac scheiterte und das zuletzt Pep Guardiola (2013 bis 2016) schaffte: Er brachte die gesamte Mannschaft hinter sich. Ein schlechtes Wort über Guardiola oder Flick aus dem Spielerumfeld gibt es nicht. Und das trotz der hohen Anforderungen, die Guardiola an seine Spieler stellt.
Niko Kovac und Guardiola-Nachfolger Ancelotti haben hingegen festgestellt, was passiert, wenn man die Stars der Mannschaft gegen sich aufbringt.
Der 48-jährige Kovac musste sich aufgrund seiner sehr defensiven Aufstellungen immer wieder Kritik gefallen lassen. Zudem degradierte er Thomas Müller zum Ersatzspieler. "Es war sehr seltsam für mich, sechs Wochen hintereinander aus der Startelf raus zu sein. Einige Spieler waren müde, ich war fit, habe hart gearbeitet und war trotzdem nicht dabei", blickte Müller damals zurück.
Niko Kovac (Mitte) gewann mit dem FC Bayern den DFB-Pokal und die deutsche Meisterschaft. Bild: Laci Perenyi / Laci Perenyi
Auch Ex-Bayern-Star Rafinha sparte Anfang März in der "SportBild" nicht mit Kritik an Kovacs Arbeit. "Wenn der Umgang anders gewesen wäre, dann wären wir möglicherweise alle noch da: Arjen Robben, Franck Ribery, James, Mats Hummels, Renato Sanches, Arturo Vidal oder ich. Das wäre nicht unwahrscheinlich gewesen. Aber unter Kovac ging es leider zuende."
"An erster Stelle steht immer der Erfolg des Vereins."
Hansi Flick über die Bedeutung von individuellen Auszeichnungen beim FC Bayern.
Kovac gab sich nach seiner Entlassung Anfang November 2020 selbstkritisch. "Ich habe verstanden, was passiert ist und es wird mir helfen. Man kann nicht alle glücklich machen", sagte er der französischen Zeitung "L'Equipe".
Ancelotti hatte Robben, Ribery,
Hummels und Boateng gegen sich
Nicht nur mit einem, sondern gleich mit mehreren absoluten Stars der Mannschaft legte sich Carlo Ancelotti an. Arjen Robben, Frank Ribery, Mats Hummels und Jérôme Boateng beschwerten sich 2017 bei den Bayern-Bossen über die laschen Trainingsmethoden des Italieners. Zudem war ihnen Fitnesstrainer Giovanni Mauri ein Dorn im Auge, der in der Kabine, auf dem Balkon der Geschäftsstelle und auf dem Platz rauchte.
Nachdem die Kritik öffentlich geworden war, setzt der heute 61-jährige die Stars im Champions-League-Gruppenspiel gegen Paris Saint-Germain auf die Bank. Die Bayern waren chancenlos und verloren mit 0:3. Einen Tag später wurde Ancelotti entlassen.
"Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler als Gegner haben. Das hätte er niemals durchgestanden."
Uli Hoeneß zur Entlassung von Carlo Ancelotti
Uli Hoeneß machte im Anschluss deutlich, wie die Machtstrukturen beim Rekordmeister verteilt sind. Er erklärte: "Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler als Gegner haben. Das hätte er niemals durchgestanden". Bayern holte zum vierten Mal Jupp Heynckes nach München. "Es war dringend notwendig, einen Trainer zu finden, der die Sache stabilisieren und zu einem guten Ende bringen würde."
Auch wenn Heynckes am Ende nur die Meisterschaft holte, im Champions-League-Halbfinale an Real Madrid scheiterte und das Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt verlor, schaffte er es, die Spieler zu einer Einheit zu formen.
Die Schwierigkeit in München ist, dass es mehr als elf Stars in der Mannschaft gibt, die es selten schaffen, ihr Ego hinter den Erfolg des Teams zu stellen. Flick und Guardiola bewiesen das richtige Händchen, doch viele Trainer sind bereits daran gescheitert, die Einsatzzeiten angemessen zu moderieren. Doch Nagelsmann rotiert gerne und viel. Aufgrund seines noch jungen Alters wurde ihm stets eine gute Bindung zu seinen Spielern nachgesagt. Doch er mus sich bewusst sein: Wer einmal die Spieler gegen sich hat, muss kurze Zeit später gehen.
Die Transfer- und Vereinspolitik
Der größte Streitpunkt zwischen Flick und Salihamidžić ist der mangelnde Einfluss des Trainers in Sachen Kaderplanung. Wer neu verpflichtet wird, wessen Vertrag nicht verlängert wird und wer verkauft wird, planen aktuell Sportvorstand Hasan Salihamidžić und Chefscout Marco Neppe. Eine endgültige Entscheidung über Millionentransfers trifft der Vorstand gemeinsam.
"Die Kaderplanung ist Vorstandssache bei den Bayern. Ich war auch Trainer bei den Bayern, ich hatte kaum einen Einfluss auf die Kadergestaltung", sagte Felix Magath, der mit den Münchnern 2004/2005 und 2005/2006 jeweils Meisterschaft und DFB-Pokal gewann, in der TV-Sendung "sky90".
Felix Magath (r.) trainierte den heutigen Sportvorstand Hasan Salihamidzic sogar noch. Bild: picture-alliance / SVEN SIMON
Während Magath damit umgehen konnte, gibt es viele Ex-Trainer, die mit dieser Arbeitsweise nicht klarkamen. Deshalb bezeichnete auch Louis van Gaal (Trainer von 2009 bis 2011) die Anstellung in München als "härtesten Job" seiner Karriere.
"Der große Unterschied zu anderen Vereinen war, dass dort viele Ex-Spieler involviert waren. Alle wollten mitreden und das Geschehen beeinflussen", sagte der heute 69-jährige in einem Interview mit dem Magazin "11Freunde". So schilderte es auch Ex-Coach Carlo Ancelotti: "Ich denke, es gab ein Philosophie-Problem. Sie wollten die Dinge nicht verändern, aber ich habe es getan". Mit "sie" meint er das damalige Führungstrio Rummenigge, Hoeneß und Salihamidžić.
Eine Ausnahme für Guardiola
Lediglich bei Pep Guardiola knickten die Münchner nach seiner öffentlichen Forderung ("Thiago oder nix!") ein und verpflichteten den Spanier, der eigentlich kurz vor einer Unterschrift bei Manchester United stand. Doch die Bayern-Bosse weigerten sich, andere Wunschspieler Guardiolas wie İlkay Gündoğan oder Kevin de Bruyne zu kaufen. Sie seien "nicht bereit gewesen, eine Riesen-Ablöse zu bezahlen", sagte Guardiola. Der Spanier bewertete das Münchner Modell als "sehr speziell", verlängerte seinen Vertrag 2016 nicht und ging zu Manchester City. Dort werden ihm dank des Milliarden-Sponsorings aus Abu Dhabi alle Transferwünsche erfüllt.
"Bayern ist immer noch eine Top-Adresse in Europa, daher würde es Kandidaten wie Nagelsmann oder ten Haag nicht abschrecken."
Bayern-Experte Vjeko Keskic zu zukünftigen Bayern-Trainern
Salihamidžić erklärte das vorsichtige Vorgehen der Bayern auf dem Transfermarkt bereits im Mai 2018. "Wir müssen langfristiger planen als einige dieser Klubs, die sich auch mal kurzfristig von einer WM oder EM beeinflussen lassen", sagte er der Süddeutschen Zeitung.
Als Trainer des FC Bayern gilt es, Erfolge zu liefern – egal mit welcher Mannschaft. Gleichzeitig müssen die Trainer auch akzeptieren, dass der Sportvorstand immer die lang- bis mittelfristige Ausrichtung eines Vereins im Blick hat. Was bringt ein Millionentransfer des Wunschspielers des Trainers, wenn der Coach wenige Monate später wieder weg sein sollte und der neue Chef keine Verwendung für den Spieler hat?
Dass Nagelsmann, anders als sein Vorgänger Hansi Flick, mit ausbleibendem Mitspracherecht bei Transfer kein Problem hat, machte er bereits klar. "Es ist wichtig und wertvoll, dass der Trainer gehört wird, aber ich sehe die Meinung des Klubs gegenüber dem Trainer als noch wichtiger an."
Der Erfolgsdruck
Jedes Jahr Titel zu gewinnen, bedeutet aber auch einen enormen Druck für den Trainer. Selbst der Gewinn der deutschen Meisterschaft reicht manchmal nicht aus, um seinen Job beim FC Bayern zu behalten.
Anders als Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund oder nun in Liverpool hat der Trainer in München keine Chance, mal eine Saison nur auf Platz 3 oder 4 abzuschließen. Die Entwicklung von jungen Spielern ist nur erlaubt, so lange der Verein auch Erfolge feiert. Misserfolg wird beim Rekordmeister schlicht nicht geduldet. "Der Druck in München ist sehr groß", resümierte auch Niko Kovac. Er gewann Meisterschaft und DFB-Pokal, musste nach einem schwachen Saisonstart aber gehen und wurde durch seinen Assistenten Flick ersetzt.
"Es ist der Anspruch von Bayern München, Deutscher Meister zu werden", machte auch der scheidende Cheftrainer Hansi Flick auf einer Pressekonferenz am Freitag noch einmal deutlich.
Hansi Flick gewann mit dem FC Bayern 2020 die Champions League und führte den Klub zum zweiten Triple der Vereinsgeschichte.Bild: Fotoagentur SVEN SIMON / Frank Hoermann/ SVEN SIMON
"Es ist nicht einfach zu handhaben, aber wir sind da, um Titel zu gewinnen", beschrieb Niko Kovac in der "L'Equipe" die vermeintlich einfache Aufgabe für Trainer des FC Bayern. Ähnlich erklärte es auch Hansi Flick am vergangenen Freitag. "An erster Stelle steht immer der Erfolg des Vereins." Für persönliche Empfindlichkeiten ist kein Platz in München.
Nach Hansi Flick wird sich nun der zehnte Trainer in den vergangenen zwölf Jahren an dieser Aufgabe versuchen. Dabei erklärte Salihamidžić bereits 2018, dass sich an den Prinzipien des Klubs auch weiterhin nichts ändern wird. Er wird besonders darauf achten, "dass ein neuer Trainer unser Bayern-München-Set-up akzeptiert und nicht mit zehn eigenen Leuten hier einmarschiert."
Bayern-Experte Vjeko Keskic erklärte dabei schon vor Wochen, dass die Münchner alles daran setzen müssen, Julian Nagelsmann zum Rekordmeister zu holen. Nun konnte sich die Verantwortlichen der Münchner innerhalb von zwei mit RB Leipzig und dem Coach einigen.
Vielleicht kehrt beim FC Bayern mit Julian Nagelsmann als neuer Chefcoach nun eine gewisse Konstanz auf dem Trainerposten ein. Beim FC Bayern glaubt man an eine große Zukunft unter Nagelsmann. "Allein schon Julians Vertragslaufzeit von fünf Jahren zeigt, wie sehr er sich mit dem FC Bayern identifiziert. Ich bin überzeugt davon, dass wir die sportliche Zukunft des FC Bayern zusammen mit Julian Nagelsmann sehr erfolgreich gestalten werden", sagte Oliver Kahn in einer Pressemitteilung des Klubs.