Beim Mehrkampffinale der Turnerinnen bei den Olympischen Spielen in Tokio war das deutsche Team am Dienstagmittag nicht mehr dabei, dennoch spricht aktuell die gesamte Turn-und Sportwelt über Elisabeth Seitz, Kim Bui, Sarah Voss und Pauline Schäfer – inklusive Weltstars wie Hollywood-Schauspieler Orlando Bloom.
"Es ist megakrass, dass so ein weltberühmter Promi wie Orlando Bloom auf unsere langweiligen Anzüge aufmerksam geworden ist und den Beitrag in seiner Story mit über fünf Millionen Followern geteilt hat", sagte Kim Bui gegenüber der ARD-Sportschau.
Und auch von den Turnkolleginnen gab es reichlich lob: "Ich finde es wirklich cool, dass sie den Mut haben, auf einer so großen Arena zu stehen und Frauen aus aller Welt zu zeigen, dass man tragen kann, was man will", sagte die norwegische Turnerin Julie Erichsen. Denn statt der üblichen Leotard – einem badeanzugartigen Outfit – trug das Quartett einen sogenannten Unitard.
Schon bei der EM im April sorgten die Turnerinnen für Aufsehen, als die langen weißen Ärmel und die roten Hosenbeine ihren ganzen Körper bedeckten.
Dabei betrifft die Debatte um sexualisierte Sportbekleidung nicht nur Sportarten, in denen aktuell bei Olympia um Medaillen gekämpft wird. Für diese könnten die Turnerinnen nun ein spezielles Vorbild sein.
"Als Teil der deutschen Turn-Nationalmannschaft sind wir für viele jüngere Sportlerinnen auch ein Vorbild und möchten ihnen damit eine Möglichkeit aufzeigen, wie sie sich auch in einer anderen Bekleidungsform ästhetisch präsentieren können, ohne sich bei bestimmten Elementen unwohl zu fühlen", sagte Sarah Voss bereits im April.
Gegenüber dem SWR ergänzte Elisabeth Seitz im Mai, dass sie früher dachte, dass es normal sei, im hautengen und knappen Outfit zu turnen. Besonders der Bereich zwischen den Beinen wird dabei nur von wenigen Zentimetern Stoff überdeckt. "Wenn nur minimal was verrutscht, dann sieht jeder mehr, als er sehen sollte", erzählte sie damals.
"Und wenn man während der Übung nur eine Millisekunde darüber nachdenkt, kann das die Leistung beeinflussen", fügte sie kürzlich gegenüber der "Bild"-Zeitung hinzu.
Eine Strafe oder einen Regelverstoß begehen die deutschen Frauen mit den Outfits nicht. Im Vergleich zum Beachhandball, wo die Bikini-Hosen laut Regelwerk des internationalen Handballverbandes vorgeschrieben sind, sind die Outfits beim Turnen seit 2009 offiziell erlaubt.
Erst vor wenigen Wochen weigerte sich die norwegische Beachhandball-Nationalmannschaft bei der EM die vorgeschriebenen Bikini-Hosen zu tragen. Stattdessen trugen sie die gleichen langen Shorts wie die Männer und bekamen eine Strafe in Höhe von 150 Euro pro Spielerin aufgebrummt.
Der Verband stellte sich hinter seine Spielerinnen und zahlreiche Sportstars und Prominente kritisierten ebenfalls die sexistische Sportkleidung.
Auch beim Beachvolleyball stehen die Spielerinnen in Tokio meist mit einem Bikini im Sand. Vorschrift ist das seit 2012 aber nicht mehr. Frauen dürfen in Shorts und auch Shirts mit langen Ärmeln spielen. Bei schlechtem Wetter sind zudem lange Hose erlaubt.
Das deutsche Duo Karla Borger und Julia Sude weigerte sich im Februar sogar, an einem Turnier in Katar teilzunehmen, bei dem Shirts und knielange Hosen in den Regularien festgeschrieben wurden.
"Es geht gar nicht um wenig anhaben oder nicht. Es geht darum, dass wir in unserer Arbeitskleidung nicht unsere Arbeit machen können", sagte Sude. "Das verstehe ich nicht." Beachvolleyball sei "verdammt anstrengend", so Borger. "Wir passen uns in jedem Land an, wo wir können. Wir sind dazu auch bereit. Aber du bist da in der Hitze am Triefen, alles ist nass."
Die Entscheidung der Turnerinnen, wieder einen Unitard zu tragen, sei relativ spontan und kurzfristig gefallen. "Wir haben uns zusammengesetzt und gesagt, in Ordnung, wir wollen einen großen Wettkampf haben, wir wollen uns toll fühlen und allen zeigen, dass wir toll aussehen", sagt Sarah Voss.
Turn-Weltstar Simone Biles unterstützt die Entscheidung der deutschen Frauen. "Ich stehe zu ihrer Entscheidung, dass sie tragen, was sie wollen und worauf sie Lust haben". Sie wird dennoch weiterhin die sogenannten "Leotards" tragen. Es mache sie beweglicher und laut der US-Amerikanerin auch etwas größer.
Dass der Unitard nun von allen Turnerinnen und auch nach den Olympischen Spielen genutzt wird, zeichnet sich noch nicht ab. Verkaufschef Matt Gowan vom führenden US-Trikothersteller GK Elite sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AP, dass es nur wenige Anfragen gäbe. Beim Mannschaftsfinale am Dienstag und Mehrkampf-Einzel turnten die verbliebenen Teams im Leotard. Das wird bei den Gerätefinals am Sonntag wohl nicht anders sein.
Auch Andreas Toba, Deutscher Meister 2019 an den Ringen, unterstützt das Quartett. "Ich finde, dass sie eine Message vermitteln, die den Sport einfach attraktiver macht. Zum Schluss geht es darum, dass wir turnen und uns wohl dabei fühlen."
Und Seitz erklärte: "Wir wollen zeigen, dass der Turnsport wunderschön ist und dass es dabei nicht darum geht, was man trägt. Das Wichtigste ist, dass sich die Turnerin wohlfühlt", beschreibt die Stuttgarterin den Kern ihrer Initiative "It's my choice", die nach den Olympischen Spielen in Tokio noch mehr an Fahrt aufnehmen soll.
Während im Team-Wettbewerb für das deutsche Quartett früh Schluss war, geht es für Elisabeth Seitz und Kim Bui am Donnerstag im Mehrkampf-Finale weiter. Was sie dann tragen, ist noch offen. Eine Sache ist aber sicher: "Es ist eine Entscheidung von Tag zu Tag. Es kommt darauf an, wie wir uns fühlen und was wir wollen. Wir entscheiden am Wettkampftag, was wir anziehen", sagte Seitz.
(mit Material von dpa/sid)