Sie sollten "wichtig für den Weg des FC Bayern in der Zukunft" sein, "eine tragende Säule" werden. Ihnen wurde eine "große Karriere" im Klub prognostiziert. Fußball-Europa schaute neidisch auf den FC Bayern im Sommer 2022.
Mit Ryan Gravenberch, Matthijs de Ligt und Mathys Tel holten die damaligen Bayern-Bosse um Oliver Kahn, Hasan Salihamidžić und Trainer Julian Nagelsmann drei der größten Talente zwischen 17 und 22 Jahren nach München.
Nun, im Januar 2025, sieht das alles etwas anders aus. Gravenberch ist ein wichtiger Spieler, jedoch für den FC Liverpool. Matthijs de Ligt ist seit Sommer bei Manchester United. Und mit Mathys Tel steht der dritte vor einem Wechsel zu Tottenham. Mit dem 18-jährigen Adam Aznou will ein weiteres Supertalent den Klub ebenfalls noch in dieser Transferphase verlassen.
"Es wird auch hier in München möglich sein, junge Spieler zu finden und zu entwickeln", sagte der aktuelle Sportvorstand Max Eberl noch bei seinem Dienstantritt im März. Doch so sieht es gerade nicht mehr aus.
Was also passiert da gerade in München?
Am Freitagmittag auf der Pressekonferenz vor dem Heimspiel gegen Holstein Kiel versuchte der Sportvorstand die Talenteflucht einzuordnen. "Es ist immer eine hohe Hürde, sich bei einem Champions-League-Teilnehmer und einem Verein, der extreme Ambitionen hat, durchzusetzen."
Doch das Argument greift etwas kurz. Oder: Andere Vereine bekommen es besser hin. Real Madrid beispielsweise. Die Königlichen verpflichtete mit Eduardo Camavinga im Jahr 2021 und Aurelian Tchouameni 2022 zwei Top-Talente, die sich an der Seite von Toni Kroos und Luka Modrić entwickeln konnten und nun Stammspieler bei den Königlichen sind. Und auch die Offensivstars Vinicius Junior und Rodrygo bekamen genug (Einsatz)-Zeiten, um sich an der Seite ihrer Top-Kollegen zu entwickeln.
Ganz nebenbei haben sie in dieser Zeit auch alle mindestens einmal die Champions League gewonnen.
Einen Plan, den Mann in München auch mit Gravenberch hatte, der jedoch krachend scheiterte. Auch aufgrund der Egos innerhalb des Teams.
"Es war so etwas wie ein Problem, weil wir Joshua Kimmich und Leon Goretzka zu diesem Zeitpunkt hatten. Deshalb war es kompliziert für einen jungen Spieler, mehr Minuten zu bekommen", sagte Julian Nagelsmann im Oktober mit Blick auf seine Amtszeit in München. "Ich war neuer Trainer bei Bayern und es war nicht einfach, Spieler der deutschen Nationalmannschaft auf die Bank setzen."
Das sollte so nicht mehr passieren. Zumindest sagte Max Eberl das im Sommer in einem Interview mit der "Welt". Im Verein seien sich alle einig, "dass wieder mehr Jungs von unten oben ankommen müssen. Gute Jungs brauchen Chancen. Es müssen Wege neu gedacht werden." Der Fokus solle künftig noch mehr auf den Campus und die eigene Jugend gelegt werden.
Eberl führte in seiner Job-Beschreibung am Freitag weiter aus, dass er gemeinsam mit Trainer Vincent Kompany und Sportdirektor Christoph Freunde versuche, sportlich die bestmögliche Entscheidung zu treffen. "Und das nicht nur für eine Kurzfristigkeit, wo ich sage: 'Das hilft uns nicht nur für morgen, sondern auch für übermorgen'". Seine Vision gehe in Richtung 2026 und 2027.
In dieser Hinsicht brachte Eberl erneut Adam Aznou ins Gespräch. Doch nach dem Wunsch, guten Spielern eine Chance zu geben, klang das mit Blick auf den vierfachen marokkanischen Nationalspieler nicht mehr. "Es geht darum, einen Linksverteidiger für den Moment vorzubereiten, wenn bei einem anderen Linksverteidiger in deinem Kader der Vertrag ausläuft. Oder du kannst ihn für unfassbar viel Geld verkaufen."
Ähnlich ist auch die Situation bei Mathys Tel. Dass Tottenham eine Ablösesumme von 60 Millionen Euro geboten haben soll, kommentierte der Sportboss nicht. "Wenn astronomische Angebote kommen, müssen wir sportlich und wirtschaftlich entschieden", sagte er lediglich. Sollte der Transfer tatsächlich zustande kommen, hätten die Münchner mit dem jungen Franzosen einen Gewinn von 40 Millionen Euro gemacht.
Daher resümierte Eberl auch, dass Tel "ein unglaublich wichtiger Transfer" für den Verein gewesen sei. Der Klub sei darauf angewiesen, hohe Transfererlöse zu erzielen, da man keinen Investor im Hintergrund habe.
Für ihn gelte es, die gesamte Komplexität zwischen Sport, Finanzen und Planung zu managen. "Wie es nach außen ankommt und wie diese Kurzfristigkeit bewertet wird, davon versuche ich mich frei zu machen."
Man wolle weiterhin "definitiv" junge Spieler in die Mannschaft bringen. Doch die geben sich schon lange nicht mehr mit regelmäßigen Einsätzen in der Regionalliga-Mannschaft und einem gelegentlichen Platz auf der Profi-Bank zufrieden.
Aznou will mit Blick auf den Afrika-Cup Ende 2025 unbedingt viel Spielzeit auf hohem Niveau sammeln. Nestory Irankunda, der für drei Millionen Euro aus Australien kam, ließ sich bereits nach einem halben Jahr und 15 Regionalliga-Spielen (vier Tore, vier Vorlagen) nach Zürich verleihen.
Top-Talente weltweit dürften sich mittlerweile zweimal überlegen, ob der Schritt zum FC Bayern tatsächlich sinnvoll ist.
Mit Tim Bischof wagt im Sommer "eines der größten deutschen Talente" den Sprung zum FC Bayern. Er bringe alles mit, "um sich auf höchsten Niveau zu etablieren", sagte Eberl. Tel, Gravenberch und de Ligt dürften warnende Beispiele sein, dass das auch schiefgehen kann.
Der FC Bayern muss erst einmal wieder beweisen, dass er in der Lage ist, Talente zu entwickeln, bei Laune zu halten und zu Stammspielern zu machen. Gelingt das nicht, zerstört man im schlimmsten Fall die eigene Zukunft.