Sepp Herberger nimmt in der Geschichte des deutschen Fußballs einen besonderen Platz ein. 1954 führte er das DFB-Team beim Wunder von Bern gegen die übermächtigen Ungarn zum ersten WM-Titel, so ganz nebenbei warf der legendäre Trainer auch noch mit einer Vielzahl an ikonischen Fußballsprüchen um sich.
"Elf Freunde müsst ihr sein", prägte er ebenso wie die Aufforderung zum Passspiel: "Der schnellste Spieler ist der Ball." Besonders prägnant ist aber ein Spruch, der über Jahrzehnte hinweg Gültigkeit besessen hat. "Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten."
So ein wenig wurde diese Gesetzmäßigkeit rund um die absurden Nachspielzeiten bei der Herren-WM 2022 schon ausgehoben. Gänzlich entkräftet wird sie künftig bei einem neuen Turnier im Frauenfußball. Denn World Sevens Football schickt sich an, eine Revolution auf den Weg zu bringen.
Die größten Mannschaften der Welt sollen dabei in einem für Profis gänzlich neuen Format antreten. Auf einem Kleinfeld kommt es nicht zum Elf-gegen-Elf, sondern zum Sieben-gegen-Sieben. Daher rührt auch der Name. Die Dauer der Spiele wird auf 30 Minuten verkürzt. Der "Guardian" berichtet zudem von fliegenden Wechseln und kleineren Toren.
Es erinnert ein wenig an die Regularien aus dem Jugendfußball oder an Kleinfeldligen wie die Baller League, die Icon League oder die Kings League.
Es gibt aber eben zwei ganz wesentliche Unterschiede: Bei World Sevens Football, oder kurz: W7F, soll es ums ganz große Geld gehen – zumindest gemessen an den Standards des Frauenfußballs.
100 Millionen Euro sollen nach Informationen des "Guardian" für die ersten fünf Jahre garantiert sein. Fünf Millionen seien für die erste Turnierausgabe einkalkuliert, die Hälfte davon stehe dem Gewinnerteam als Prämie zu.
"Das Ziel ist ganz klar die Stärkung der Gleichberechtigung, eine bessere Bezahlung der Spielerinnen und eine höhere Aufmerksamkeit auf globaler Ebene", lobt Jessica Stommel, Head of Frauenfußball bei Sportrechtevermarkter Sportfive, den Ansatz im Gespräch mit watson. Durch ihren Fokus auf Sportmarketing hat sie die Entwicklung bestens im Blick.
Zudem sollen anders als etwa in der Baller League echte, aktive Profis antreten. Und zwar nicht irgendwelche. Mindestens zwei englische Topteams werden laut "Guardian" erwartet, auch der FC Bayern sowie US-Team Angel City FC sollen Interesse haben.
Der FCB lässt eine entsprechende watson-Anfrage zu den Gerüchten unbeantwortet. Auch Titelkonkurrent Eintracht Frankfurt kommentiert das neue Format auf Nachfrage nicht.
Generell dürfte das acht Teams umfassende Teilnehmerfeld bei W7F mit Mannschaften aus Europa sowie Nord- und Mittelamerika bestückt werden. Mit Jennifer Mackesy gehört etwa eine der Anteilseignerinnen des US-Teams Gotham FC zu den Gründerinnen von W7F.
W7F selbst kündigt per Pressemitteilung eine "revolutionäre Grand-Slam-Reihe für professionelle Fußballerinnen" an. Die erste Ausgabe wird vom 21. bis zum 23. Mai im portugiesischen Estoril steigen.
Das neue Format fügt sich damit in den ohnehin schon vollen Kalender des Frauenfußballs ein. Am 24. Mai findet das Finale der Women's Champions League statt, am 2. Juli startet die Europameisterschaft.
Jessica Stommel sieht dies "ein bisschen kritisch", denn mehr Spiele führen nicht nur zu mehr Einnahmen. "Das Verletzungsrisiko nimmt weiter zu. Es gibt noch mehr Reisen, noch mehr Aufwand", warnt sie.
Die W7F-Verantwortlichen hingegen sind der Meinung, genügend präventive Maßnahmen auf den Weg gebracht zu haben. Konkret sticht eine heraus. World Sevens Football hat einen Spielerinnenbeirat ins Leben gerufen, in dem mehrere ehemalige Profis sitzen, darunter Tobin Heath, Caroline Seger und Laura Georges.
Durch fließende Wechsel soll am Ende des Turniers, das pro Team maximal fünf Partien umfassen wird, keine Spielerin wesentlich mehr als 90 Minuten in den Beinen haben. "Die Spielerinnen sollen frisch und kreativ sein, sie sollen alle Freiheiten für fußballerischen Individualismus haben", sagt die ehemalige englische Nationalspielerin Anita Asante, die ebenfalls zum Organisationsteam gehört.
Ein mögliches Problem lässt sich aber nicht nur aus der Dichte an Spielen ableiten, sondern auch aus der Auswahl der Mannschaften. Jessica Stommel lobt zwar die bessere Bezahlung sowie eine höhere Aufmerksamkeit als zwei Ziele, beides landet am Ende aber bei einem erlauchten Kreis an Eliteklubs.
Aus Europa werden es wohl Champions-League-Teilnehmer, die US-amerikanischen Teams sind ohnehin schon gut aufgestellt. Reinen Frauenfußballteams wie der SGS Essen oder Turbine Potsdam wiederum, die ohne Zuschüsse von externen Geldgebern oder einer Herrenabteilung leben, werden wohl kaum vom neuen Format profitieren.
Vielmehr dürfte World Sevens Football die finanzielle Kluft zwischen den großen und den kleinen Klubs noch weiter vergrößern.
"Für solche Vereine wie Turbine Potsdam wird es leider schwerer, je mehr große Vereine nach oben drängen", sagt Jessica Stommel mit Blick auf die grundsätzliche Entwicklung im Frauenfußball.
In Potsdam herrscht dem neuen Format gegenüber Skepsis. Nach watson-Informationen liegt dem Frauen-Bundesligisten keine Einladung vor, er würde ihr aber auch nicht nachkommen. Zu groß sind die Bedenken, Spielerinnen könnten sich bei der Mehrbelastung zwischen dem Ligafinale und der EM noch verletzen. Zu unklar sind auch die exakten Bedingungen, die W7F bis dato nur auszugsweise offiziell verkündet hat.
Und die Potsdamerinnen sind nicht die einzigen, die von World Sevens Football überrascht wurden. In der Frauen-Bundesliga, in der Investorenszene, aber auch bei Streaminganbieter Dazn, der World Sevens Football übertragen wird, trudelte die Verkündung mehr oder weniger aus dem Nichts ein.
Trotz der enormen Summen und der großen Zielsetzung bleiben somit gewisse Vorbehalte. So erkennt Jessica Stommel selbst im Erfolgsfall ein Problem:
Sie sieht trotz des positiven Willens den zweiten Schritt vor dem ersten, wünscht sich zunächst einmal die Stärkung der Basis. Dort brauche es etwa zielgerichtete Investitionen in Studien.
"Welche Bedingungen brauchen Fußballerinnen? Wie müssen wir das Training anpassen, um Verletzungen vorzubeugen und zyklusbasierter agieren zu können", sagt Jessica Stommel. "Wir nutzen immer nur das, was wir seit 50 Jahren aus dem Männerfußball kennen. Ganz offensichtlich sind diese Bedingungen für Frauen aber gesundheitsgefährdend."
Die Zeit wird zeigen, ob ein weiteres Turnier wie World Sevens Football in dieser Hinsicht kontraproduktiv ist, oder schlussendlich nicht doch die angekündigte Revolution des Frauenfußballs mit sich bringt.