Giorgio Chiellini zieht Bukayo Saka in der Nachspielzeit, verhindert dadurch wohl eine große ChanceBild: ap / Laurence Griffiths
Analyse
Italien hat Geschichte geschrieben! Im Elfmeterschießen besiegt die "Squadra Azzura" das Mutterland des Fußballs, England, mit 3:2. Dabei hält Gianluigi Donnarumma den entscheidenden Schuss von Bukayo Saka und führt die Italiener zum ersten EM-Sieg seit 1968.
Dabei hätte es gerade Saka sein können, der noch in der regulären Spielzeit England zum Sieg hätte schießen können. Aber: Der Linksfuß kam gar nicht dazu. Warum? In der sechsten Minute der Nachspielzeit beim Stand von 1:1 bekommt Saka die Kugel auf der rechten Seite. Italien-Kapitän Giorgio Chiellini ist dicht hinter Saka und merkt, dass er den Stürmer nicht mehr erreichen kann. Taktisch klug, aber mit einem Foulspiel, stoppt der Verteidiger Saka und zwar mit einem beherzten Trikot-Zieher. Schiedsrichter Björn Kuipers pfeift Foul und zeigt natürlich die Gelbe Karte.
Bild: ap / Laurence Griffiths
Auch in den sozialen Netzwerken sorgte die Aktion für Furore. Viele Twitter-User, für die die Italiener oft favorisiert waren, feierten die Aktion von Chiellini. Ein User veröffentlichte ein Bild der Aktion, schrieb darunter: "Weil's so schön ist, nochmal in HD."
Ganz besonders wichtig ist der Titel für Chiellini. Der Verteidiger ist mit Leonardo Bonucci der einzige, der schon 2012 bei der 0:4-Final-Niederlage gegen Spanien dabei war. Nun, neun Jahre später springt für Chiellini endlich die Trophäe raus, vermutlich auch wegen des taktischen Fouls an Saka.
Zuvor hatte das Team von Trainer Roberto Mancini bei der gesamten EM mit meist mitreißendem Fußball überzeugt, hohem Pressing und unterhaltsamer Spielweise. England hingegen spielte aus einer guten Abwehr, hatte bei der EM vor dem Finale gerade mal einen Gegentreffer hinnehmen müssen – eine Statistik, die man sonst eher bei den Italienern vermutet hätte, am Ende aber nicht zum Turnier-Sieg geführt hat.
"Das italienische Team kann Angriffs- und Verteidigungs-Fußball. Gleichzeitig können sie die Intensität anpassen und sich sowohl mental als auch körperlich an verschiedene Spielweisen anpassen."
Italien-Experte Siavoush Fallahi
Gleichzeitig hat sich Italien unter Trainer Roberto Mancini vom abwartenden Fußball, der über schnelle Konter erfolgreich ist, entfernt. Italien-Experte und Eurosport-Journalist Siavoush Fallahi erklärt gegenüber watson vor dem Finale: "Das italienische Team kann Angriffs- und Verteidigungs-Fußball. Gleichzeitig können sie die Intensität anpassen und sich sowohl mental als auch körperlich an verschiedene Spielweisen anpassen. Verantwortlich dafür ist die großartige Arbeit von Mancini."
EM-Finale als Überraschung
Für viele Fußball-Fans kommt der italienische Erfolg überraschend. 2018 verpasste die "Squadra Azzurra" unter dem damaligen Trainer Gian Piero Ventura die WM. Danach übernahm Mancini, jetzt sind sie Titelträger. Fallahi erklärt: "Nach dem Fiasko mit Ventura, hat Mancini den Neustart gut gemeistert und ein Projekt geschaffen, in dem Raum für Spieler wie Jorginho und Insigne ist. Jetzt ist das italienische Team eine Gruppe von Spielern, die technisch gut und taktisch stark sind. Sie haben eine gute Gemeinschaft geschaffen mit neuen und alten Anführern."
Abwehrspieler Leonardo Bonucci blickte vor dem Finale ebenfalls auf die verpasste WM 2018 zurück. Der Juventus-Spieler erzählte: "Vor drei Jahren wäre uns das EM-Finale als Utopie erschienen." Seiner Meinung nach tat der italienischen Mannschaft besonders die Verschiebung der EM um ein Jahr gut, da sie sich in dieser Zeit gut entwickeln konnte.
Zu dieser Entwicklung haben laut Fallahi auch die italienischen Vereins-Trainer beigetragen. Der Erfolg der Italiener sei auch möglich "wegen Gian Piero Gasperini, der bei Atalanta Bergamo gute Spieler ausbildet oder wegen Antonio Conte, der Inter Mailand stark verbessert hat. Die Serie A ist insgesamt schneller und offensiver geworden und hat mehr Qualität." Hinzu kommen Top-Spieler wie Jorginho (FC Chelsea) oder Marco Verratti (Paris Saint-Germain), die ihre Erfahrungen aus anderen europäischen Top-Ligen einbringen.
Erster Titel seit 15 Jahren
Den letzten großen Titel hatten die Italiener 2006 bei der Weltmeisterschaft in Deutschland gewonnen. Im Finale besiegten sie damals Frankreich im Elfmeterschießen (5:3). 15 Jahre später jubelt die "Squadra Azzura wieder, aber im Vergleich zum letzten Finalsieg hat sich etwas geändert. Fallahi erzählt: "2006 hatte Italien eine Gruppe von großartigen Spielern, sowohl auf dem Platz als auch außerhalb. Das ist eine Ähnlichkeit zum aktuellen Team. Aber damals hatten die meisten Spieler schon im internationalen Fußball gezeigt, dass sie Trophäen gewinnen können. Der aktuelle Kader ist eher ein guter Mix aus älteren Spielern und jungen hungrigen Spielern, die noch nicht so viel gezeigt haben."
Italiens Kapitän Fabio Cannavaro streckt 2006 den WM-Titel in den Berliner Nachthimmel.Bild: Empics / Empics Mike Egerton
Dazu zählen Profis wie Nicolo Barella, der in der abgelaufenen Saison in Italien zum Mittelfeldspieler der Saison gewählt wurde oder Federico Chiesa, der im Achtel- und im Halbfinale jeweils traf.
"Während 2006 das Ende einer erfolgreichen Generation dargestellt hat, fühlt es sich 2021 eher nach einem Startpunkt für eine goldene Generation an."
Italien-Experte Siavoush Fallahi
Deshalb kommt Fallahi zu dem Fazit: "Während 2006 das Ende einer erfolgreichen Generation dargestellt hat, fühlt es sich 2021 eher nach einem Startpunkt für eine goldene Generation des italienischen Fußballs an, der über eine lange Zeit erfolgreich sein kann. Viele der Spieler wollen auch nächsten Winter eine gute WM spielen. Die Basis dafür wurde im aktuellen Turnier gelegt."
Auch die englische Mannschaft steckt in einer ähnlichen Situation. Über die "Three Lions" hatte schon der ehemalige Manchester-City-Profi Uwe Rösler zu watson gesagt: "Sie sind noch sehr jung, haben aber trotzdem schon Erfahrung. Das hilft ihnen enorm. Über Jahre hinweg werden sie gute Chancen bei Turnieren haben."
Das Finale hat Italien für sich entschieden. Es klingt aber so, als könnte man bei zukünftigen Turnieren wie der WM 2022 in Katar oder der EM 2024 in Deutschland häufiger erwarten, dass Italien und England im Finale stehen.
Im Sommer war es noch "totaler Quatsch", jetzt ist es offiziell: Jürgen Klopp wird "Head of Global Soccer" bei Red Bull. Eine Meldung, die es so bereits im Sommer gab, jedoch von Klopp-Berater Mark Kosicke dementiert wurde und gegen die sich auch der Getränkehersteller "vehement" wehrte. Aus Sicht von Fußballromantiker:innen ist diese News eine echte Hiobsbotschaft.