Eigentlich war es ein unbedeutendes Spiel für den FC Bayern München. Bereits vor der Heimpartie am Mittwochabend gegen Lokomotive Moskau (2:0) war der Titelverteidiger als Vorrundengruppensieger für das Achtelfinale der Uefa Champions League qualifiziert.
Doch es gab nach zuletzt 15 Siegen und einem Remis in der Königsklasse noch ein paar statistische Anreize für die Bayern, hinter die sie nun nach dem souveränen Sieg gegen den dreimaligen Meister der russischen Premjer-Liga jeweils einen Haken setzen können.
Bayern-Trainer Hansi Flick war nach Abpfiff höchst zufrieden. Der Sieg war zwar eine Geduldsprobe, aber "wir haben das erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Und das haben wir geschafft." Nicht zuletzt wollten Flick und seine Bayern nämlich auch das "herausragende Champions-League-Jahr mit einem Sieg abschließen."
Doch der eigentlich unbedeutende Sieg gewann nicht nur dadurch an Bedeutung, dass die Bayern ein paar Rekordstatistiken ausbauen konnten.
Der Sieg zeigt auch, dass Hansi Flick ein Trainer ist, der es offensichtlich sehr gut versteht, seinen Kader zu moderieren und dabei jeden einzelnen Profi zu motivieren. Egal, wer aktuell spielt, so scheint es, der FC Bayern ist kaum aufzuhalten. Klar, 16 Gegentore in der Bundesliga mögen "zu viel" sein, findet auch Torwart Manuel Neuer, aber trotzdem hat man wettbewerbsübergreifend erst eine Niederlage kassiert.
Durch die momentanen Verletzungspausen von Joshua Kimmich, Javi Martínez (beide erst 2021 wieder fit) und Corentin Tolisso (wohl Samstag wieder fit) klafft vor allem in der Mittelfeldzentrale eine recht große Personallücke. Doch Flick lässt sich nicht beirren. Er redet nicht von den Verletzten, sondern er spricht über die, die zur Verfügung stehen: "Wir haben einige Optionen", sagte er zum Beispiel schon vor dem Moskau-Spiel: "Wir haben neben Leon Goretzka noch Marc Roca im Kader und auch Angelo Stiller und Maximilian Zaiser."
Vor allem einen 19-jährigen Stiller beziehungsweise einen rund zwei Jahre älteren Zaiser motivieren solche Worte sicher, selbst wenn sie am Ende nur ein paar Minuten oder gar nicht zum Einsatz kommen. Bis auf Neuzugang Tiago Dantas, der explizit für die zweite Mannschaft verpflichtet wurde, saß bislang jeder einzelne Bayern-Profi in der laufenden Saison mindestens einmal immerhin auf der Bank. Von 31 Profis, die laut "Transfermarkt", aktuell zur ersten Mannschaft gehören, standen in der Spielzeit 2020/21 bislang nur sechs Feldspieler noch gar nicht auf dem Rasen.
Flick bewegt sich in der durch die Corona-Pandemie verzerrten Saison aktuell auf dem schmalen Grat der Belastungssteuerung. Der 55-Jährige muss stets abwägen, ob Pausen für einige Akteure oder das Einspielen für die finalen Bundesliga-Aufgaben des Jahres gegen Union, Wolfsburg und Leverkusen die höhere Priorität haben. "Es ist beides wichtig. Aber wir müssen die Belastung im Blick haben", sagte Flick dazu, der aus der Not eine Tugend macht.
So schonte er beispielsweise schon am fünften Spieltag der Champions-League-Gruppenphase gegen Atlético Madrid Kapitän Manuel Neuer, Mittelfeldmotor Leon Goretzka und Torjäger Robert Lewandowski. Und selbst gegen "die größten Rabauken im europäischen Fußball" hielt sich Flicks B- bis C-Elf wacker, holte ein 1:1. Obwohl unter anderem die beiden 17-jährigen Greenhorns Jamal Musiala und Bright Arrey Mbi in der Startelf standen. Musiala wurde auch gegen Moskau eingewechselt, kam für Goretzka und fügte sich fast nahtlos ein.
Es ist riskant, aber Flick bekommt es hin, dass am Ende alle profitieren: Junge Spieler sammeln auf Topniveau Praxiserfahrungen, dadurch verbessern sie sich. Alle Spieler können sich in allen möglichen Konstellationen einspielen, die Abstimmung untereinander wird besser, das Selbstbewusstsein und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten größer. Der ohnehin schon breite Kader wird dadurch auch tiefer. Und die Vielspieler können dann auch mal guten Gewissens vom Sofa aus zuschauen.
Gegen Moskau war es zum Beispiel erneut Lewandowski, den Flick nicht einsetzte. Für ihn spielte Eric Maxim Choupo-Moting, er traf zum 2:0. Auch David Alaba (nicht im Kader) und Benjamin Pavard (Bank) wurden gegen die Russen geschont. In der Viererabwehrkette setzte Flick diesmal auf eine Konstellation aus Bouna Sarr, Jérôme Boateng, Niklas Süle und dem wieder genesenen Alphonso Davies.
Außerdem startete zum Beispiel Neuzugang Marc Roca im Mittelfeld, der bisher nur 156 Minuten zum Einsatz kam. Der Spanier zahlte es mit einer soliden Leistung zurück. Auch der zuletzt als nicht fit genug gescholtene Süle münzte das erhaltene Vertrauen um, erzielte mit seinem 1:0-Treffer sein allererstes Champions-League-Tor. Die Vorlage lieferte Douglas Costa per Eckstoß.
Und so langsam lichten sich die Reihen im Rekordmeisterlazarett auch wieder. Alphonso Davies gab nach seiner Verletzung am Sprunggelenk aus dem Oktober ein äußerst gelungenes Comeback. Nach 69 Minuten tauschte Flick ihn gegen Lucas Hernández. "Ich glaube, er hätte auch 90 Minuten durchspielen können", sagte Flick nach dem Spiel über den Kanadier und fügte hinzu: "Er kann mit seinem Comeback wirklich sehr zufrieden sein."
Dafür, dass die Belastung so groß und die Verletztenliste so lang ist, haben die Bayern die Corona-Saison sehr gut im Griff. Hansi Flicks Gespür und die Qualität der zweiten Reihe, die durch die Rotation immer besser wird, machen's möglich.
Übrigens war das 2:0 gegen Lokomotive Moskau der erste Zu-Null-Sieg seit dem 24. Oktober, als der FCB 5:0 gegen Eintracht Frankfurt gewonnen hat. Tut sicher auch mal wieder gut. Auch daran können die Bayern einen Haken machen. ✔️
(as/mit Material von dpa)