Ein paar Tage einfach nur am Strand liegen, Zeit mit der Familie verbringen und die Seele baumeln lassen – für Sportchefs in der Fußball-Bundesliga ist das jedoch mehr Wunschtraum als Realität. Wenn Spieler und Betreuer rund um das Team nach einer langen Saison zumindest für ein paar Tage mal keine Gedanken an den Fußball verschwenden, geht für die Funktionäre die stressigste Zeit der Saison los.
Einer, der das in verschiedensten Rollen über 20 Jahre lang Sommer für Sommer miterlebt hat, ist Michael Reschke. Er arbeitete für Bayer Leverkusen, den FC Bayern, den VfB Stuttgart und Schalke 04, fädelte so einige Transfers ein.
"Ich habe in den vergangenen 20 Jahren nie mehr als acht Tage Urlaub am Stück gemacht. Selbst am 25. oder 26. Dezember beschäftigst du dich mit dem Thema Fußball. Das frisst unglaublich Energie und ist physisch und psychisch belastend", erzählt er im Gespräch mit watson. Ohne ein stabiles und verständnisvolles Umfeld hätte er den Job niemals so lang ausüben können.
Zwar gibt es jetzt schon zahlreiche bestätigte Transfers, denn in England dürfen Spieler bereits seit dem 10. Juni den Verein wechseln, doch der eigentliche Transfermarkt hat am 1. Juli eröffnet.
Die Lawine an Gerüchten, Spekulationen, Exklusiv- und Falschmeldungen nimmt jetzt erst Fahrt auf und gipfelt im Sportjournalismus gefeierten "Deadline Day", dem 31. August. Denn bis zum letzten Tag des Monats können die Fußball-Stars einen Arbeitsvertrag bei einem neuen Klub unterschreiben.
Bis dahin werden unzählige Gespräche geführt, es wird verhandelt, es werden Gerüchte gestreut und dementiert und bestätigt. Und das, um am Ende den Wunschspieler zu bekommen, der nach einer verkorksten Saison wieder Erfolge und womöglich Titelgewinne zum Verein bringen soll.
Der Druck, der auf den Sportchefs der Klubs lastet, ist schon immer enorm hoch. Neben den Spielern sind sie es vor allem, die für die Erfolge und Misserfolge des Vereins in jeglicher Hinsicht verantwortlich gemacht werden.
Daher erklärt Reschke auch: "Das ist schon zu einem großen Teil Berufung und nicht nur ein Job. Jeder, der den Job macht, entscheidet sich aus freien Stücken dazu und es gibt auch eine Menge Schmerzensgeld."
Verändert hat sich seit Reschkes Anfangsjahren in der Bundesliga aber einiges. Mittlerweile ist es fast unmöglich, dass ein Wechsel geräuschlos über die Bühne geht. TV-Sender haben eigene Sendungen, die sich mehrmals wöchentlich nur um Transfers kümmern. Journalisten veröffentlichen auf Twitter ständig den neuesten Stand der Verhandlungen.
Denn mittlerweile wissen Berater und auch Spieler ganz genau, wie sie gewisse Entscheidungen durch die Berichterstattung steuern können.
Fabrizio Romano ist einer dieser Transferexperten, der auf Twitter Wechsel ankündigt, noch bevor die Vereine eine Chance haben, die Information selbst zu teilen. Allein in den vergangenen drei Jahren sammelte er über acht Millionen Follower bei Twitter und nochmal so viele bei Instagram.
"Mit Instagram hat sich in den drei, vier Jahren alles verändert. Dort schreibe ich jetzt mit den Profis selbst, sie sind offen, kennen mich und vertrauen mir. Das liebe ich. Manchmal helfen die Spieler aktiv mit. Sie wollen eine 'Here we go'-Meldung von sich sehen oder ordnen etwas ein", sagte er im Interview mit der "Bild". Als seine wichtigste Quelle gelten jedoch weiterhin die Spielerberater.
Findige Berater nutzen die gezielte Verbreitung von Informationen immer wieder aus, um zusätzlichen Druck auf die Sportchefs der Vereine aufzubauen und so noch den ein oder anderen Euro mehr für ihre Spieler herauszuhandeln.
Doch eben das ist nicht der einzige Job des Sportdirektors. "Der Spagat, den du in diesem Beruf zu bewältigen hast, ist für einen Außenstehenden schwer nachzuvollziehen", sagt der heutige Spielerberater Reschke.
Allein bei einem Nachwuchsspieler, der im Team lediglich Ergänzungsspieler ist und einen Vier-Jahres-Vertrag bei einem Grundgehalt von 250.000 Euro unterschreibt, müsse man sich das Volumen von einer Million Euro bewusst machen, das man durch seine Unterschrift absegnet. Und dieses Geld ist wiederum an anderer Stelle im Verein nicht vorhanden.
"Alle sind von deinen Entscheidungen abhängig und das ist schon ein mächtiges Brett: Sei es die Anspruchshaltung der Fans, die Medienarbeit, das direkte Klubumfeld, die Aufsichtsräte, die Vorstandskollegen oder die Vereinsmitarbeiter, die alle eine emotionale Bindung zum Klub haben."
Einem, dem das nach zwölf Jahren zu viel wurde und dem die Schattenseiten dieses Geschäfts zu viel geworden sind, ist Max Eberl.
Der 48-Jährige legte Anfang Januar 2021 zunächst eine mehrwöchige Pause ein und erklärte ein Jahr später während der Saison unter Tränen endgültig von seinen Ämtern zurückzutreten.
"Was alles gesprochen und was alles spekuliert wird, ist genau das, das mich tatsächlich krank macht. Das ist ein ganz simpler Grund, warum ich nicht mehr arbeiten kann. Ich bin einfach erschöpft und müde", erklärte er und fügte hinzu: "Viele Dinge drumherum sind nicht mehr meine Freude und nicht mein Spaß."
Der Sportchef plädierte bei seinem Abschied auch für einen respektvolleren Umgang miteinander, um ähnliche Situationen künftig zu vermeiden. "Man soll sich immer bewusst sein, was man da mit dem Menschen und seinem Umfeld tut. Der Fußball soll im Mittelpunkt stehen. Und nicht die ganzen Geschichten drumherum."
Dabei war der ehemalige Defensivspieler ein gefragter Mann in der Fußball-Bundesliga. Die Türen der Fußball-Welt standen ihm offen. Nicht nur einmal wollte ihn der FC Bayern als Sportdirektor nach München locken, doch er blieb Mönchengladbach treu.
Vielleicht weil Eberl auch ganz genau wusste, was ihn beim FC Bayern, wo er selbst von 1979 bis 1994 als Jugend- und Männerspieler aktiv war, erwarten würde.
So erklärt auch Reschke: "Durch die spezielle Rolle des Internets ist eine ganz neue Komponente der Beschimpfungen und Drohungen hinzugekommen, die manchmal nur schwer auszuhalten ist." Und die ist in München noch deutlicher zu spüren als in Gladbach.
Nicht zuletzt erhielten der aktuelle Sportvorstand Hasan Salihamidžić und seine Frau und Kinder nach Niederlagen immer wieder Morddrohungen über verschiedene soziale Netzwerke.
Doch mit dem Transfer von Sadio Mané, sowie den Verpflichtungen von Ryan Gravenberch und Noussair Mazraoui änderte sich das ganz plötzlich in den vergangenen Tagen und der 45-Jährige ist der gefeierte Held.
Eine konkrete Idee, wie der Job menschenfreundlicher gestaltet werden kann, hat der erfahrene Michael Reschke aber auch nicht.
"Es gibt keine Alternative dazu. Man kann Entscheidungsprozesse nicht auf 24 Schultern verteilen, sondern es muss einen geben, der die Kompetenz und die Entscheidungsbefugnis hat."
Zudem macht er deutlich: "Du erlebst bei aller Anspannung und Verantwortung auch unglaublich viele Emotionen. Jedes Bundesliga-Spiel, jeder Sieg sorgt für einen enormen Adrenalinstoß."