Annika Zeyen konnte gar nicht mehr aufhören, mit einem breiten Lächeln in die Kamera zu strahlen. Die 36-jährige Ausnahmeathletin hat bei den Paralympischen Spielen in Tokio zwei unglaubliche Tage hinter sich. Und resümierte am Mittwochmorgen im ZDF erschöpft, aber glücklich: "Silber ist für mich wie Gold."
Gold hatte Zeyen dafür schon am Dienstagmorgen im Straßen-Zeitfahren im Paracycling gewonnen, am Mittwochmorgen wiederholte sie den Erfolg beinahe, musste sich in einem engen Straßenrennen über 26,4 Kilometer aber Jennette Jansen aus den Niederlanden geschlagen geben und landete auf Platz 2.
Und dennoch gelang der Bonnerin bei den Paralympics in Tokio ein historischer Erfolg. Denn sie ist nun gleich in zwei verschiedenen paralympischen Sportarten Goldmedaillengewinnerin. "Es ist einfach unglaublich", sagte die querschnittgelähmte Zeyen, die erst 2019 zum Radsport gewechselt war. "In zwei verschiedenen Sportarten Gold bei Paralympics zu gewinnen, das kann man nicht toppen."
Das Gefühl, bei Olympischen Spielen teilzunehmen und eine Medaille zu gewinnen, kannte Zeyen bereits. 2008 und 2016 gewann sie im Rollstuhlbasketball Silber, 2012 sogar Gold.
Dass sie irgendwann auch mal im Handbike eine Medaille gewinnen würde, war für sie zwar nicht vorstellbar, aber auch nicht so ganz abwegig.
"Schon als Basketballerin bin ich für die Ausdauer immer Handbike gefahren. So ganz abwegig war das also nicht", sagte sie mit einem Lachen. Doch zum Handbike kam sie eher über Umwege.
Nach ihrem Karriereende 2016 versuchte sie sich zuerst als Rennrollstuhlfahrerin in der Leichtathletik. Verletzungsbedingt konnte sie das jedoch nicht fortsetzen und wechselte schlussendlich zum Handbike. "Heute bin ich überglücklich, dass ich das Handbike gewählt habe." Ein Zeitfahren hatte sie zuvor noch nie gewonnen – zumindest nicht bis Dienstagmorgen.
Doch die Erfolge bei den Para Radsport-Weltmeisterschaften in Portugal Anfang Juni ließ ihr Selbstbewusstsein steigen. Zeyen holte Bronze und Silber und gewann zum zweiten Mal den WM-Titel im Straßenrennen über die 58,8 Kilometer.
Und so erklärte sie bereits im Vorfeld der Spiele selbstbewusst: "Als Weltmeisterin fährt man nicht zu Paralympics, um nur dabei zu sein." Und fügte hinzu: "Ich will mit einer Medaille heimkommen", sagte sie gegenüber der Webseite "Velototal". Und sie hielt Wort.
Im Basketball hatte sie bereits alles gewonnen. Sie ist mehrfache deutsche Meisterin, Pokalsiegerin, Champions-League-Gewinnerin, Europameisterin und zweifache Vize-Weltmeisterin. Doch 2016 entschied sie, ihre Basketballkarriere zu beenden, um sich nicht mehr nach den Trainingszeiten des Vereins und der Nationalmannschaften richten zu müssen. "Im Einzelsport trainiert man nicht weniger, aber flexibler", sagte sie.
Und obwohl die beiden Sportarten sich auf den ersten Blick grundlegend unterscheiden, hat sie viel aus ihrer ersten Karriere mitgenommen. "Ich war schon viele Jahre Leistungssportlerin", sagte sie. "Ich weiß, was es heißt, sich zu quälen. Und ich bin sehr ehrgeizig und trainingsfleißig."
Und das war sie auch während der coronabedingten Zwangsunterbrechung zu Beginn des Jahres. Gerade in den Wintermonaten sei es manchmal schwer gewesen, sich zum Training zu motivieren. Aber: "Wenn es mal nicht so gut lief, habe ich an meine Konkurrenten gedacht und mir gesagt: Komm, die trainieren auch. Das hat geholfen."
Und auch nach ihrem Rennen resümierte sie: "Es war ein schwieriger Weg hierhin. Durch die Coronapandemie hatten wir fast eineinhalb Jahre gar keine Wettkämpfe."
Besonders diese Zeit habe ihr klargemacht, dass auch Einzelsport nicht ohne ein Team im Hintergrund funktioniert. Und so erklärt sie gegenüber "Velototal", dass sie im Herzen immer noch Teamsportlerin sei. Doch nun bestehe ihre Mannschaft eben aus ihrer Familie und ihren Freunden.
Diese waren aufgrund der Corona-Pandemie zum ersten Mal während der Paralympics nicht an ihrer Seite. "Aber sie sind alle immer mitten in der Nacht aufgestanden, um meine Rennen zu gucken" und so war ihr Verlobter ihr erster Gratulant nach dem Golderfolg.
Von England aus rief er eine Kollegin Zeyens an und ließ sich durchstellen. "Schön, wenn man Kolleginnen im Ziel hat", sagte Zeyen, die als Brand Manager für das Internationale Paralympische Komitee (IPC) arbeitet.
Und nach den Paralympics hat sie dann ihr "Team" wieder komplett beisammen, um nicht nur ihre Erfolge bei den Paralympics zu feiern, sondern auch ihre Hochzeit zu feiern. "Wenn Tokio vorbei ist, können die Hochzeitsplanungen starten", sagte sie freudestrahlend dem ZDF.
(mit Material von dpa)