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Olympia: Fahnenträger Patrick Hausding zu mentalem Druck im Leistungssport

Patrick Hausding bei Olympia 2020 in Tokyo
Patrick Hausding holte bei Olympia in Tokyo Bronze im Synchronspringen vom 3-Meter-Brett. Bild: www.imago-images.de / Akihiro Sugimoto
Interview

"Als Kind wurde ich im Training angeschrien" – Olympia-Fahnenträger Hausding über mentalen Druck im Leistungssport

11.08.2021, 12:5011.08.2021, 13:01
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Seit 2006 tritt Patrick Hausding im Senioren-Wasserspringen an. 2008 gewann er mit 19 Jahren seine erste Olympia-Medaille, danach war das Medieninteresse an dem gebürtigen Berliner riesig. Vor den Olympischen Spielen 2012 war die Erwartungshaltung enorm – er musste lernen, mit dem Druck umzugehen.

Im watson-Interview spricht der heute 32-Jährige über den Umgang von US-Turnerin Simone Biles mit psychischen Problemen und ihren Absagen einiger Olympia-Wettbewerbe. Außerdem erklärt er den Druck, den Leistungssportler sich selbst machen, den sie von den Medien und dem Verband bekommen.

"Man sieht die Fernseh- und Radiobeiträge und die Zeitungs-Artikel und wird runtergeschrieben, als wäre der vierte Platz bei Olympia gar nichts wert."
Wasserspringer Patrick Hausding

watson: Herr Hausding, haben Sie mit anderen Athleten oder Athletinnen über die Absagen von Simone Biles wegen ihrer mentalen Gesundheit gesprochen?

Patrick Hausding: Man redet natürlich darüber und ich kann mich in einer gewissen Weise auch gut hineinversetzen.

Warum?

Natürlich ist Turnen eine Sportart – ähnlich wie beim Wasserspringen – in der es bei den schnellen Drehungen um Orientierung geht. Damit ist eine gewisse Gefahr verbunden. Wenn man im Training anfängt, Orientierungsverluste zu haben, macht sich schnell eine Angst breit, dass man falsch landen könnte.

Und das kann dann zu mentalen Problemen führen?

Ja. Ich kenne viele Wasserspringer, die deshalb ihre Karriere beenden mussten. Wenn du die Drehungen nicht machen kannst, kannst du nicht so erfolgreich turnen, weil dir Elemente fehlen. Simone Biles hätte dann nicht die Erwartungen erfüllt und sie muss immer im Hinterkopf gehabt haben, dass die ganze Welt auf sie schaut und sechs Gold-Medaillen von ihr erwartet werden.

Der Druck wurde zu hoch und sie sagte verschiedene Wettbewerbe ab…

Außer den Schwebebalken. Und da kann man gut auf Drehungen verzichten, was zu der Theorie passt.

Sie selbst hatten auch einen Trainingsunfall und sind 2019 auf dem Kopf statt auf den Füßen gelandet. Wie haben Sie sich dabei verletzt?

Ich habe die Orientierung beim Schrauben-Sprung verloren und dann einfach zum falschen Zeitpunkt geöffnet. Ich hatte ganz starke Stauchungen und einen Muskelbündelriss.

Wie haben Sie es verarbeitet, damit es keine mentale Belastung für sie wird?

Ich konnte in der Folge meine Technik ändern und somit heikle Bewegungen umgehen, sodass ich mich nicht verrückt machen musste. Aber Simone stand kurz vor dem Wettkampf, da bist du in der höchsten Belastungs-Phase und die ganze Welt schaut auf dich. In ihrem aktuellen Karriere-Status konnte sie sich nicht erlauben, dass sie sich blamiert. Daher war es mutig von ihr, es sein zu lassen.

"Man ist Einzelsportler, anders als im Fußball. Wenn ein Fußballer nicht 100 Prozent Leistung bringt, kann das Team trotzdem gewinnen. Das ist bei Einzelsportlern anders."
Patrick Hausding

Welche Rolle spielen die Medienschaffenden, die alle vier Jahre hohe Erwartungen gegenüber den Olympioniken aufbauen?

Man wächst zwar in die Sache hinein, dennoch ist man Einzelsportler, anders als im Fußball. Dort stehen in einem Kader 20 Spieler, man ist nicht alleine. Wenn ein Fußballer nicht 100 Prozent Leistung bringt, kann das Team trotzdem noch gewinnen. Das ist bei uns Einzelsportlern anders.

Deshalb steigt der Druck auf eine Person also noch mehr.

Genau. Gleichzeitig wächst mit dem Medien-Aufkommen natürlich auch die Popularität, man ist attraktiver für Sponsoren und das erhöht den Reichtum und die Lebensqualität. Wer möchte, dass er durch seinen Sport in der Öffentlichkeit steht und auch sein Geld verdient, der muss irgendwie damit klarkommen und da durch. Es ist ein Teufelskreis.

Wie war es in Ihrer eigenen Karriere?

Auch ich musste da reinwachsen. Am Anfang war ich nicht überfordert, weil der Erfolg überraschend kam. Ich bin mit 19 Jahren das erste Mal 2008 zu Olympia gefahren.

Patrick Hausding (r.) und sein Spring-Partner von 2008 Sascha Klein
Patrick Hausding (r.) und sein Spring-Partner von 2008, Sascha Klein.Bild: imago sportfotodienst / Laci Perenyi

Und Sie haben direkt im Turm-Synchronspringen Silber geholt.

Es gab danach einen großen Medienrummel. Ich war auf einmal im Interview mit Reinhold Beckmann, Waldemar Hartmann oder Harald Schmidt. Das war Wahnsinn. Aber vor dem Wettkampf gab es an mich als 19-Jährigen keine Erwartungen. Vier Jahre später bei Olympia in London war es ganz anders…

...und wie?

Viele haben gesagt, dass ich mit 19 Jahren schon eine Medaille gewonnen habe, dann muss ich es vier Jahre später erst recht wieder hinkriegen. Da war eine ganz andere Erwartungshaltung vorhanden.

Wie haben Sie das wahrgenommen?

Die Journalisten haben natürlich 2012 in London auf die Medaillen-Gewinner von 2008 geschaut und gesehen, dass ich wieder dabei war. Leider wurde ich nur Vierter und Siebter.

Und die Enttäuschung war groß?

Von allen Seiten. Man sieht die Fernseh- und Radiobeiträge und die Zeitungs-Artikel und wird runtergeschrieben, als wäre der vierte Platz bei Olympia gar nichts wert. Das ist schon hart. Dabei setzt man sich selbst schon genug Druck, der durch den Außendruck nochmal verstärkt wird.

"Nicht nur Journalisten bauen große Erwartungshaltungen auf, auch die Verbände. Wenn man eine Medaille gewinnt, wird für die nächsten Olympischen Spiele wieder eine eingeplant."
Patrick Hausding über die Erwartungshaltung eines Verbands

Welchen Außendruck meinen Sie konkret?

Nicht nur Journalisten bauen große Erwartungshaltungen auf, auch die Verbände. Wenn man eine Medaille gewinnt, wird für die nächsten Olympischen Spiele wieder eine eingeplant. Das war bei mir nicht der Fall. Zusätzlich zum Druck von oben kommt auch das Bewusstsein gegenüber der Nachwuchs- und Leistungssport-Förderung.

Weil Fördergelder zum großen Teil nach Erfolgen fließen?

Ja. Von den eigenen Leistungen sind staatliche Förderungen des Innenministeriums abhängig, was natürlich den Druck hochhält, aber man gleichzeitig als Athlet auch die Verantwortung gegenüber dem Nachwuchs spürt, der von den Förderungen abhängig ist.

Das heißt, ein Olympia-Teilnehmer muss dem eigenen Druck, aber auch dem der Medien, des Verbandes und der Nachwuchs-Förderung standhalten. Wie funktioniert das?

Man muss da eigenverantwortlich arbeiten, aber auch die Trainer fühlen in den Sportler rein und sind Teil-Psychologen. Natürlich bekommen wir unser Geld vom Staat und das sorgt für einen gewissen Druck. Aber Olympia hat nun mal seine eigenen Regeln. Da kann es bei so vielen Schicksalen steil nach oben gehen oder auch stark bergab.

In einer Umfrage, die watson mit dem Meinungsforschungsinstitut civey durchgeführt hat, wird klar, dass junge Menschen in Deutschland das Thema der mentalen Gesundheit mehr auf dem Schirm haben. Lässt sich das aus Ihrer Sicht auch auf den Sport übertragen?

Allein historisch bedingt gab es einen Umschwung. Ich kann mich daran erinnern, dass ich im Training als Kind noch angeschrien wurde und dadurch Druck aufgebaut wurde. Das ist heute anders. Die jungen Sportler sind sensibler und machen sich viel mehr Gedanken. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass der Kampfgeist fehlt. Vielleicht liegt das an den vielen Angeboten und Ablenkungen, die man heutzutage hat.

Aber kann Ablenken für den einzelnen Athleten nicht auch gesünder sein?

Ich denke, dass es auch möglich ist, mithilfe von Sportpsychologen ohne mentale Probleme durch eine Karriere im Leistungssport zu kommen, aber man muss genug eigene und externe Motivation haben und natürlich Taktiken entwickeln, wie man mit Rückschlägen umgeht.

Inwiefern?

Zum Beispiel ist wahrscheinlich schon jeder Wasserspringer mit den Füßen aufs Brett geknallt oder mit einem anderen Körperteil. Dann muss man Wege finden, wie man damit umgeht, auch auf mentaler Ebene – damit es zu keinen größeren Problemen kommt. Mache ich eher eine Pause und unterbreche das Training oder gehe ich direkt wieder aufs Brett und springe runter?

Patrick Hausding (l.) mit seiner letzten Medaille und Sprungpartner Lars Rüdiger in Tokyo
Patrick Hausding (l.) mit seiner letzten Medaille und Sprungpartner Lars Rüdiger in Tokyo.Bild: www.imago-images.de / Moritz Mueller

Wie sind Sie damit umgegangen?

Wenn ich mich nicht ernsthaft verletzt habe, dann war ich schon der Typ, der gleich wieder hochgegangen ist und den nächsten Sprung gemacht hat.

In Gesprächen mit zahlreichen Experten wird immer wieder die Wichtigkeit von präventiver Arbeit mit Sportpsychologen betont. Passiert das in der Praxis?

Ich selbst war in meiner ganzen Karriere nur zwei oder dreimal beim Sportpsychologen – das war wegen privater Angelegenheiten, nicht aufgrund sportlicher Probleme. Ich hatte das Glück und habe es nicht gebraucht, weil ich die Herausforderungen immer alleine bewältigen konnte. Aber ich weiß, dass am Berliner Olympiastützpunkt die Sportpsychologen viel zu tun haben – beispielsweise viele Wasserspringer gehen regelmäßig hin.

Also ist es wichtig und richtig, dass es dieses Angebot gibt?

Ja, weil es genug Fälle gibt, die nicht alleine klarkommen und deshalb sportpsychologische Hilfe brauchen.

Wie hat sich die sportpsychologische Betreuung während Ihrer Karriere entwickelt?

Sowohl der Bedarf als auch die Betreuung hat sich gut entwickelt. Ich glaube, das ist auch so, weil wir in einer Generation leben, in der die Sensibilisierung für mentale Probleme oder aber auch Diskriminierung viel höher ist. Dieses Gedankenmachen schürt aber natürlich auch mehr Ängste, als wenn sich ein Sportler gar keinen Kopf macht.

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