Thomas Tuchel soll Nachfolger von Julian Nagelsmann werden. Bild: www.imago-images.de / Fotostand
Analyse
Für Thomas Tuchel sind selbst und Salz- und Pfefferstreuer Fußballer. Neun Jahre ist es mittlerweile her, dass sich die ikonischen Szenen zwischen ihm und Pep Guardiola im Münchner Nobelrestaurant "Schumann's" abspielten und aus den Streuern kurzerhand die Figuren Messi und Iniesta wurden.
Tuchel, damals Trainer von Borussia Dortmund, und Guardiola als Bayern-Coach unterhielten sich stundenlang über "Fußball, Fußball, Fußball", wie der Spanier später erzählte.
Ähnlich wie sein Trainer-Kollege gilt Tuchel als absolut detailverliebt. Er ist ein Taktiker, der stundenlang über die richtige Aufstellung, Pressingmomente und Vierer- oder Dreierketten philosophieren kann.
Das kann Julian Nagelsmann auch, das hat er schon oft genug unter Beweis gestellt. Doch der 35-Jährige ist mittlerweile nicht mehr Trainer in München, stattdessen kommt nun Tuchel.
Aber was macht den 49-Jährigen eigentlich zur besseren Wahl als das von den Bayern-Bossen viel titulierte "langfristige Projekt" mit Nagelsmann?
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Thomas Tuchel zeigt Anpassungsfähigkeit
Für den Fußball-Analysten Benny Grund unterscheidet Tuchel eine Sache von "99 Prozent" aller Trainer: "Er kann die individuellen Profile der Spieler und sein taktisches System in Einklang bringen", erklärt er bei Twitter.
Das zeigte er beim BVB, als er die Mannschaft von Jürgen Klopp übernahm und sie von einem pressingintensiven Spielstil zu einer taktisch perfekt eingestelltem Mannschaft entwickelte, die ansehnlichen Kombinationsfußball spielte.
Auch bei Paris Saint-Germain schaffte er es, Spuren zu hinterlassen. "Das Training und seine offensiven Ideen waren außergewöhnlich, die eines Top-Top-Top-Trainers", lobte erst kürzlich Torwartlegende Gianluigi Buffon, der zu dieser Zeit bei PSG unter Vertrag stand. Dabei bestand der Angriff zu dieser Zeit bereits aus Neymar, Mbappé und di María.
Bei Chelsea schaffte er das komplette Gegenteil und stabilisierte die zuvor anfällige Defensive. Durch eine Systemumstellung kassierten die Engländer in zehn Spielen lediglich zwei Gegentore. Wohl auch ein Punkt, den er in München dringend verbessern muss. Nach 25 Spielen stehen die Münchner bereits bei 27 Gegentoren. Am grundsätzlichen Spielstil der Münchner dürfte sich jedoch nicht viel ändern.
Am Ende seiner ersten Saison gewann er mit den Londonern den Champions-League-Titel. Diese Chance bietet sich ihm auch mit dem deutschen Rekordmeister.
2021 gewann Thomas Tuchel mit dem FC Chelsea den Champions-League-Titel. Bild: Press Association / Adam Davy
Die größte Baustelle auf dem Platz ergibt sich für Tuchel aber vor allem darin, dass die Spieler die richtige Einstellung zeigen. In den Top-Spielen der Champions League haben die Bayern-Stars mit starken Leistungen brilliert. Es gilt jedoch, diese Leistungen auch im Bundesliga-Alltag über 90 Minuten gegen kleinere Teams auf den Platz zu bringen.
Dass Tuchel nach seiner Zeit in England und zuvor in Frankreich noch Anpassungszeit in der Bundesliga braucht, glaubt Christian Heidel nicht. Er beförderte den heute 49-jährigen Coach im Sommer 2009 zum Cheftrainer bei Mainz 05.
Tuchel kenne die "Bundesliga in- und auswendig, er ist ein Fußball-Nerd und hat alles verfolgt", sagte er bei Sky Sport.
Buffon schwärmt in höchsten Tonen von Thomas Tuchel
Nagelsmann wird laut verschiedener Medienberichte vorgeworfen, dass er es nie schaffte, den mit Top-Stars gespickten Kader angemessen zu moderieren.
Immer mal wieder klagten Ersatzspieler über zu wenig Spielzeit oder den Umgang von Nagelsmann mit ihnen. Zudem würde er es nicht schaffen, die jungen Spieler einzubinden und weiterzuentwickeln.
Tuchel und PSG-Sportdirektor Leonardo gingen im Streit auseinander. Bild: imago images / FEP
Buffon erinnert sich im Gegensatz hierzu gerne an die Zeit unter Tuchel: "So etwas habe ich nur selten erlebt: Er zeigt Einfühlungsvermögen, kommt dadurch glaubhaft rüber und sendet positive Energie aus. Wunderschön!"
Ähnlich sieht das auch Heidel: "Er wird das erste Mal in der Kabine aufschlagen und alle Spieler werden beeindruckt von diesem Auftritt sein. Weil er einfach eine besondere Aura, ein besonderes Charisma hat."
Dabei wurde er gerade zu Beginn seiner Karriere als Kontrollfreak und eher gefühlskalt charakterisiert.
FC Bayern: Cancelo kann Schlüsselspieler werden
Der Wechsel von Tuchel zu Nagelsmann könnte auch ein wichtiges Zeichen für Winter-Neuzugang João Cancelo sein. Er galt zwar als Nagelsmanns Wunschspieler, aber wirklich regelmäßig zum Einsatz kam er in den vergangenen Monaten nicht. Das könnte sich nun ändern.
João Cancelo stand unter Julian Nagelsmann selten in der Starfelf. Bild: www.imago-images.de / imago images
Tuchel hat bereits bei seinen vorherigen Stationen gezeigt, dass er auf klare Außenverteidiger setzt, die sich häufig in die Offensive einschalten und dribbelstark sind. Alles Eigenschaften, die zum Portugiesen passen. Bei Chelsea entwickelte sich beispielsweise Recce James zu einem der besten Spieler der Premier League auf dieser Position.
Fraglich nur, was dann aus Benjamin Pavard wird. Nach seinem Beinahe-Abgang im Winter stellte Nagelsmann ihn in den vergangenen Wochen auf seiner Lieblingsposition in der Innenverteidigung auf. Sollte Cancelo die dauerhafte Option für die rechte Seite bleiben, könnte in der Innenverteidigung einer neuer Konkurrenzkampf zwischen Pavard, Upamecano und de Ligt ausbrechen.
FC Bayern: Fragezeichen hinter dem menschlichen Miteinander
Dass Tuchel mit seinen Qualitäten den FC Bayern zu Titeln führen kann, ist unbestritten. Ein Fragezeichen steht aber noch hinter dem Miteinander mit den Bayern-Bossen.
Beim BVB endete seine Zeit, da es keine Grundlage mehr für eine "auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit" gab, wie BVB-Boss Watzke in einem offenen Brief schrieb.
In Paris überwarf er sich mit Sportdirektor Leonardo, da sie sich in Transferfragen nicht einig waren. Trotz eines 4:0-Sieges in der Liga musste er einen Tag vor Heiligabend gehen.
Bei Chelsea geriet er ebenfalls in Sachen Transferfragen mit Neu-Eigentümer Todd Boehley aneinander. Der wollte Cristiano Ronaldo verpflichten, Tuchel lehnte ab.
Die große Frage ist nun, wie sich das mit den Bayern-Bossen Kahn, Salihamidžić und Hainer vereinbaren lässt.
Der FC Bayern ist wieder wer. Nach fünf Bundesliga-Spieltagen grüßt der Rekordmeister mit 13 Punkten und einer Tordifferenz von 17:4 von der Tabellenspitze. Im Anschluss an die vergangene, so enttäuschende, weil titellose Saison hat die Vereinsführung die richtigen Konsequenzen gezogen, das lässt sich schon jetzt festhalten.