Wenn ein neuer DFB-Präsident ins Amt gewählt wird, spricht er in seiner Antrittsrede eigentlich immer von einem "Neuanfang", der "nur gemeinsam" zu schaffen sei. Das große Ziel war es immer wieder, sich von den sogenannten Altlasten zu befreien. Wolfgang Niersbach, Reinhard Grindel und Fritz Keller wollten das – und sie scheiterten in den vergangenen zehn Jahren an sich und den internen Machtkämpfen und Intrigen. Alle drei traten vorzeitig zurück.
Wenn am Freitag die 262 DFB-Delegierten über den neuen DFB-Präsidenten abstimmen, werden vermutlich auch Bernd Neuendorf oder Peter Peters wieder diese oder ähnliche Worte verwenden. Das taten sie schon bei Medienauftritten im Vorfeld.
Das Problem: Den Rückhalt der über sieben Millionen Mitglieder des weltweit größten Sportdachverbands hat keiner der beiden.
Das zeigt eine Studie, die von der Universität Würzburg und der Hochschule Ansbach unter 12.000 Fußballinteressierten durchgeführt wurde. Sowie eine repräsentative Umfrage unter 2000 Fußballfans der Plattform FanQ in Zusammenarbeit mit dem Sportinformationsdienst (sid). Knapp 70 Prozent der Befragten wünschen sich einen anderen Kandidaten und nur wenige trauen Peters (13 Prozent) oder Neuendorf (elf Prozent) das Amt zu.
"Beide sind in der Gunst der Basis durchgefallen", sagt Harald Lange, Fanforscher und Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg im Gespräch mit watson. "Ich bin mir nicht sicher, ob einer der beiden einen Neuanfang hinbekommen kann, weil beide tief im System verwurzelt sind."
Doch der schon so oft beschworene, aber nie durchgesetzte Neuanfang ist im Verband seit Jahren überfällig. Denn den Kontakt zur Basis haben die Top-Funktionäre längst verloren – auch wenn sie immer wieder beschwören, wie wichtig er sei.
In der Studie der Uni Würzburg gaben 70 Prozent an, sich von den Delegierten auf dem Bundestag nicht repräsentiert zu fühlen. "An der Basis hat man erkannt, wie das Spiel dort oben gespielt wird", bewertet Harald Lange. 93 Prozent stimmten der These zu, dass es der Verbandsspitze nur um Machterhalt und Geld ginge.
Für Lange wäre es daher die naheliegendste Botschaft, wenn die Führungspersonen deutlich machten, dass auch sie austauschbar seien. Nur dadurch würde das Wohl des Fußballs wieder in den Vordergrund rücken. "Der Verband muss versuchen, wieder mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauen herzustellen. Und das funktioniert nur, wenn das System an der Spitze durchlässiger wird."
Schließlich hätten die Untersuchungen ergeben, dass "wir davon ausgehen können, dass wir es mit einer Basis zu tun haben, die partizipieren, die Teilhabe einfordert, die mitmachen will."
Vertrauen in die Kandidaten Peter Peters und Bernd Neuendorf gibt es jedoch kaum. Der bisher weitgehend unbekannte Neuendorf (60 Jahre alt) ist aber klarer Favorit, nachdem sich das stimmgewaltige Amateurlager mehrmals für ihn ausgesprochen hatte. Peters (59), dessen Kompetenz von vielen Seiten stark angezweifelt wird, dürfte als Kandidat der Profiklubs bei der erstmaligen Kampfabstimmung kaum eine Chance haben.
"Zwei Kandidaten, die aus dem bestehenden DFB-System kommen und jeweils einem Lager zugerechnet werden, sind wahrlich keine demokratische Errungenschaft", sagte Katja Kraus, eine der Initiatoren von "Fußball kann mehr" im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
Die Initiative hatte sich aber früh mit scharfer Kritik aus dem Machtkampf verabschiedet und auf eine Kandidatur verzichtet. Ein abgekartetes Spiel, beklagte die Gruppe, dazu Deals in Hinterzimmern. Neuendorf und Peters warben zwar mit Frauen in ihren Teams. Es bleibt aber offen, wie ernst der Verband künftig das lange vernachlässigte Thema Vielfalt nimmt.
Andere Verbände und Länder sind dort schon viel weiter. Lise Klaveness ist seit März 2022 Präsidentin des norwegischen Verbands. Cindy Parlow Cone Chefin war Interimspräsidenten des amerikanischen Fußballverbands und ist es seit dem Februar 2022 auch offiziell für die kommenden vier Jahre.
"Es ist wichtig, dass Frauen in Führungspositionen kommen und nicht erst 30 Jahre Verbandsarbeit mitmachen müssen, Präsidenten eines Landesverbands werden und erst dann ins DFB-Präsidium kommen", sagt Lange. Eine Doppelspitze bestehend aus einem Mann und einer Frau lehnten sowohl Peters als auch Neuendorf jedoch ab.
Doch egal, ob es am Ende Bernd Neuendorf oder Peter Peters wird. Der künftige DFB-Präsident hat so einige Probleme zu bewältigen. Der Wirbel um Razzien, Strafverfahren, Rücktritte, Kündigungen, Abfindungen und Machtkämpfe lässt kaum Platz für das Thema Gleichberechtigung.
Dabei könnte der DFB mit Fortschritten in diesem Bereich Pluspunkte im Kampf um seine verloren gegangene Glaubwürdigkeit sammeln. Schließlich wünscht sich auch Bundestrainer Hansi Flick, dass "mal wieder positive Nachrichten" vom Verband kommen.
"Ich hoffe, dass es einen Neuanfang gibt", sagte Flick in der ARD. "Natürlich wünschen wir uns vom neuen Präsidenten, dass er eine Aufbruchsstimmung für den ganzen Verband, für den ganzen deutschen Fußball initiiert und mit anschiebt."
Lange fordert daher eine Reform, den DFB in einem Modell von der Basis zur Spitze zu denken. Die Idee ist es, den vielen Talenten, die an der Basis und auf lokaler Funktionärsebene schlummern, ihre Ideen einbringen und umsetzen zu lassen.
Dazu ist es aber auch nötig, dass die Vielfalt des Fußballs widergespiegelt wird und auch junge, alte, Menschen mit verschiedener Herkunft und Menschen, die den Fußball in unterschiedlichen Kontexten spielen, kennen und schätzen gelernt hätten.
Einen Teil kann der Verband sogar mit seinen 500 hauptamtlichen Mitarbeitern in der DFB-Zentrale dafür tun, doch dazu müssten sie mehr eingebunden werden. "Dieses gigantische Potenzial, das der DFB eigentlich hat, kommt nicht zur Entfaltung", kritisiert Lange.
(mit Material von dpa und sid)