Viele Wege führen bekanntlich nach Rom. Im Falle von Alexander Schwolow ist es aber nicht die ewige Stadt. Es ist Gelsenkirchen. Nachdem es bereits im Sommer 2020 Gerüchte um einen möglichen Wechsel in den Ruhrpott gab, folgte in diesem Jahr der endgültige Vollzug.
Doch was noch vor zwei Spielzeiten ein zweifelsfrei starker Transfer für beide Seiten gewesen wäre, scheint nun eine Notlösung zu sein. Einerseits für Schalke, die neben U21-Europameister Finn Dahmen auch Stefan Ortega, einen der besten Keeper der vergangenen beiden Spielzeiten, ins Visier genommen haben sollen. Andererseits auch für Schwolow selbst. Nach zwei eher unglücklichen Jahren in Berlin hinkte er seiner Form alter Tage lange hinterher.
Der mittlerweile 30-Jährige kommt nicht mehr als Überflieger nach Gelsenkirchen. Auch S04 wird in dieser Saison eine andere Rolle einnehmen als noch vor zwei Jahren. Als Aufsteiger braucht die junge Truppe einen souveränen Schlussmann mehr denn je.
Die vergangenen beiden Saisons waren für Schwolow nicht das, was er sich erwartet hat. Ursprünglich sollte er bei der Hertha Rune Jarstein ersetzen und die Nummer 1 beim "Big City Club" werden. Immerhin legte Herthas damaliger Sportchef Michael Preetz damals geschätzte sieben Millionen Euro auf den Tisch und stach damit mutmaßlich Schalke 04 aus.
Zum Vergleich: Nur sechs Keeper wechselten zum damaligen Zeitpunkt für mehr Geld in oder innerhalb der Bundesliga. Der Druck auf den gebürtigen Wiesbadener war also hoch.
Vielleicht war genau das auch ein Problem, mit dem sich Schwolow in der Hauptstadt konfrontiert sah. In Freiburg und zuvor Bielefeld, wohin er ein Jahr lang ausgeliehen wurde, war das Umfeld bedeutend ruhiger. Fehler wurden ihm eher verziehen und der mediale Druck war schon bei Trainingseinheiten wesentlich geringer. Eine Entschuldigung für die durchwachsenen Leistungen in zwei Jahren kann das aber freilich nicht sein.
Es war auch ein Zusammenspiel der Kaderkonstellation bei der Alten Dame. Als Neuzugang in einem nicht immer sattelfesten Team haben es Torhüter noch einmal schwerer. Wenn dann wie im Falle Schwolows auch die gesamte Hintermannschaft immer wieder verändert wird, ist das Chaos perfekt.
Von den 50 Spielen, die der Schlussmann für die Hertha absolvierte, hatte er mit Niklas Stark, Peter Pekarik, Lucas Tousart und Vladimir Darida einen kleinen Kern an Spielern vor sich, mit denen er mindestens 40-mal auf dem Platz stand.
Die anderen wichtigen Positionen, ein zweiter defensiver Mittelfeldspieler und Innen- und Außenverteidiger wurden immer wieder anders vom jeweiligen Trainer besetzt. Von Experimenten mit einer Dreier- oder Fünferkette ist da noch keine Rede.
Will heißen: Ein Torhüter braucht seine Eckpfeiler auf dem Feld und muss das Verhalten seiner Kollegen kennen. "Lässt mein Außenverteidiger den Stürmer in Ruhe flanken?", "Verlängert der Innenverteidiger einen langen Ball mit dem Kopf?" oder "Stört mein Sechser den Gegner beim Fernschuss?" sind nur wenige Fragen, die einem Keeper während einer Partie durch den Kopf schwirren.
Von einem überdurchschnittlichen Bundesligatorhüter, wie es Schwolow in seiner Zeit beim SC Freiburg definitiv war, werden solche Anpassungsfähigkeiten vorausgesetzt. Aber vielleicht ist der ehemalige U20-Nationalspieler auch einfach nicht für den Abstiegskampf gemacht. Vor seiner Zeit in der Hauptstadt kam er nur einmal in den "Genuss" dieses Phänomens.
Sowohl in der 3. Liga mit Bielefeld, als auch bei seiner Rückkehr in den Breisgau 2015 war er jeweils ein wichtiger Teil des Meisterteams. Nur in der Saison 2017/18 geriet der SC in Abstiegssorgen, ansonsten verweilte er im soliden Tabellenmittelfeld. Immer in Schlagdistanz zu den internationalen Rängen.
Die Zeit in Freiburg und Bielefeld hat also gezeigt: Schwolow kann unter Druck spielen. Dabei ist es egal, ob er um den Aufstieg in die zweite oder erste Bundesliga spielte. Jedes Wochenende zu liefern, ist auf jedem Niveau anspruchsvoll.
Nur handelt es sich dabei um eine andere Art Druck und wohl möglich hatte der 30-Jährige auch das Glück, dass er stets Teil einer Mannschaft gewesen ist, die einen klaren Plan verfolgte. An guten Tagen hat der SCF sogar in der Bundesliga seine Gegner mit und ohne Ball dominiert.
Schwolow konnte mit dem Strom schwimmen und fügte sich in das Mannschaftsgefüge ein. Das ist nichts Verwerfliches, im Gegenteil. Gute Teamspieler, die in einer funktionierenden Truppe aufblühen, gibt es überall und braucht es auch unbedingt.
Die kommende Saison wird zeigen, welche Rolle der Neuzugang zwischen den Pfosten auf Schalke einnehmen wird. Entweder lässt er sich erneut vom Kollektiv tragen und findet zurück zu seinem "alten" Spiel. Oder aber er versucht erneut in eine Rolle hineinzuwachsen, die ihm bislang nicht so richtig lag.
Schließlich ist das Potenzial Schwolows vorhanden. Er besitzt eine ordentliche Technik, mit der er Bälle mit einem, maximal zwei Kontakten verarbeiten kann. Bei langen Bällen hatte er in den letzten beiden Jahren eine ordentliche Quote von rund 42 Prozent und 48 Prozent. Damit zählte er jeweils zum oberen Viertel der Bundesliga.
Präzise, lange Bälle dürften unter Neutrainer Frank Kramer ein wichtiger Faktor werden. Mit Sebastian Polter und Simon Terodde hat der Keeper entsprechende Fixpunkte.
Auf der Linie sind bei Schwolow grundsätzlich wenige eklatante Schwächen auszumachen. Haarsträubende Patzer sah man auch in Berlin bei ihm selten. Aber eben auch keine Glanzparaden, mit denen er mal den einen oder anderen Punkt festhielt. Er wird auch auf seine Vordermänner angewiesen sein.
In Freiburg glänzten in den vergangenen Jahren Keeper wie Oliver Baumann oder Roman Bürki, weil es der SCF gut verstand, wenig Schüsse innerhalb des Strafraums zuzulassen oder den Stürmer so zu stören, dass der Abschluss unsauber wurde. Nur viermal innerhalb der letzten zehn Jahre fiel der Anteil gehaltener Schüsse eines Freiburger Keepers unter 70 Prozent – wohlgemerkt bei einem Team, das selten zu den Top-6 zählte.
Da Schwolow nicht immer die besten Entscheidungen im Eins-gegen-Eins trifft und sich zu oft nach vorn ziehen lässt, sobald ein Stürmer in den Strafraum eindringt, werden Abwehrchef Yoshida und seine Nebenleute ihren Teil zum Erfolg des Neu-Schalkers beitragen müssen.
Wenn die Strukturen aber klar sind, kann sich der Neuzugang aber zu einer festen Größe im Schalker Spiel entwickeln. Seine Reflexe sind überdurchschnittlich. Auch hat Schwolow eine gute Koordination auf der Linie. Er passt seine Position nach Hereingaben gut an und beherrscht sowohl die Fußabwehr als auch das schnelle Abtauchen sicher.
Viel wichtiger ist jedoch, dass ihm diesmal keine falschen Versprechungen gemacht werden. Auf Schalke wird klar sein, dass es einzig um den Klassenerhalt geht. Ambitionen nach oben nimmt man gerne mit, aber nur, wenn es das Punktepolster zulässt. Das unterscheidet sich von der Ausgangslage, die er in Berlin vorfand.
Schwolow weiß nun aber, wie es ist, in einem chaotischen Umfeld gegen den Abstieg zu spielen. Für die kommende Spielzeit kann ihm das nur weiterhelfen.
Aber klar ist auch: Der 30-Jährige steht nun an einem Scheideweg. Das Engagement in Gelsenkirchen kann für ihn zum Sprungbrett werden. Findet er auch hier nicht zu seiner alten Form, werden die Optionen auch in der Bundesliga in Zukunft rarer.