Die deutsche Meisterschaft hat der FC Bayern München so gut wie sicher. Seit dem Sieg gegen Verfolger Borussia Dortmund (1:0) am 28. Spieltag, mit dem der Rekordmeister seinen Vorsprung auf sieben Punkte ausbaute, können die Bayern schon mal Platz im Trophäenschrank für die 30. Meisterschale machen.
Während der neutrale Bundesliga-Beobachter sich gewünscht hätte, dass der Kampf um den Titel nochmal spannend wird, konnte Trainer Hansi Flick und seinen Bayern gar nichts Besseres passieren. Mittlerweile sind es nur noch fünf Spieltage auf dem Weg zum Titel. Fünf Spieltage, an denen Flick viel ausprobieren und schon mal ein paar Personalweichen für die Zukunft stellen kann.
Seit er für die Mannschaft verantwortlich ist, hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Talente weiterzuentwickeln. Er vertraut ihnen, wirft sie ins kalte Wasser. Auf einer seiner ersten Pressekonferenzen im November, als er noch Interimstrainer war, hatte Flick das bereits deutlich gemacht. Er erklärte, dass mindestens "bis zur Winterpause" vier Talente mittrainieren werden: Oliver Batista Meier, Joshua Zirkzee, Leon Dajaku und Sarpreet Singh.
"Wir sind davon überzeugt, wenn sich diese Talente weiterentwickeln sollen, müssen sie mit den Besten trainieren. Und bei unseren Profis haben die vier ideale Voraussetzungen dafür", hatte der Bayern-Coach damals verkündet, übrigens auf der Pressekonferenz vor dem Hinrundenspiel gegen Fortuna Düsseldorf (4:0).
Mittlerweile ist Hansi Flick Cheftrainer beim FC Bayern, die Winterpause längst vorbei und der Kreis schließt sich: Im Rückrundenspiel gegen die abstiegsbedrohten Rheinländer am vergangenen Wochenende, das die Bayern mit 5:0 gewannen, zeigte Flick, dass das mit dem "Talente weiterentwickeln" kein Satz fürs Phrasenschwein war. Er hält sein Wort. Die Taktik, vermehrt auf den Nachwuchs zu setzen, wird immer deutlicher erkennbar. Der Plan, die Talente mit den Profis trainieren zu lassen, geht offenbar auf.
Aus dem oben genannten Talent-Quartett wechselte Flick gegen die Fortuna mit Zirkzee (75. Minute) und Batista Meier (78.) zwei Youngster ein. Für den Niederländer Zirkzee war es bereits der siebte Kurzeinsatz in der laufenden Saison, nachdem er unter Flick debütierte. Für den Deutsch-Brasilianer Batista Meier waren es die ersten zwölf Bundesliga-Minuten seiner Karriere.
Singh saß zwar gegen Düsseldorf nur auf der Bank, Dajaku war nicht im Kader. Aber auch diese beiden durften unter Flick schon ein bisschen Profiluft schnuppern. Ein weiteres Talent, der derzeit verletzte Innenverteidiger Lars Lukas Mai, bekommt regelmäßig einen Platz im Kader, wenn er fit ist.
Das ist nicht nur im Sinne Flicks, sondern natürlich auch im Sinne des FC Bayern München. Der Klub hat in den vergangenen Jahren kaum Talente aus dem eigenen Campus ins Profiteam integrieren können. Positive Beispiele waren zuletzt Thomas Müller, der 2008 unter Jürgen Klinsmann debütierte, und der Österreicher David Alaba, dem Louis van Gaal im Jahr 2010 erstmals die große Bundesligabühne ermöglichte. Davor waren es Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm, die es aus der Bayern-Jugend zu den Profis schafften. Doch all die Luca Scholls, Patrick Weihrauchs und Gian-Luca Gaudinos, denen man zuletzt die Chance bei den Profis gab, blieben auf der Strecke.
Vorstand und Ex-Kapitän Oliver Kahn hatte Anfang des Jahres im Interview mit dem Vereinsmagazin "51" gefordert: "Wir wollen und müssen wieder Spieler aus dem eigenen Haus zu den Profis bringen." Dies sei wichtig, um bei der fortschreitenden Internationalisierung den "regionalen, bayerischen Charakter" des Vereins zu erhalten. Aufrückende Fußballer aus dem Nachwuchs könnten zu Identifikationsfiguren reifen, und "diese Spieler braucht es mehr denn je", betonte Kahn. Flick setzt das nun um. Nicht zuletzt angesichts der finanziellen Folgen der Corona-Krise ist dies umso wichtiger.
Und die nächsten beiden Talente stehen schon bereit: Innenverteidiger Bright Akwo Arrey-Mbi und Mittelfeldspieler Malik Tillman. Arrey Mbi wurde 2003 in Kaarst geboren und trainierte am Dienstag mit den Profis. Er besitzt die deutsche und englische Staatsbürgerschaft, kam im vergangenen Sommer aus der Jugendakademie des FC Chelsea nach München. Der gebürtige Nürnberger Tillman, gerade 18 geworden, spielt seit 2015 für die Bayern-Jugendmannschaften und durfte am Mittwoch bei den "Großen" mittrainieren.
Vor allem aber der deutsche U17-Nationalspieler Arrey-Mbi könnte der Nächste sein, den Flick ins kalte Bundesliga-Wasser schmeißt. Denn in der Defensivzentrale ist die Personalnot am größten. Rekordtransfer Lucas Hernández ist erneut angeschlagen, hat Adduktoren-Probleme. Flick musste den französischen Weltmeister gegen Düsseldorf zur Pause auswechseln.
Bezeichnend: Der Coach brachte für den Innenverteidiger nicht positionsgetreu Jérôme Boateng oder Javi Martinez ins Spiel, sondern mit Mickael Cuisance ein weiteres Talent, das allerdings im Mittelfeld spielt. Sprich: Flick baute zur Halbzeit die Viererkette um, damit ein Jungspund Spielpraxis bekommt. Das Risiko war beim Stand von 3:0 aber auch nicht allzu hoch.
Gut möglich also, dass Arrey-Mbi einen Kaderplatz am Wochenende gegen Bayer Leverkusen bekommt, wenn Hernández und Mai weiter ausfallen. Denn Arrey-Mbi gilt als sehr weit für sein Teenager-Alter, durfte sogar schon am Wintertrainingslager der Profis in Katar teilnehmen, wie auch Batista Meier.
Arrey-Mbi ist mit seinen 17 Jahren schon "ein Biest." Das sagte Joshua Kimmich in einer Medienrunde am Rande des Katar-Trainingslagers: "Da merkt man schon, dass er den einen oder anderen Muskel am Körper hat." Kimmich, acht Jahre älter, sprach auch ehrfürchtig davon, dass er selbst in Arrey-Mbis Alter "weit davon entfernt" gewesen sei, mit den Profis zu trainieren. Auch Alaba schwärmte damals schon von der Athletik und dem Spielverständnis des Talents.
"Was bei den Profis ist, das ist noch zu weit weg. Ich fokussiere mich auf die U19. Wenn der Klub irgendwann denkt, ich bin bereit und kann mit den Profis spielen, dann wäre das ein Traum", sagte Arrey-Mbi im Winter noch ganz bescheiden. Vielleicht geht jetzt ja alles ganz schnell?
Wenn Arrey-Mbi wirklich gegen Leverkusen zum Einsatz kommen sollte und dann überzeugt, muss sich eventuell sogar Verletzungspechvogel Hernández Sorgen machen, dass ihm nach Alphonso Davies hinten links und David Alaba in der Innenverteidigung ein weiterer Spieler den Rang ablaufen könnte.
Allzu lange wird es jedenfalls nicht mehr dauern, bis Arrey-Mbi bei den Herren aufläuft, wenn man den Worten von Bayerns Nachwuchschef Jochen Sauer glaubt. Der sagte im Januar gegenüber "Sport 1": "Falls seine Entwicklung weiterhin so positiv verläuft, ist es nicht ausgeschlossen, dass er die nächste Saison schon im Männerbereich spielen wird und regelmäßig bei unseren Amateuren dabei ist. Aber das wollen wir erst noch abwarten."
Und selbst wenn Arrey-Mbi und die anderen Talente von Batista Meier bis Zirkzee erstmal vornehmlich in der Reserve spielen sollten: Auch die "Amateure", wie Sauer sie nennt, sind Profis. Bayern II ist die beste Zweitvertretung aller Bundesligisten, spielt nach acht Jahren Viertklassigkeit wieder in der 3. Liga und damit auch eine wichtige Rolle in der Entwicklung der vielen begabten FCB-Kicker.
In der harten Schule der 3. Liga können die Talente auf relativ hohem Niveau Spielpraxis sammeln und sich beweisen: Hier geht es für die meisten Klubs ums Überleben, hier geht es auf die Knochen – zumindest ist das der Ruf der untersten Profiliga Deutschlands.
Und die Bayern-Talente machen das ziemlich gut. In Liga drei stehen sie auf Platz vier, nur einen Punkt hinter Spitzenreiter MSV Duisburg. Aufsteigen können sie zwar nicht, da Reserveteams laut DFB-Stauten höchstens bis zur 3. Liga zulässig sind. Doch die Bayern-Youngster können zeigen, dass sie titelhungrig sind und immer ganz oben stehen wollen, so wie sich das beim FC Bayern gehört.
Auch Thomas Müller, David Alaba und Alphonso Davies sind übrigens via Bayern II in die Profi-Mannschaft gekommen. Jetzt sind alle drei Stammspieler in der Bundesliga und stehen kurz davor, den 30. Meistertitel für ihren Klub zu holen. Fünf Spieltage noch, maximal. Je eher der Titel sicher ist, desto mehr Talente kann Hansi Flick noch in der Bundesliga testen.
(as)