17 Jahre, sieben Monate und 17 Tage war David Alaba jung, als Louis van Gaal ihn an einem verschneiten Winterabend im Februar 2010 zum ersten Mal in der Profimannschaft des FC Bayern München einsetzte. Der niederländische Trainer wechselte ihn im Viertelfinale des DFB-Pokals gegen Greuther Fürth ein.
Alaba kam in der 59. Minute beim Spielstand von 2:2 für Anatolij Tymoschtschuk in die Partie, durfte bei seinem Debüt auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld ran. Und nur eine Minute später bereitete der Österreicher prompt den Führungstreffer durch Franck Ribéry zum 3:2 vor.
Wieder einmal hatte Louis van Gaal einem talentierten Fußballer auf die große Fußballbühne geholfen. So wie er es auch schon zuvor in seiner Zeit als Fußball-Lehrer bei Ajax Amsterdam und beim FC Barcelona getan hatte. In Katalonien waren es Xavi, Iniesta oder Puyol, in Amsterdam Seedorf, Kluivert oder Davids, die van Gaal entdeckt und gefördert hatte.
Sein Startelfdebüt für die Bayern feierte Alaba dann im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinales gegen AC Florenz im März 2010, dieses Mal als Linksverteidiger. "Ich mache das, weil ich sehr viel Vertrauen in die Spieler habe", erklärte Jugendförderer van Gaal seine Entscheidung. Damit meinte er damals nicht nur Alaba, sondern auch die späteren (mittlerweile Ex-)Nationalspieler Thomas Müller und Holger Badstuber.
Der vielseitige Alaba machte in der Viererkette auf der Linksverteidigerposition einen ordentlichen Eindruck. Doch für einen Stammplatz beim Rekordmeister war der Teenager damals noch zu grün. Im Winter 2011 liehen ihn die Bayern für ein halbes Jahr zur TSG Hoffenheim aus, dort sammelte er Spielpraxis, was sich auszahlte: Unter dem damaligen Hoffenheim-Coach Marco Pezzaiuoli blühte Alaba auf. Er spielte alle 17 Rückrunden-Spiele für die Kraichgauer und steuerte zwei Tore bei.
Nun sind fast zehn Jahre vergangen. Es ist Mai 2020 und David Alaba, mit nun 27 im besten Fußballeralter, hat sich zu einem Spieler mit Weltklasse-Format entwickelt, etliche Titel geholt. Und mittlerweile darf er sogar in der Zentrale spielen. Allerdings nicht auf seiner Lieblingsposition im Mittelfeld, sondern in der Innenverteidigung.
Neu ist die Position für ihn nicht. Bereits unter Pep Guardiola spielte Alaba zwischen 2014 und 2016 regelmäßig als zentraler Abwehrmann in der Dreierkette. Nach der Guardiola-Ära rückte er aber wieder auf die linke Seite in der Viererkette. Auf die Position, auf der er zum Star wurde. Nur hatte man in der Folge das Gefühl, dass Alabas Entwicklung ein bisschen stagnierte. Doch unter Hansi Flick liefert er nun auf neuer alter Position den Gegenbeweis.
Als Flick im November 2019 beim FC Bayern Niko Kovac ersetzte, rochierte der 27-Jährige wieder dauerhaft nach innen. Hauptsächlich mangels Alternativen in der Abwehrzentrale und weil Youngster Alphonso Davies, eigentlich Flügelstürmer, seine Sache als Aushilfslinksverteidiger hervorragend macht.
Ex-Rechtsverteidiger Kimmich spielt unter Flick wieder im Mittelfeld; Benjamin Pavard, eigentlich als Innenverteidiger geholt, rückte dafür auf Kimmichs Position rechts in der Viererkette; das designierte Innenverteidiger-Duo Niklas Süle und Lucas Hernández sind beziehungsweise waren verletzt.
Mittlerweile ist Alaba weit mehr als der Spieler, der nur Innenverteidiger ist, weil es keinen anderen gibt, der dort spielen kann.
Weltmeister Hernández ist längst wieder fit, aber schmort auf der Bank. Seit dem Bundesliga-Restart wurde er nur zweimal eingewechselt. Das dürfte dem 80-Millionen-Euro-Mann, der im vergangenen Sommer von Atlético Madrid kam, nicht gefallen.
Der Rekordmeister soll den Rekordtransfer sogar schon mehreren europäischen Topklubs zum Kauf angeboten haben. Das berichten die Münchner Tageszeitungen "Merkur" und "tz". "Aktuell ist das Vertrauen in die Viererkette da", sagte Hansi Flick zuletzt, der am liebsten einen Linksfuß links und einen Rechtsfuß rechts in der Kette spielen lässt.
Für Linksfuß Hernández, der sowohl Links- als auch Innenverteidiger spielen kann, bedeutet das: An Shootingstar Davies (Linksfuß) auf der linken Abwehrseite ist ebenso kein Vorbeikommen wie an David Alaba (Linksfuß) oder dem wiedererstarkten Jérôme Boateng (Rechtsfuß) im Zentrum der Viererkette.
Alaba macht seine Sache einfach gut. So gut, dass der Franzose aktuell keine Chance hat, die Position als linker Innenverteidiger zu erobern. Für Bayerns Mittelfeldmotor Joshua Kimmich ist Alaba als zentraler Abwehrmann sogar einer "der Besten der Welt".
Vor dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund am vergangenen Dienstag lobte Hansi Flick die Entwicklung von Alaba auf der Position als "hervorragend", er sei "ein Maßstab" geworden. Alaba ist plötzlich Abwehrchef: "Wie er die Abwehr zusammenhält, ist einfach große Klasse", sagte sein Trainer, der ihm "eine sehr gute Spieleröffnung" attestiert: "Er leitet unser Offensivspiel mit guten Pässen ein."
Die Zahlen belegen das: Alaba hat eine Passquote von 92 Prozent, ist damit einer der besten Spieler der Bundesliga in dieser Hinsicht. Und es sind nicht nur Alibi- oder Querpässe, wie man es Innenverteidigern oft nachsagt, sondern auch viele ins Angriffsdrittel.
Der gebürtige Wiener ist technisch stark, fußballerisch clever und hat eine tolle Übersicht. Er denke nach vorne und offensiv, wie Mitspieler Leon Goretzka sagt. Der Nationalspieler ist voll des Lobes: "Er spricht viel mit uns und schiebt die Kette hoch. Er ist extrem zweikampfstark und gibt uns eine gute Stabilität."
Zur Verdeutlichung: Alaba hat eine Zweikampfquote von rund 60 Prozent, gegen Eintracht Frankfurt (5:2) sogar 80 Prozent, und er hat in dieser Bundesligasaison erst sechs Mal Foul gespielt sowie noch keine einzige Karte kassiert.
Alaba reift auf der zentralen Position in der Abwehr außerdem zum Führungsspieler. Davon profitiert auch sein Erbe auf der Linksverteidigerposition, der 19-jährige Davies, den Alaba oft im Spiel korrigiert. Er weiß ja, wie das ist, als Teenager auf ungewohnter Position ins kalte Wasser geworfen zu werden.
Dass der Österreicher viel kommuniziert, wie Goretzka anmerkte, das kann der aufmerksame Beobachter aktuell aus Geisterspielgründen auch am TV-Bildschirm hören. Und das weiß auch Hansi Flick: "Er führt die Mannschaft und gibt Kommandos, was man gerade jetzt in der Stille des Stadions noch mehr mitbekommt. Das sind Dinge, die ich auch von Spielern einfordere, dass sie sich unterstützen und pushen."
Etwas mehr als zehn Jahre nach seinem Bayern-Debüt unter Louis van Gaal ist David Alaba seiner Lieblingsrolle in der Zentrale also ein Stückchen näher gekommen. Auch wenn es nicht die zentrale Mittelfeldposition ist, von der er immer geträumt hat, und auf der er übrigens auch in Österreichs Nationalmannschaft spielt.
Aber Alaba macht es Spaß als Innenverteidiger: "So, wie wir das im Moment spielen, macht es sehr, sehr viel Spaß, auch in der Innenposition", erklärte er vor dem Bundesligaspiel gegen Fortuna Düsseldorf am Samstagabend: "Es kommt mehr Verantwortung auf mich zu, aber die nehme ich gerne an, weil es auch mein Anspruch ist."
Gegen die Düsseldorfer will Bayern den nächsten großen Schritt zum 30. Bundesliga-Titel machen. Für Alaba wäre das die neunte Meisterschaft als Bayern-Profi. Wie viele Trophäen mit den Münchnern noch hinzukommen, steht noch in den Sternen. Alabas Vertrag läuft im Sommer 2021 aus. Gespräche über eine Verlängerung habe es schon gegeben, aber auch Interesse von Real Madrid und dem FC Barcelona.
Hansi Flick hat dazu eine klare Meinung: "Jeder weiß, wie ich dazu stehe. Ich wünsche mir, dass so ein Spieler, der bei Bayern auch ausgebildet wurde und hier schon einige Jahre spielt, weiter Teil des FC Bayern München ist."
Vielleicht ist die neue zentrale Position ja auch ein zentrales Argument für eine vorzeitige Vertragsverlängerung.