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"Die beste Nacht meines Lebens! Von diesem Moment habe ich viele Jahre geträumt", tippte der 21-Jährige Harry Kane voller Freude im März 2015 in sein Handy. Wenig später veröffentlichte er den Tweet, der den Abend seines ersten Länderspiels beschreibt.
Bei seinem Debüt für die Three Lions gegen Litauen traf der Stürmer von Tottenham nur 79 Sekunden nach seiner Einwechslung. Es war der Anfang einer bislang erfolgreichen Karriere und die Saison, in der der Rechtsfuß seinen Durchbruch bei den Tottenham Hotspur feierte. Mit 21 Toren und fünf Vorlagen schloss er die Premier-League-Spielzeit ab.
Seitdem war er immer an mindestens 20 Treffern beteiligt. Neun Jahre in Folge. In der vermutlich stärksten Liga der Welt. Aus dem 21-jährigen Debütanten wurde mittlerweile der Kapitän der englischen Nationalmannschaft und damit auch einer der besten Stürmer Europas. Nach wochenlangem Tauziehen wechselt er nun laut "The Athletic" für 100 Millionen Euro zum FC Bayern, füllt die Lücke, die Robert Lewandowski im vergangenen Sommer durch seinen Barcelona-Wechsel hinterlassen hat.
Der deutsche Rekordmeister zahlt die bisher höchste Ablöse, die ein Klub aus Deutschland je für einen Spieler in die Hand nahm. Für einen 30-Jährigen Stürmer – ein notwendiges Übel zum angepeilten Erfolg auf europäischer Ebene? Oder Geld, das die Münchner besser in junge Talente hätte investieren sollen, die die Zukunft prägen?
Fragt man Mauricio Pochettino, seinen ehemaligen Tottenham-Trainer zwischen 2014 und 2019, ist klar, was er von Kane hält: "Es ist schwer einen anderen Stürmer wie ihn auf der Welt zu finden. Er ist so reif, erfahren und professionell." José Mourinho, der ihn von November 2019 bis April 2021 trainierte schwärmte einst: "Er ist der Spieler, der auch zeigt wie gut er ist, wenn er keine Tore schießt. Viele Stürmer zeigen eine schwache Leistung, wenn sie nicht treffen. Harry hat das nicht, weil er großartig für das Team ist."
In der Premier League hat ihn seine Klasse zu 213 Toren verholfen. Damit ist er hinter Alan Shearer (260 Treffer) der erfolgreichste Torjäger aller Zeiten. Im Trikot der Nationalmannschaft ist er sogar der erfolgreichste Torschütze. Dennoch hat die Karriere von Kane einen Makel: Er hat noch keine Trophäe gewonnen. Das ist wohl einer der Hauptgründe für den Wechsel nach München. Dort hofft er, neben Meisterschaft und Pokal, auch europäisch angreifen zu können und die Champions League zu gewinnen.
Was Bayern-Fans freut, lässt enttäuschte Spurs-Fans in London zurück, wo in der Whitehall Street, unweit des Tottenham Hotspur Stadiums, noch im Mai ein Street-Art-Bild mit Harry-Kane-Motiv enthüllt wurde. Neben dem großen Abbild des Stürmers prangt der Schriftzug: "Harry Kane – er ist einer von uns".
Der Satz zeigt klar: Kane lebt und liebt die Spurs, wuchs im Osten Londons auf, nur 15 Minuten vom Stadion entfernt. Seit er elf Jahre alt ist, spielte er für Tottenham, hatte es dennoch schwer, im Profi-Bereich anzukommen. Erst durch Leihen zu Leyton Orient, dem FC Millwall, Norwich und Leicester City spielte er sich mehr und mehr in den Fokus für das Premier-League-Team.
Für Jürgen Klopp, der mit dem FC Liverpool immer wieder auf Kane traf, liegt in den Leihen der Schlüssel zu Kanes Erfolg: "Harry hat es auf die harte Weise geschafft. Es war nicht so, dass er mit 18 Jahren als Talent in die Mannschaft kam. Er musste hart arbeiten und sich von Tag zu Tag verbessern."
Ab 2013 etablierte er sich im Profi-Kader der Spurs, ohne jedoch die Bindung zu den Menschen im Osten Londons zu verlieren. So übernahm er während der Corona-Krise die Position als Trikot-Sponsor bei Leyton Orient, der aktuell in der 3. Liga spielt, zu dem er im Frühjahr 2011 ausgeliehen wurde. Insgesamt drei Jahre, bis zum Ende der vergangenen Saison, unterstützte er "The O's" und machte auf den Trikots auf diverse Wohltätigkeits-Organisationen aufmerksam. Eine Win-Win-Situation für den Klub und die Organisationen.
Sportlich und sozial hat Kane demnach für absolute Hochgefühle der Spurs-Fans gesorgt. Deshalb wird der Abgang umso mehr schmerzen. Die Bayern können sich hingegen nicht nur auf einen reinen Torjäger freuen, sondern eben auch auf einen Angreifer, der für seine Mitspieler arbeitet, Vorlagen liefert und sich nicht zu schade ist, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen.
Es sind diese Attribute, die auch ein Robert Lewandowski in seiner Zeit bei Bayern teilweise erst entwickelte, die ihn aber gerade in seiner Schlusszeit auch so wertvoll machten. Bloß für ein Problem wird Kane definitiv nicht die Lösung sein: die Situation im Tor der Münchner. Dort ist weiterhin nicht klar, wann Manuel Neuer wieder komplett fit ist und die Münchner einen geeigneten Ersatz verpflichten.
Kane wird es nicht sein, obwohl er sogar einen Einsatz im Tor vorzeigen kann. Im Europa-League-Gruppenspiel im Oktober 2015 ging Kane in der 87. Minute gegen Asteras Tripolis beim Stand vom 5:0 ins Tor. Er hatte vorher selbst drei Treffer erzielt, Torhüter Hugo Lloris war wegen einer Notbremse vom Platz geflogen, das Wechselkontingent allerdings schon erschöpft.
Kane streifte sich das Torwart-Trikot und die Handschuhe über, gab allerdings beim ersten Schuss auf sein Tor keine gute Figur ab. Den Freistoß von Jeronimo Barrales aus gut 20 Metern ließ Kane durch die Arme ins Tor flutschen. In München hingegen wird vom Rekordeinkauf dann vielmehr erwartet, dass er selbst die Tore schießt.
