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Nationalmannschaft: Löws Experiment ist gescheitert – es gibt nur eine Lösung

Deutschlands Fußballnationaltrainer Jogi Löw (l.) zetert während des 0:6-Debakels gegen Spanien. Neben ihm sitzt sein Assistenztrainer Marcus Sorg.
Deutschlands Fußballnationaltrainer Jogi Löw (l.) zetert während des 0:6-Debakels gegen Spanien. Neben ihm sitzt sein Assistenztrainer Marcus Sorg.Bild: www.imago-images.de / Eibner Pressefoto
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Löws Umbruch-Experiment gescheitert – für die EM 2021 gibt es nur noch eine Lösung

19.11.2020, 12:06
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Das war deutlich. Spanien hat Deutschland am Dienstagabend mit 0:6 nach Hause geschickt. Historisch war es auch. Seit 1931 gab es keine derart hohe Nationalelf-Niederlage.

Und "entsetzlich" war es, wie ARD-Experte Bastian Schweinsteiger es ausdrückte, was das Team von Bundestrainer Jogi Löw da gegen die spanische Selección auf den Rasen brachte. Der ehemalige Nationalspieler, der mit Löw 2014 in Brasilien den Weltmeistertitel holte, redete sich nach Abpfiff im TV-Studio den Frust von der Seele: "Du kannst verlieren gegen Spanien, aber nicht so. Man hat sich nicht gewehrt, nicht mit dem Ball, nicht gegen den Ball. Es gab keine Kommandos, ich habe nur die Spanier sprechen hören. Die waren in allen Belangen überlegen."

Bastian Schweinsteiger im "Sportschau"-Studio.
Bastian Schweinsteiger im "Sportschau"-Studio.screenshot ard

Der 36-Jährige meinte, dass es vielleicht sogar gut gewesen sei, dass es zum Länderspieljahresabschluss diese deutliche Niederlage gab. Sie zeigte, dass eben doch noch sehr viel schiefläuft im DFB-Team. Die vergangenen Siege gegen Tschechien und Ukraine, die dabei etwas stabiler wirkende Defensive, die Serie aus zwölf ungeschlagenen Spielen – all das verschleierte jene Defizite, die Spanien schonungslos ausnutzte und Schweinsteiger aussprach.

"So darf man als deutsche Nationalelf nicht auftreten", resümierte der Experte, der auch glaubt, dass diese Niederlage erstmal hängen bleibt.

Nationalmannschaft: Löw hat jetzt keine Zeit mehr für Experimente

Damit dürfte er Recht haben. Das Negativerlebnis hat nun mehrere Monate Zeit, sich ins kollektive Fußballgedächtnis einzugraben. Denn erst im März 2021 wird Löw seine Auserwählten wiedersehen. Dann wird es erneut einen Länderspieldreierpack innerhalb kurzer Zeit geben, WM-Qualifikationsspiele für Katar 2022 stehen an. Beim darauffolgenden DFB-Lehrgang im Mai soll es dann noch zwei Vorbereitungsspiele auf die Europameisterschaft geben, dann wird's ernst. In der EM-Gruppe warten die zwei Schwergewichte Frankreich und Portugal sowie ein etwas unberechenbares Ungarn.

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Talentierte Spieler, die kein Kollektiv sind: Die Nationalelf im November 2020.Bild: dpa / Miguel Morenatti

Da bleibt nur noch sehr wenig Zeit, um intensiv an den vielen und offensichtlichen Defiziten sowie an Details zu arbeiten: Defensivverhalten, Pressingzugriff in der Offensive (da fängt die Abwehrarbeit an), Kommunikation, eine fehlende Achse aus Führungsspielern, fehlende Aggressivität. "Man muss was verändern. Vielleicht muss man sich nach Alternativen umschauen", sagte Schweinsteiger.

Rufe nach Müller, Boateng und Hummels werden lauter

Wie sollte es anders sein, heizt die Pleite und das generelle Auftreten der DFB-Elf auch wieder die Debatte um die Rückkehr der geschassten Nationalspieler Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels an. Denn die drei könnten viele Defizitlücken füllen: Sie sind erfahren, gemeinsam Weltmeister geworden, brächten Führungsstärke mit, und vor allem Müller und Hummels sind Spieler, die viele Kommandos auf dem Platz geben.

"Ich weiß, dass sie gerne für die Nationalmannschaft gespielt haben. Boateng und Müller haben mit Bayern das Triple geholt. Sie spielen bei der besten Mannschaft Europas. Sie haben Qualität. Warum nicht für die Nationalmannschaft?", fragte Schweinsteiger im Ersten. Und er beantwortete die Frage selbst: "Der Bundestrainer und sein Team haben eine Meinung dazu, ich persönlich habe leider eine andere."

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So sehen Sieger aus: Boateng (l.) und Müller.Bild: Peter Schatz / Pool / imago images

Löw hatte zuletzt immer wieder deutlich gemacht, dass die Rückkehr der drei Ex-Weltmeister derzeit kein Thema sei, weil er auf eine neue Spielergeneration setzen will. Dieses Mantra wiederholte er auch nach Abpfiff gegen Spanien: "Wir waren auf einem guten Weg, wir sind noch nicht so weit wie erhofft, wir vertrauen diesen Spielern, da gibt es keinen Grund [für eine Rückkehr der drei]".

Als Müller, Boateng und Hummels damals außer Form waren und eine schlechte WM 2018 hinter sich hatten, war das noch verständlich. Doch mittlerweile sind sie alle drei wieder in einer sehr guten Verfassung, gehören zu den Topspielern der Bundesliga. Der Bundestrainer und sein Vorgesetzter Oliver Bierhoff wollen trotzdem immer noch weitermachen wie bisher. Diese Sturheit funktioniert aber offenbar nicht.

Löw raus? Das bringt auch nichts so kurz vor der EM – stattdessen muss Löw über Schatten springen

Zur Rückhol-Diskussion um das Weltmeister-Trio gesellt sich nun standesgemäß auch wieder eine Bundestrainerwechsel-Diskussion. Doch die Option, dass nun ein neuer Jogi präsentiert wird, scheint ausgeschlossen, zumal ein anderer Coach in fünf verbleibenden Spielen bis zur EM 2021 auch nicht mehr viel ausrichten könnte.

Das sieht auch Löws Vorgänger Jürgen Klinsmann so: "Es gibt keinen Bedarf für einen neuen Trainer. Dann dreht man komplett durch, welche Botschaft sendet man denn damit aus?", fragte er beim US-TV-Sender ESPN. "Ich sehe keinen Grund zur Panik und für einen neuen Trainer."

Die einzige Lösung im Hinblick auf die Europameisterschaft scheint daher aktuell, dass der nach dem Spiel ratlos wirkende Löw über seinen eigenen Schatten springen muss, was Müller, Boateng und Hummels betrifft. Sein zwei Jahre andauerndes Umbruchexperiment seit der verkorksten WM 2018 ist gescheitert.

"Leroy Sané, Serge Gnabry, die alle folgen Thomas Müller auf dem Platz"

"Es fehlt ein Anführer, eine Persönlichkeit, die nach dem zweiten oder dritten Tor ein Signal setzt", sagte Klinsmann außerdem. Müller sei genau so ein Typ beim FC Bayern München. "Leroy Sané, Serge Gnabry, die alle folgen Thomas Müller auf dem Platz, deswegen sind die Bayern seit ich weiß nicht wie lange ungeschlagen in der Champions League", erklärte der 56-Jährige weiter.

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Ein Bild, tausend Worte: Gündogan (l.) und Kroos nach dem Spiel.Bild: dpa / Miguel Morenatti

Das Argument, dass durch eine Rückholaktion der drei ehemaligen Nationalmannschaftsgrößen Müller, Boateng und Hummels die Hierarchie durcheinandergewirbelt wird, zieht nicht, da es keine erkennbare gibt. Spieler wie Toni Kroos und Ilkay Gündogan erfüllen ihre Führungsrollen nicht. Einzig Kapitän Manuel Neuer hat diesen Entwicklungsschritt in den vergangenen zwei Umbruchjahren gemacht.

Wenn Löw und Bierhoff mit der Nationalelf nach diesem "rabenschwarzen Abend" ihre verspielten Sympathien zurückgewinnen wollen, wenn sie bis zur EM 2021 das Ruder noch einigermaßen herumreißen wollen, müssen sie eine Rückkehr der drei ausgebooteten Weltmeister wenigstens diskutieren. Denn sonst werden auch im kommenden Europameisterschaftsjahr "entsetzliche" Auftritte folgen.

(as/mit dpa)

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