Anfang der 2000er-Jahre stand Borussia Dortmund infolge sportlicher Misserfolge und finanzieller Fehlentscheidung finanziell vor dem Ruin. Die Vereinsführung räumte ein, dass sich Schulden in Höhe von 98 Millionen Euro angehäuft hatten. Nur mit Mühe konnte sich der BVB 2005 vor einer Insolvenz retten.
Als Geschäftsführer übernahm Hans-Joachim Watzke den lädierten Verein und sollte ihn sportlich wie finanziell wieder konsolidieren. Der Etat für Transfers war entsprechend begrenzt, und so galt es, kreativ zu werden. Das gelang in Gestalt von Sven Mislintat.
Von 2006 bis 2017 war Mislintat bei Borussia Dortmund als Chefscout für die Sichtung und Einschätzungen von Talenten zuständig. Also bereits lange vor der Zeit, in der für jeden vielversprechenden Jungprofi Daten in Fülle bereitstanden. Mislintat machte aus der finanziellen Not eine Tugend und reiste beispielsweise zu Zweitligaspielen nach Japan oder in die Türkei und entdeckte Spieler, die noch kein anderer Verein auf dem Schirm hatte.
Shinji Kagawa, Jakub Blaszczykowski, Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang oder Ousmane Dembélé. Sie alle wurde von "Diamantenauge" Mislintat entdeckt, wechselten für wenig Geld nach Dortmund – und irgendwann im besten Fall für viel Geld weiter.
Ein neues Geschäftsmodell war geboren, der BVB wurde mit etlichen von Mislintat gescouteten Spielern zweimal in Folge Meister und erreichte das Champions-League-Finale. Die Praxis machten sich fortan nahezu alle anderen Vereine zu eigen.
Neben zumindest kurzfristig sportlichem Erfolg und wirtschaftlicher Prosperität bedeute eben jenes Geschäftsmodell aber auch, dass jedes Jahr aufs Neue etablierte Stammspieler wegbrachen und sich der Kader neu formieren musste. Für Bayern-Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge eine wenig nachhaltige Praxis.
"Es gab im deutschen Fußball einen Jugendwahn, es wurden viel zu viele Transfers gemacht, um ein Geschäftsmodell zu kreieren, in dem die Spieler später mit Gewinn verkauft werden", sagte Rummenigge vor Kurzem der "Funke Mediengruppe". "Auch hier in Dortmund."
Wenn dann Jadon Sancho zu Manchester United, Erling Haaland zu Manchester City und Jude Bellingham zu Real Madrid wechselten, dann leide da nicht nur der Verein drunter. "Die ganze Bundesliga verliert Attraktionen", beklagte Rummenigge. Vorwürfe, mit denen Hans-Joachim Watzke wenig anfangen kann.
"Ich hatte ihn nicht um einen Rat oder eine Einschätzung gebeten", entgegnete Watzke im Gespräch mit den "Ruhr Nachrichten". "Manche Dinge kann man aus der Münchner Komfortzone heraus einfach nicht beurteilen." Dass sich Borussia Dortmund dennoch ähnliche Gedanken gemacht haben könnte, zeigt der zurückliegende Transfersommer.
Dort verzichtete der BVB darauf, ein junges Talent zu verpflichten, stattdessen bediente er sich weitestgehend aus einem Pool an erfahrenen Spielern. Ab und zu, sagte Watzke, müsse man aber "aus wirtschaftlichen Gründen" auch mal einen größeren Transfer tätigen.
Das könne "so wie die Bundesregierung mit einem Sondervermögen" geschehen, sei aber nicht der Weg des Vereins. "Wir müssen solide kalkulieren, denn wir sind auch gefordert, intensiv in die Infrastruktur zu investieren."