Der VAR oder: Männer, die auf Bildschirme starren. Bild: imago images/ foto2press
Bundesliga
In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
Eine der größten Fehlentscheidungen im Fußball war die Einführung des sogenannten Videoschiedsrichters (VAR). Er macht das Spiel nur manchmal gerechter, bewahrt die Schiedsrichter nur manchmal vor Fehlentscheidungen und trägt auch nur manchmal dazu bei, dass die bessere Mannschaft als Sieger vom Platz geht. Das ist zu wenig und wirkt kontraproduktiv!
Der VAR macht das Spiel und vor allem das Spielerlebnis kaputt und trägt ganz maßgeblich dazu bei, dass die Schiedsrichterleistungen immer schlechter werden.
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Unter diesen Unzulänglichkeiten leiden nicht nur Spieler und Teams, sondern vor allem auch die Fans. Jubeln geht seit der Einführung des VAR nur noch unter Vorbehalt, denn es kann jederzeit passieren, dass der VAR eingreift oder ein unsicherer Schiedsrichter nicht selbst und aus der Situation heraus entscheiden will.
Stattdessen wird die Entscheidung an einen Videoschnittplatz außerhalb des Stadions delegiert. Das Spiel wird in seinem Kern zerstückelt und das Erlebnis wird ganz nüchtern herausgezogen. So macht Fußball keinen Spaß.
Fanforscher und watson-Kolumnist Harald Lange. Bild: Uni Würzburg
Über den Autor
Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg. Er leitet den Projektzusammenhang "Fan- und Fußballforschung" und gilt als einer der bekanntesten Sportforscher in Deutschland. Der 55-Jährige schreibt und spricht täglich über Fußball, auch in seinem Seminar "Welchen Fußball wollen wir?"
Zumal das Spiel seit Einsatz des VAR keineswegs gerechter geworden ist. Im Gegenteil. Die Notwendigkeit, Fehlentscheidungen diskutieren zu müssen, besteht weiterhin und wird auch nach jedem Spieltag eifrig praktiziert.
VAR-Drama zwischen FC Bayern München und SC Freiburg
Am vergangenen Spieltag hat der VAR beispielsweise den FC Bayern in der 38. Minute auf die Erfolgsspur gesetzt. Während eines Zweikampfes in der Luft köpfte Harry Kane den umkämpften Ball aus nächster Nähe an den Arm des Freiburger Spielers Max Rosenfelder. Im Strafraum der Gäste.
Schiri Christian Dingert ließ das Spiel zunächst weiterlaufen, war dann aber nicht mehr gewillt, seiner eigenen Wahrnehmung der Situation zu trauen und ließ sich vom VAR zu einer Überprüfung der Szene hinreißen.
Harry Kane verwandelte den Handelfmeter nach strittiger VAR-Entscheidung. Bild: dpa / Sven Hoppe
Danach wurde alles anders gesehen und auf Elfmeter entschieden, obwohl es gute Gründe dafür gegeben hätte, das Spiel einfach weiterlaufen zu lassen. War es nicht eine natürliche Handbewegung des Freiburger Abwehrspielers?
Ohne Armeinsatz können auch die besten Abwehrspieler nicht zum Luftzweikampf hochspringen. Und so ganz nebenbei: Hat sich Harry Kane in dieser Situation korrekt verhalten? Die Videos zeigen doch recht deutlich, dass er sich aufgestützt hat.
Der VAR und das Versprechen, dass alles besser wird
Die Liste solcher VAR-basierten Fehlentscheidungen ist inzwischen mindestens genauso lang wie die Aufzählung seltsamer Erklärungsversuche der Schiedsrichterexperten, die – abgesehen von Manuel Gräfe – seit Monaten wirklich alles geben, um ihren Kollegen auf dem Platz argumentativ beizustehen.
Außerdem beteuern die verbliebenen Befürworter des VAR gebetsmühlenartig, dass sie das System weiter verbessern wollen. Sie versprechen uns, dass der Fußball mithilfe dieser Technik irgendwann tatsächlich vollends gerecht sein wird.
Videoschiedsrichter macht das Kernelement im Fußball zunichte
Genau da liegt der Denk- und Systemfehler. Denn der Fußball ist – wie jedes andere Spiel auch – offen und "anfällig" für unterschiedliche Wahrnehmungen von Situationen.
Das Spiel ist derart schnell, kampfbetont und komplex, dass wir es niemals vollständig und unmissverständlich analysieren und in ein objektives Schema einordnen können. Sowas gelingt höchstens annäherungsweise und lässt am Ende immer ausreichend Spielraum für Fehlentscheidungen.
Mit anderen Worten: Glück und Pech sind tragende Kennzeichen des Spiels und lassen sich durch keine Technik dieser Welt aus dem Spiel herausnehmen. Der Einsatz des VAR belegt diese These, denn das einzige, was die Verantwortlichen damit erreicht haben, ist, dass die Fehlentscheidung beziehungsweise das Glück des einen und Pech des anderen auf eine andere Ebene verlegt wird.
Ich plädiere deshalb dafür, dass wir den Mut aufbringen und den VAR endlich abschaffen. Er widerspricht der Idee und Struktur des Spiels. Er ist ein Fremdkörper, der das Spielerlebnis zerstört.
Ich möchte die Fehlentscheidungen wieder im Spielverlauf haben. Ich möchte sehen, wie klug und/ oder emotional Trainer und Spieler damit umgehe. Und ich möchte wieder darauf vertrauen, dass sich Glück und Pech im Laufe einer Saison mehr oder weniger ausgleichen.
Das DFB-Team ist in der Nations League so gut wie noch nie gestartet, steht nach drei Partien bereits bei sieben Punkten. Am Montagabend bietet sich der Mannschaft von Julian Nagelsmann daher die Gelegenheit, einen ganz großen Schritt in Richtung Finalrunde zu machen.