Der FC Bayern München ist Geister-Meister. Durch einen am Ende schmeichelhaften 1:0-Auswärtssieg gegen Werder Bremen sind die Münchener an den verbleibenden zwei Bundesliga-Spieltagen nicht mehr einzuholen.
Keine Fans, keine Weißbierduschen, keine süßen Spielerkinder, die in viel zu großen Trikots ihrer Profipapas über den Rasen tapsen. Nicht mal eine Meisterschale gab's am Dienstagabend, die soll erst nach dem letzten Spieltag übergeben werden, das ist Teil der Corona-Hygieneauflagen. "Die Absprache ist so, dass wir die Meisterschale nach dem Spiel gegen Wolfsburg überreicht bekommen. Wir werden am Samstag im ganz kleinen Kreis eine Meisterfeier machen. Es ist alles kurios", befand Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge.
Kurios trifft es. Die Münchener Profis, die die letzte Viertelstunde in Unterzahl spielten, jubelten statt den Fans den Bayern-Bossen auf der Tribüne zu. Laola mit Kahn, Hainer und Rummenigge. "Ohne Fans zu feiern ist es ein bisschen kompliziert", sagte der 1:0-Torschütze Robert Lewandowski nach dem Abpfiff. "Es fehlt diese Extra-Leidenschaft."
Aufgrund der strengen Vorgaben war die Stimmung nach dem Abpfiff etwas seltsam. Böse Zungen würden behaupten: Eine Bayern-Meisterfeier wie immer, die eigentlich eh nie viel mehr Charme als eine Möbelhauseröffnung hat.
Dennoch war die Freude natürlich groß. Für Bayern-Trainer Hansi Flick, der schon auf der Pressekonferenz vor der Partie davon sprach, gegen Bremen "den Sack zumachen" zu wollen, ist es der erste Titel als Cheftrainer im Profibereich.
"Kompliment an die ganze Mannschaft. Sensationell, was wir in dieser Saison für einen Fußball gespielt haben. Mentalität, Leidenschaft, Spielfreude, Kampfgeist. Alle sind eine Einheit, das Trainerteam und die ganze Mannschaft, der Staff. Das ist einfach gut", sagte Flick nach Abpfiff bei Sky. Zur Feier des Tages gibt es laut dem Bayern-Cheftrainer ein Glas "Bourbon" mit Co-Trainer Hermann Gerland.
Bayern-Legende Giovane Elber, danach bei Sky zugeschaltet, konnte die Getränkewahl von Gerland und Flick nicht fassen, schimpfte: "Das geht doch nicht!" Zur Bayern-Meisterfeier gehöre ja wohl ein schönes Weißbier, sagte der Ex-Profi aus Brasilien mit einem großen Augenzwinkern.
Weißbier hin oder her, für den Rekordmeister ist es der 30. Bundesliga-Titel insgesamt und der achte in Folge. Eine solche Serie legte bisher in den europäischen Topligen nur Juventus Turin in Italiens Serie A hin.
Einerseits bedeuten diese bayerischen Rekordzahlen in Sachen Bundesligatiteln gähnende Langeweile im Wettbewerb. Andererseits hat es ja auch etwas Gutes, dass die Bayern unter den aktuellen Umständen Meister geworden sind, und kein anderer Klub. Man stelle sich einmal vor, einer der übrigen 17 Bundesligisten müsste nach langer Meisterschaftsdurststrecke auf Corona-Art feiern. Irgendwie wäre das doch ziemlich traurig.
Mit dem Erfolg im Bremer Weserstadion revanchierten sich die Bayern nach 16 Jahren dafür, dass Werder im Jahr 2004 die Meisterschaft mit einem 3:1-Auswärtssieg im Münchener Olympiastadion feierte. Damals natürlich unter ganz anderen Voraussetzungen. Anfang der Nullerjahre waren Werder und Bayern noch Konkurrenten um die Ligaspitze, mittlerweile steckt Bremen regelmäßig im Abstiegskampf, die Bayern sind davongeeilt.
Während die Bayern nun Double- und Triple-Hoffnungen hegen dürfen, bangt Werder als einstiger und kurzzeitiger Konkurrent auf Augenhöhe weiter um den Klassenerhalt.
Dennoch erinnerte das Spiel an eins der großen Nord-Süd-Gipfel. Ein Hauch von 2004 wehte durch das leere Weserstadion.
"Wir brauchen eine gute Mentalität und einen klaren Plan, und wir brauchen Mut", forderte Bremens Coach Florian Kohfeldt vor dem Anpfiff.
Er kündigte an, nicht mit weißen Fahnen in die Begegnung gehen zu wollen: "Ich kann mich ja nicht vor die Mannschaft stellen und sagen: Bitte nicht 0:6 verlieren." Und weiter: "Man muss gegen Bayern mit eigenen Angriffen für Entlastung sorgen. Wenn du den Ball hast und ihn direkt wieder abgibst, dann erdrücken sie dich irgendwann."
Werder begann erst nervös. Dann setzten die Grün-Weißen aber Kohfeldts Worte um, spielten nach vorne. Nach neun Minuten hatten sie sogar die erste große Chance. Eine Flanke von Leonardo Bittencourt setzte Theodor Gebre Selassie aus spitzem Winkel ans Außennetz.
Die Elf von Werder Bremen zeigte eine Leistung, die Mut für die finalen Spiele im Abstiegskampf machen dürften. Die Hausherren nahmen gegen den übermächtigen Gegner den Abstiegskampf an.
Bayern hatte gegen bissige Bremer nach 30 Minuten bis auf zwei Abseitsstellungen offensiv fast nichts zu melden und war in den Zweikämpfen leicht unterlegen (48 Prozent).
Bremen rackerte. Doch es half nichts: Kurz vor der Halbzeit (43. Minute) hatte Bayern einen genialen Moment. Jérôme Boateng spielte einen Chipball in den Strafraum auf den völlig freistehenden Robert Lewandowski. Brustannahme, Volley, Tor. Der 31. Saisontreffer für den Polen.
Im zweiten Durchgang dominierte der FCB das Spiel zusehends, rollte immer wieder auf die grün-weiße Abwehrreihe zu. Werder wehrte sich, spielte dann auch wieder mutiger nach vorne und sorgte für die von Kohfeldt gewünschte Entlastung. "Werder spielte um sein Leben", wie Bayern-Torjäger Lewandowski zugab.
Am Ende musste Bayern sogar noch ein wenig zittern: Alphonso Davies handelte sich in der 79. Minute eine Gelb-Rote Karte ein. Nach einem leichtfertigen Ballverlust von Kingsley Coman foulte der 19-Jährige Milos Veljkovic. Schiedsrichter Harm Osmers stellte den bereits verwarnten Davies daraufhin vom Feld. Flick brachte Verteidiger Lucas Hernández für Stürmer Serge Gnabry.
Kohfeldt machte es umgekehrt, wechselte die Angreifer Niclas Füllkrug und Claudio Pizarro für die defensiven Davy Klaassen und Milos Veljkovic ein. Werder witterte seine Chance.
Die große Ausgleichschance zum 1:1 hatte Joshua Sargent in der 90. Minute, doch Manuel Neuer sicherte die Meisterschaft mit einer Weltklasse-Parade, der Nationaltorwart kratzte den Kopfball des US-Amerikaners nach einem Hechtsprung von der Linie. "Typischer Manuel", lobte Lewandowski seinen Keeper.
Am Ende blieb es beim knappen 1:0 Sieg der Münchener. Es war Werders 22. Pflichtspielniederlage gegen den FC Bayern München in Folge.
Durch das knappe 0:1 gegen die Bayern hat Werder zwar keinen Punkt gewonnen, schöpft aber wieder Hoffnung. Nicht nur wegen der engagierten Leistung gegen den Rekordmeister. Denn am Ende könnte das Torverhältnis ausschlaggebend dafür sein, wer den Gang in die 2. Bundesliga antreten oder in der Relegation nachsitzen muss.
Nach dem 5:1-Sieg in Paderborn am vergangenen Samstag hatten die Bremer ihr zuvor mieses Torverhältnis bereits aufpoliert. Dadurch, dass Werder nun gegen den FCB nur ein Tor zuließ, ist es immerhin nicht wieder viel schlechter geworden.
Die Bremer stehen nun bei 28 Punkten und einer Tordifferenz von minus 30. Die direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt, Fortuna Düsseldorf (16./Tordifferenz: minus 28/28 Punkte) und FSV Mainz 05 (15./-24/31), müssen am Mittwoch bei RB Leipzig beziehungsweise Borussia Dortmund gegen jeweils torgefährliche Offensivreihen antreten.
Und weder RB noch der BVB sind schon im Urlaubsmodus: Für beide Topteams geht es noch um die Vizemeisterschaft, das höchste aller Bundesligagefühle in Zeiten der nun schon acht Jahre währenden Bayern-Dominanz. Für Werder heißt es Daumendrücken für Leipzig und Dortmund. Der Tabellen-18. SC Paderborn ist nach einer 0:1-Niederlage am Dienstagabend gegen Union Berlin bereits sicher abgestiegen.
Auf die Elf von Florian Kohfeldt wartet an den verbleibenden beiden Spieltagen noch ein Auswärtsspiel in Mainz und ein Heimspiel gegen Köln. Lösbare Aufgaben, wenn man eine Leistung wie gegen Bayern noch zweimal abrufen kann. "Wir sollten sechs Punkte holen, um eine hohe Wahrscheinlichkeit zu haben, um zumindest die Relegation zu schaffen", analysierte Kohfeldt nach dem Spiel.
Die Rekord-Bayern können indes noch einen über 40 Jahre alten eigenen Bundesligabestwert knacken: 101 geschossene Tore in einer Saison. Dazu fehlen nur noch sieben Treffer.
(as)