Borussia Dortmund hat am Samstag die Meisterschaftsfeier des FC Bayern München nochmal vertagt. Beide Teams gewannen, der BVB am Nachmittag gegen Düsseldorf, die Bayern im Abendspiel gegen Gladbach. Der Abstand zwischen Spitzenreiter München und Verfolger Dortmund beträgt also weiterhin sieben Punkte.
Das Meisterschaftsrennen ist drei Spieltage vorm Ende der Spielzeit so gut wie entschieden. Theoretisch ist es möglich, dass der BVB die Bayern noch überholt, aber dafür müssten sich die Münchner in den verbleibenden Partien ganz schön dämlich anstellen.
Eigentlich war es ja auch das Saisonziel der Dortmunder Klub-Bosse Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc, am Ende ganz oben zu stehen – und nicht, den achten Rekordmeister-Titel in Folge möglichst lange zu vertagen und wieder nur Vizemeister zu werden so wie in der vergangenen Saison, als die Mannschaft von Trainer Lucien Favre einen zwischenzeitlichen Neun-Punkte-Vorsprung auf die Bayern verspielte.
Doch höchstwahrscheinlich müssen die Dortmunder Verantwortlichen und Spieler am späten Dienstagabend Glückwünsche nach München schicken, auch wenn's schwerfällt.
Für den großen Traum, die Meisterserie der Bayern endlich mal wieder zu durchbrechen, hatte der BVB vor der Saison groß in den Kader investiert und dafür viele Vorschusslorbeeren bekommen.
Im Sommer jubelten viele Experten und Fans die Dortmunder Mannschaft hoch, nachdem die Borussia mit Julian Brandt, Nico Schulz, Mats Hummels und Thorgan Hazard vier Stars aus dem Hut zauberte. Dazu wurden im Winter mit Erling Haaland fürs Sturmzentrum und Emre Can für die Defensive noch zwei weitere Spieler nachverpflichtet. Mit all diesen Spielern kann der BVB den Bayern gefährlich werden, so lautete die herrschende Meinung.
Keine Frage, das sind alles sehr gute Fußballer, die auch internationales Format mitbringen. Auf dem Papier ist Borussia Dortmund ein Top-Team. Aber bis auf Hummels und Can sind die Spieler alle noch sehr unerfahren, auch was das Spielen um und das Gewinnen von Titeln angeht.
Profis wie Achraf Hakimi, 21, und Jadon Sancho, 20, zwei von Dortmunds wichtigsten Spielern, müssen in jungen Jahren schon viel Last auf den Schultern tragen, obwohl sie immer noch Leistungseinbrüche haben und manchmal Nerven zeigen – was in ihrem Alter völlig normal ist. Julian Brandt, 24, taucht in wichtigen Spielen oft unter, Titeldruck kennt er von seiner vorherigen Station Bayer Leverkusen nicht. Vorne ist Dortmund vom 19-jährigen Haaland abhängig (elf Tore in zwölf Spielen).
BVB-Routinier Lukasz Piszczek brachte das im "Kicker"-Interview am Montag auf den Punkt, bemängelte damit auch indirekt fehlende Erfahrung im Kader. Der 35-jährige Pole, der am Wochenende sein 250. Spiel für Dortmund absolvierte, ist seit 2010 im Verein. Seit Marco Reus verletzt ist, ist er Kapitän.
Früher habe es mit Sebastian Kehl einen Leitwolf in der Kabine gegeben, dessen Wort "Gesetz" gewesen sei, heute müsse man "einen anderen Weg finden". Piszczek, der eher als ruhiger Führungsspieler gilt, kritisierte in dem Gespräch mit dem Fachmagazin, dass die jungen Spieler schnell eingeschnappt seien: Sie "sind schnell sauer, wenn man ihnen mit Kritik kommt".
Er stellte dabei aber ausdrücklich nicht Sancho heraus, wie man vielleicht meinen könnte. Der Engländer war zuletzt oft wegen Disziplinlosigkeiten in den Nachrichten. Durchaus möglich aber, dass Piszczek ihn damit gemeint hat. "Es gilt allgemein für die jüngere Generation", sagte er.
Neben der mangelnden Erfahrung sind es also offenbar fehlende Druckresistenz und auch fehlende Disziplin, die die vielen jungen Dortmunder Spieler vermissen lassen. Eine titelerprobte, zuverlässige Achse aus erfahrenen Spielern wie sie der FC Bayern mit Neuer, Boateng, Alaba, Thiago, Martínez, Müller und Lewandowski hat, geht dem BVB derzeit ab.
Die Dortmunder Routiniers Axel Witsel, Mats Hummels und der oft verletzte Marco Reus, alle 31, sowie Piszczek können das, was den Talenten noch fehlt, auf dem Platz nicht alleine abfedern. Mit Marcel Schmelzer hat BVB-Trainer Lucien Favre zwar noch einen weiteren erfahrenen Akteur im Kader, doch der 32-Jährige spielt keine Rolle mehr. Ebenso wie Weltmeister Mario Götze.
Der Schweizer Trainer wird oft als Sündenbock hingestellt, wenn es darum geht, dass es beim BVB sportlich nur für die Vizemeisterschaft reicht und auch in Pokal und Champions League, so wie in dieser Saison, nicht viel zu holen war. Doch an Favre liegt es jedenfalls nicht allein.
Er hat bei Borussia Dortmund seit seinem Amsantritt im Sommer 2018 einen Punkteschnitt von 2,08 pro Spiel. So gut war er in seiner Trainerkarriere noch nie. Das ist sogar ein besserer Schnitt als der von Jürgen Klopp, mit dem Dortmund zuletzt 2012 die Meisterschaft in der Bundesliga gelang. Der jetzige Liverpool-Teammanager holte mit dem BVB 1,9 Punkte pro Partie.
Viele Experten sprechen Favre dennoch ab, der richtige Trainer für den BVB zu sein. Die Skepsis ist vor allem bei vielen Dortmunder Fans groß, dass der besonnene Monsieur Favre, der distanzierte Gentleman, von seinem Wesen her nicht zur mitreißenden Borussia passe. Viele wünschen sich eine emotionale Klopp-Kopie an der Seitenlinie – oder gleich Klopp zurück.
Doch das ist nicht so einfach. Die Alternativen sind rar, vor allem gibt es keinen Trainer mit eingebauter Titelgarantie auf dem Markt. Ob es Ex-Bayern-Trainer Niko Kovac oder Amsterdam-Coach Erik ten Hag, die zuletzt beim BVB gehandelt wurden, besser machen würden als Favre, ist fraglich. Und wenn der nächste Trainer nach Favre, Bosz, Stöger und Tuchel nicht sticht, dann müssten sich auch Watzke und Zorc unangenehme Fragen zu ihrer Vorgehensweise in Sachen Cheftrainer gefallen lassen.
Borussia Dortmund muss sich als Mannschaft entwickeln. Sollte es den BVB-Bossen gelingen, das aktuelle Team zusammenzuhalten und im kommenden Transferfenster noch zwei, drei erfahrene Spieler dazuzuholen, dann sollte auch Favre die Chance bekommen, in seinem dritten BVB-Jahr einen Titel zu holen. Neben vielen titelhungrigen Spielern braucht man dafür aber auch viele titelerprobte Spieler, das zeigt das Beispiel FC Bayern München.
Übrigens: Jürgen Klopp ist mit Borussia Dortmund auch erst im dritten Jahr als Trainer Meister geworden. Und er hat eine talentierte Mannschaft, damals unter anderem mit jungen Profis wie Hummels und Piszczek, Stück für Stück weiterentwickelt.
(as)