Niklas Stolze kämpft gegen Jungwirth – und gegen die Dämonen seiner Kindheit
Der Name "Greenmask" leuchtet auf, das Ziffernblatt zeigt 14.03 Uhr. Niklas Stolze erscheint im Hochkantformat, schwarze Kappe, langer Bart – drei Minuten später als vereinbart.
Der Grund für seine Verspätung ist etwas ungewöhnlich: ein Erdbeben der Stärke 5,2 auf Zypern. "Mein Carport ist mir gerade zusammengekracht", sagt Stolze und klingt dabei erstaunlich gelassen.
Seit gut einem Jahr lebt und trainiert Stolze auf der Mittelmeerinsel. Mit Frau, Kind und Hunden hat er sich dort ein neues Leben aufgebaut – fern von seiner Heimat Schönebeck, wo ihn das Leben zum Kämpfer formte.
watson: Dein Kampf gegen Christian Jungwirth am 22. November gilt in der Szene als Höhepunkt des Jahres. Verspürst du schon Angst?
Niklas Stolze: Ich freue mich einfach nur noch – Angst vor dem Kampf habe ich keine. Früher, als junger Bengel, war das anders. Da habe ich alles todernst genommen. Heute bin ich 32, da weiß man, dass es keinen Sinn hat, sich verrückt zu machen. Angst habe ich höchstens vor dem, was man nicht vorhersehen kann. Aber das schiebe ich beiseite. Ich lebe im Hier und Jetzt – und da ist gerade alles gut: Dem Baby geht’s prima, alles läuft.
Wie hat dich das Vatersein im Käfig verändert?
Seit ich Vater bin, spüre ich eine neue Motivation. Wenn der Coach ruft: 'Komm, letzte Runde, denk an den Kleinen!' – dann pusht mich das enorm. Da ist jetzt jemand, den ich stolz machen will.
Du bist ohne Vater aufgewachsen. Wie prägt das deine eigene Rolle als Vater?
Ich versuche, der bestmögliche Papa für meinen Sohn zu sein. Wenn er aber mit 18 Jahren sagt: 'Ciao, ich verpiss’ mich jetzt' – dann ist das okay. Ich finde nicht, dass Kinder ihren Eltern etwas schuldig sind. Genauso umgekehrt. Mein Vater war 19, als ich geboren wurde, und saß im Gefängnis, als ich klein war. Er ist mir nichts schuldig. Wenn ich daran denke, wie ich selbst mit 19 drauf war – hätte man mir damals den kleinen Mann vorgesetzt, ich wäre wahrscheinlich Crash out gegangen. Jetzt bin ich 32, mein Leben steht auf einem stabilen Fundament. Jetzt kann ich mich kümmern und ein guter Vater sein.
Ohne Vater groß werden – wie bist du damit umgegangen?
Ich konnte lange nicht darüber reden. Selbst im letzten Jahr war’s noch schwer. Jedes Mal, wenn ich über meinen Vater gesprochen habe, kamen mir fast die Tränen.
Was hat dir geholfen, dich damit auseinanderzusetzen?
Eigentlich hat alles auf Zypern angefangen, als ich ausgewandert bin, um mich neu zu sortieren. Dort habe ich Julian kennengelernt, der mich mit Breathwork vertraut gemacht hat – das war der Startschuss für meine Traumabewältigung. Mit ihm habe ich eine Atemreise gemacht, die wie eine Therapie war. Drei Stunden lang haben wir geatmet, meditiert. Dabei ging es viel um meinen Vater.
Würdest du sagen, du bist ein spiritueller Typ?
Spiritualität beschäftigt mich schon seit Jahren. Es fing mit einer Doku über Pyramiden an. Ich dachte mir: Wenn mir Breathwork hilft, mein Trauma zu verarbeiten – warum sollte es mir nicht auch im Sport helfen? Also sind wir in verschiedene Fantasiewelten eingetaucht, waren zum Beispiel auf einem Wikingerschiff auf hoher See und haben uns regelrecht hineingeatmet. Bis heute kann ich sagen: Das war eines der intensivsten Erlebnisse meines Lebens.
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Christian Jungwirth hat angekündigt, dich zu töten. Wie viel Show steckt im MMA – und wie viel ist echt?
Manche Promoter hätten gern mehr Trash-Talk, aber das ist nicht mein Stil. Ich hab' nichts gegen Christian und fange nicht an, ihn sinnlos zu beleidigen. Wir hauen uns sowieso ins Gesicht – da muss man vorher nicht noch künstlich Feuer zünden. Und ganz ehrlich: Mich mit zwei Handschuhen töten? Das wird schwierig (lacht).
Heißt: Die Art der Inszenierung taugt dir eigentlich nicht?
Ich bin einer von der alten Schule: Lieber sechs Wochen die Klappe halten und den Gegner in der ersten Runde K.o. hauen – und erst danach erzählen, was passiert ist. Klar, ich verstehe den Business-Aspekt, MMA ist am Ende ein Produkt, das verkauft werden soll. Aber dieses ganze Gerede vor dem Kampf, das ist einfach nicht meins.
Andrew Tate, Donald Trump und Joe Rogan zählen zu den größten Fans der Sportart. Warum zieht MMA gerade solche Männer an?
MMA ist ein stark männlich geprägter Sport. Er steht für Härte und Intensität und zieht naturgemäß Menschen an, die sich mit diesen Eigenschaften identifizieren. Dazu gehören auch Typen wie Andrew Tate oder Donald Trump, die ein sehr traditionelles Männlichkeitsbild verkörpern. Menschen wie sie werden immer Teil der MMA-Welt sein. Daran kann man nichts ändern.
Weil man nicht ändern kann, wofür der Sport steht?
MMA ist kompromisslos. Der Sport lässt keine Schwäche zu. Das zeichnet ihn aus. Schon mit 15 geht es zur Sache – am Ende überleben nur die richtig harten Jungs. Und viele von ihnen kommen heute aus Dagestan, wo Härte Teil der Kultur ist. Kämpfer aus dem Ostblock prägen die MMA zunehmend, Deutsche dagegen werden seltener.
Warum gibt es hierzulande immer weniger Kämpfer auf Topniveau?
Deutsche Kämpfer sind weicher geworden. Ich merke das selbst im Kindertraining: Viele sagen zu mir, sie wollen Twitcher oder Youtuber werden. Die Kids haben heute ganz andere Vorbilder als wir früher.
Wie hat dein Werdegang dich zum Kampfsport geführt?
Eigentlich war ich nie der Typ, der fürs Kämpfen prädestiniert war. Ich war Leichtathlet und Fußballer. Aber mein Umfeld, der Ort, wo ich aufgewachsen bin, hat mich zum Kämpfer geformt. Schönebeck war keine Hochburg der Kriminalität, aber schon rau. Als junger Typ musstest du dich oft behaupten – da flogen auch mal die Fäuste.
Dann hast du MMA für dich entdeckt.
Durch MMA habe ich es geschafft, dem zu entkommen. Ich war plötzlich nicht mehr im Nachtleben unterwegs, sondern zweimal am Tag im Gym, habe gesund gegessen, am Wochenende geschlafen, um montags wieder trainieren zu können. Der Sport hat mich davon abgehalten, Blödsinn zu machen.
Wo wärst du heute ohne den Kampfsport?
Hätte mich Sascha [Poppendieck, Anm. d. Red.] damals nicht im Club angesprochen und gesagt, ich solle zum Training kommen – und hätte mich der Sport nicht so gepackt –, dann wäre ich ganz sicher in der Rocker-Szene gelandet. Oder bei den Hooligans.
Würdest du sagen, Kampfsport hat dich zu einem besseren Menschen gemacht?
Zu 100 Prozent. Für mich hat er mein Leben zum Besseren verändert. Kämpfen ist etwas sehr Emotionales, sehr Persönliches. Du gehst tief in dich hinein, kämpfst mit deinen eigenen Dämonen und stellst dich deinen Ängsten. Auch meine Freundin sagt mir, ich sei eine viel bessere Version von mir, als noch vor sieben Jahren.
In Südafrika machst du eine Ausbildung zum Ranger. Was verbindet Ranger-Sein und Kämpfen?
Der Beruf des Rangers interessiert mich, weil es dem, was ich ohnehin mache, sehr ähnlich ist. Ranger setzen sich jeden Tag einer enormen Gefahr aus, um Tiere zu schützen. Wenn du also auf eine Gruppe von sechs Männern mit Gewehr, Motorsäge und Hackbeil triffst, die ein Nashorn töten wollen – und du sie davon abhalten musst –, dann steckt da verdammt viel Nervenkitzel und Adrenalin drin.
Als ausgebildeter Ranger wärst du bestens für die Wildnis gerüstet. Könntest du dir vorstellen, bei 7 vs. Wild mitzumachen?
Mein guter Freund Fritz Meinecke ist leider nicht mehr Teil des Formats, deshalb ist eine Teilnahme für mich eher ausgeschlossen. Aber Fritz arbeitet schon an neuen Projekten und wir sind im Gespräch. Ich denke, man wird mich in Zukunft auch in einem Outdoor-Format auf Youtube sehen.
