MMA mit Herz: Ein Tag mit Europas Nummer eins, Niko Samsonidse
Um 7 Uhr morgens – viel zu früh für einen Studenten – steige ich halb verschlafen am Hermannplatz aus der U-Bahn. Hier, mitten im Berliner Bezirk Neukölln, bahne ich mir zwischen taumelnden Bierleichen und Markthändlern, die ihre Stände aufbauen, den Weg Richtung Rathaus.
Mitten in diesem wuseligen Chaos lebt Niko Samsonidse: einer der besten Kampfsportler Europas. Der 30-Jährige ist vor über zehn Jahren aus Merzhausen (ja, ich musste es auch googeln – liegt bei Freiburg) nach Neukölln gezogen.
Empfangen werde ich in einer Altbauwohnung, die er sich mit zwei Freunden teilt. Viel Zeit zum Ankommen bleibt aber nicht: Rucksack ab, Laufschuhe schnüren. Die erste Einheit des Tages steht an.
Auf die Frage, wie viel und wie schnell wir laufen, antwortet er: "Eine Runde übers Tempelhofer Feld, lockeres 4:30er-Pace." Locker klingt daran für mich absolut gar nichts, aber als stolzer Sportstudent nicke ich nur.
Wir starten im Kiez, Niko läuft im altrosa "One Love"-Shirt los. Die ersten Kilometer kann ich noch mithalten. Wir reden über Alltägliches, und ich bilde mir ein, in einen Rhythmus zu kommen.
Doch ab Kilometer vier wird's ernst: Ich pumpe, rede immer weniger und fühle mich, als säße ich in einem Ruderboot, das verzweifelt gegen die Strömung kämpft.
Niko hat längst gemerkt, dass ich hier gleich die Titanic mache. Rücksichtsvoll drosselt er das Tempo, und wir laufen jetzt in meiner Geschwindigkeit. Damit wir es aber rechtzeitig zu seinem Arzttermin schaffen, müssen wir für das letzte Stück aufs Leihbike umsteigen – sorry, Niko!
Zurück in der WG geht alles ratzfatz: Duschen, brasilianischer Coffee to go aus der Siebträgermaschine, rein ins Mietauto.
Über den Berliner Ring fahren wir nach Alt-Tegel, und während die Gebäudefassaden an uns vorbeiziehen, landen wir schnell bei politischen Themen – Deutschland, Europa und Zukunftsfragen, die weit über den Ring hinausgehen.
Niko Samsonidse: Öffentlichkeit bringt Verantwortung mit sich
Niko spricht ruhig und überlegt, denkt nicht in Schlagzeilen, sondern in Zusammenhängen. Es geht ihm nicht um Angst, sondern um die Frage, was unsere Gesellschaft zusammenhalten kann.
Seit er im Rampenlicht steht, ist dieses Denken für ihn nicht mehr nur Privatsache. Es ist für ihn selbstverständlich geworden, seine Stimme zu nutzen und für seine Werte einzustehen.
Sein Kampfname "One Love" ist dabei mehr als nur ein Spitzname: Er steht für Respekt, Toleranz und das Ideal, Menschen zusammenzubringen – egal, welche Herkunft, Religion oder Geschichte sie mitbringen.
Niko Samsonidse: MMA ist mehr als nur draufhauen
Auch sein Sport ist für Niko ein Ort, an dem Werte wie Respekt und Fairness gelebt werden. Kampfsport, sagt er, sei viel mehr als körperliche Härte: Man lerne Disziplin, Selbstkontrolle und den Umgang mit Emotionen. Gerade Heranwachsende könnten davon profitieren, weil sie trainieren, Grenzen wahrzunehmen, Aggressionen zu kanalisieren und Respekt zu zeigen.
Dass er das so sieht, liegt auch an seinem Weg außerhalb des Käfigs: Er hat in Berlin soziale Arbeit studiert und schon früh mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet – in Feriencamps, Schulprojekten oder Kampfsport-AGs. Erfahrungen, die seinen Blick auf den Sport geprägt haben.
Während er das erzählt, rauschen triste Betonbauten an uns vorbei. Im Auto läuft keine Musik, nur das gleichmäßige Brummen der anderen Fahrzeuge. Niko lehnt entspannt im Sitz.
Niemals würde man darauf kommen, dass dieser Mann schon vor 60.000 Zuschauer:innen in einem Stadion gekämpft hat. Aber vielleicht ist genau das der Punkt: MMA-Kämpfer sind nicht automatisch Testosteron-Protze, die nur draufhauen wollen – bei Niko ist es Haltung, Verantwortung und der Versuch, Werte in die Welt zu tragen.
Nach seinem Arzttermin bleibt noch kurz Zeit, um den Befund abzuwarten. Wir landen in einem kleinen Café, vor uns Avocado-Toast, Rührei und Cappuccino. Er erzählt, dass er seit vier Jahren vegetarisch lebt. Kein radikaler Bruch, sondern ein Prozess, der sich für ihn irgendwann selbstverständlich anfühlte.
Auf dem Rückweg nach Neukölln lehnen wir beide schweigend in der S-Bahn und schauen aus dem Fenster. Es ist ein kurzer Moment der Ruhe, bevor es zurück in den Alltag geht, der auch jenseits des Sports genug zu tun bereithält.
Zurück in der WG wartet logistische Arbeit auf ihn: Merch-Bestellungen müssen raus. Sein Zimmer verwandelt sich in eine Packstation: Auf dem Boden liegen Shirts und Caps seiner Marke "One Love", daneben Versandtaschen, Aufkleber, Edding. Er macht alles selbst – von der Bestellannahme bis zum Gang zur Post.
Seit Ende Juli 2024 spendet er die Hälfte des Gewinns an das Unicef-Kinderhilfswerk, um humanitäre Hilfe für Kinder in Gaza zu unterstützen. Teil dessen, was für ihn "One Love" bedeutet.
Die letzten Shirts sind eingetütet, die Versandtaschen stapeln sich neben der Tür. Niko zieht sich zurück und macht einen kurzen Nap. Ich nutze die Zeit, setze mich ins Zimmer seines Mitbewohners und tippe die ersten Zeilen dieses Texts. Inzwischen fühlt es sich normal an, hier zu sein, wie ein entspannter Nachmittag in einer WG.
Als er wieder auftaucht, gehen wir gemeinsam los zum Rathausplatz und lassen uns in bunte Liegestühle fallen. Vor uns plätschert der Springbrunnen, Tauben stolzieren an seinem Rand, die Nachmittagssonne knallt.
Niko bestellt einen Iced Latte, lehnt sich zurück. Dann postet er eine Instagram-Story: "Urlaub in Neukölln" – halb ironisch. Eigentlich sind solche Uploads bei Social Media nicht so sein Ding, erzählt er, aber mittlerweile gehört es eben auch dazu, wenn man in der Öffentlichkeit steht.
Mit dem letzten Schluck Kaffee machen wir uns auf den Weg nach Wedding. Die Abendeinheit steht an.
Niko ist eine halbe Stunde vor Trainingsbeginn da. Kein großer Auftritt, kein Posing. Er arbeitet mit der Blackroll und dehnt sich. Die anderen lassen ihn in Ruhe. Man merkt: Hier weiß jeder, wer er ist, aber Personenkult gibt es keinen.
Dann geht es los. Ein Dutzend Athleten stehen an der Wand. Kurz überkommt mich das Gefühl, als wäre ich in einen kaukasischen Actionfilm gestolpert: Der Trainer ruft Anweisungen auf Russisch. Seine Schützlinge, die aussehen, als würden sie in ihrer Freizeit stromaufwärts die Wolga schwimmen und Einzelkämpfe mit Braunbären führen, hören brav zu.
Niko steht mittendrin, lacht über einen Spruch, trainiert konzentriert mit seinem Partner. Gibt Tipps, nimmt selbst welche an, ohne jede Spur von Starallüren.
Die Sonne steht schon tief, als wir die Halle verlassen. Für Niko war es ein Trainingstag, wie jeder andere. Für mich der Schlusspunkt eines langen Tages, an dem ich mehr gelernt habe als nur, wie man durchhält, wenn die Lunge brennt.
An der U-Bahn trennen sich unsere Wege. Er fährt weiter zu einem Geburtstagsessen eines Kumpels, ich in Richtung Schreibtisch.
Zurück bleibt das Gefühl: MMA kann mehr sein als Schläge und Siege. Bei Niko wurde daraus eine Haltung, und vielleicht sogar eine Einladung, es ihm gleichzutun.
Auch auf RTL+ gibt es Content über Niko Samsonidse: Die Reportage "Niko Samsonidse – Golden Boy der MMA" steht bereits zum Abruf bereit. Außerdem zeigt RTL+ die nächsten Oktagon-Events 76 und 77 live aus Frankfurt und Bratislava – und mit Oktagon 78 gibt es in Köln eine Free-TV-Premiere bei RTL.