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Fußball-Kolumne

DFB-Team in der Krise: Das größte Problem sitzt auf den Rängen

Veltins-Arena in Gelsenkirchen am 20.Juni 2023, Fussball Länderspiel Deutschland - Kolumbien v.l., Antonio Rüdiger GER, Deutsche Fussball Nationalmannschaft bedankt sich bei den Fans, bedanken, Dank.  ...
Nationalspieler Antonio Rüdiger entschuldigt und bedankt sich bei den Fans nach der 0:2-Niederlage gegen Kolumbien.Bild: imago images / Joaquim Ferreira
Fußball-Kolumne

DFB in der Krise: Das größte Problem sitzt auf den Rängen

In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
21.06.2023, 11:40
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Fans wissen, wie das Spiel läuft: Der DFB hat sich nach dem Scheitern der Nationalmannschaft bei der WM in Katar eine oberflächliche Ursachenforschung geleistet und im Stile der Selbstverliebtheit darauf gesetzt, dass sich die fußballinteressierte Öffentlichkeit durch ein wenig Kosmetik besänftigen lässt.

Eine Taskforce ehemaliger Fußballgrößen, Rudi Völler als neuer Sportdirektor und das Versprechen, die Fans durch Ergebnisse wieder zurück ins Boot holen zu können, sollten die simplen Zutaten auf dem Weg zur Europameisterschaft 2024 in Deutschland sein.

Man hat die Rechnung allerdings ohne die Fans gemacht. Von denen jubelt derzeit niemand, aber viele pfeifen. Das war nach der 0:2-Niederlage gegen Kolumbien am Dienstagabend für niemanden mehr zu überhören. Zu Hause, auf Schalke, in einem der stimmungsvollsten Fußballtempel des Landes. Von Heimvorteil keine Spur. Im Gegenteil. Das Team hat Angst.

EM 2024 wird zum Flop für alle Beteiligten

Die aufgestellten Spieler wollen zuallererst Fehler vermeiden und gingen auch diesmal lieber den vermeintlich sicheren Weg, anstatt mit den Fans im Rücken schwungvoll nach vorn zu spielen. Genau so bringt Kapitän İlkay Gündoğan die Lage auf den Punkt: "Es kommen viele Dinge zusammen, aber wenn man es zusammenfassen will, dann ist es fehlender Mut."

Der Eindruck vieler Experten: Nichts geht mehr, denn auch dieses Mal haben die Fans die Mannschaft ausgepfiffen. Dabei sollten sie nach dem Dafürhalten des neuen Sportdirektors Rudi Völler und der anderen DFB-Bosse doch genau das Gegenteil tun und endlich begreifen, welch großartige Chance die EM im eigenen Land ist.

Das machen sie aber nicht und deshalb wird die EM nicht nur für den DFB und den eifrigen Turnierdirektor Philipp Lahm, sondern auch für die beteiligten Sponsoren und Medienpartner ein Flop werden. Ein Turnier ohne Begeisterung, ohne Leidenschaft und ohne Sommermärchen-Atmosphäre.

Fanforscher Harald Lange.
Fanforscher Harald LangeBild: Uni Würzburg
Über den Autor
Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg. Er leitet den Projektzusammenhang "Fan- und Fußballforschung" und gilt als einer der bekanntesten Sportforscher in Deutschland. Der 55-Jährige schreibt und spricht täglich über Fußball, auch in seinem Seminar "Welchen Fußball wollen wir?"

Die verantwortlichen Sportfunktionäre tauchen ab und lassen sich ebenso wie nach den bitteren Niederlagen in den letzten drei großen internationalen Turnieren seit 2018 Zeit. Das nächste Länderspiel steht ja auch erst im September an und bis dahin wird irgendjemanden aus dem DFB, dem Kreise seiner PR-Berater oder seiner Taskforce schon etwas Versöhnliches einfallen.

Und genau da liegt das Problem: In der Chefetage des DFB fehlt es an Führung und an der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

DFB-Team hat sich meilenweit von Werten des Sports entfernt

Wenn die DFB-Oberen mit Blick auf die EM 2024 auf einen Heimvorteil und allgemeine Fußballeuphorie setzen, dann wäre es ratsam, wenn sie endlich damit beginnen würden, die Fans und deren Interessen für Ernst zu nehmen.

Die sichtbare Mut- und Ideenlosigkeit der DFB-Mannschaft hängt mit dem fehlenden Rückhalt an der Zuschauer- und Fanbasis zusammen. Da wird auch ein neuer Trainer oder eine Erweiterung der von Bernd Neuendorf und Hans Joachim Watzke eingesetzten Taskforce nichts daran verändern. Ohne den Rückhalt und die Liebe der Fans wird das Team auch weiterhin hinter seinen Möglichkeiten bleiben und Angst vor Fehlern haben.

Echte Fans sieht man in der Veltins Arena, wenn der FC Schalke spielt. Auch dann, wenn die Mannschaft verliert und wie in der vergangenen Saison erneut in die zweite Liga absteigen muss.

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Für die Nationalmannschaft gilt eine vollends andere Philosophie: Irgendjemand hat daraus nach dem 13. Juli 2014 mit dem WM-Titel im Rücken ein vermeintliches Hochglanzprodukt kreiert, das sich in Teilen meilenweit von den ehrlichen Werten des Sports entfernt hat. Der Hashtag #Die Mannschaft wurde zwar als Begrifflichkeit vor einem Jahr abgeschafft, aber das dahinter stehende Konzept und arrogante Selbstverständnis prägt nach wie vor das Handeln im Team und bei den DFB-Verantwortlichen.

Erwartungshaltung an das DFB-Team zu übertrieben

Für Kritik, schonungslose Selbstreflexion, waschechte Typen, unbequeme Identifikationsfiguren und Fannähe ist nach wie vor viel zu wenig Platz im Umfeld dieser Mannschaft. Stattdessen gibt es den durchkommerzialisierten Fanklub Nationalmannschaft, Animateure, die für Stimmung sorgen und eine Atmosphäre, die möglicherweise noch den einen oder anderen Sponsor überzeugt, aber bei den Fans keinerlei Identifikation mehr zulassen kann.

Weshalb verändert ihr das nicht endlich? Weshalb setzt ihr immer noch auf Eventfans, obwohl ihr doch ganz genau wisst, dass die nur dann kommen und jubeln, wenn ihr Spiele und Titel gewinnt.

20.06.23 Deutschland - Kolumbien Deutschland, Gelsenkirchen, 20.06.2023, Fussball, FIFA, Freundschaftsspiel, DFB Deutschland - Kolumbien: Fans Plakat Schluss mit Ausreden. *** 20 06 23 Germany Colombi ...
Die DFB-Anhänger fordern Leistung ein.Bild: imago images / Sportfoto Rudel

Deshalb hat die DFB-Führung mit der Idee, die Fans über gute Ergebnisse wieder zur Mannschaft zurückholen zu wollen, ihrem Trainer einen Bärendienst erwiesen. Es lag doch auf der Hand, dass dadurch die Erwartungshaltung unrealistisch hochgeschraubt und inzwischen von Länderspiel zu Länderspiel immer weiter enttäuscht werden wird.

Ich meine: Der DFB sollte endlich damit aufhören, sich vorwiegend am Eventpublikum ausrichten zu wollen und sich stattdessen ehrlich und offen denjenigen zuzuwenden, die als Fans den Fußball von der Kreis- bis in die Bundesliga wahrhaft lieben. Geht dort hin, sprecht mit den Menschen an der Basis und versucht sie nach und nach ernsthaft und auf Augenhöhe wieder zurückzuholen. Ansonsten werden sie auch in einem Jahr während der Vorrunde nichts anderes tun als zu pfeifen.

In unserer letzten Studie, in der wir die Fußballstimmung im Land gemessen hatten, prognostizierten 4,5 Prozent der Befragten, dass das DFB-Team bei der EM ins Finale kommt und 10 Prozent waren der Auffassung, dass Hansis Jungs sogar den Titel holen. Pessimistische Zahlen, die nach dem Spiel von gestern Geschichte sind, denn sie wurden vor der letzten Länderspielphase erhoben. Heute startet unsere zweite Studie und wir fragen: Schafft das DFB-Team im nächsten Jahr die Vorrunde?

Dortmund-Verhandlungen mit Top-Talent Paris Brunner stocken – zu viele Fehltritte?

Youssoufa Moukoko, Julien Duranville und Jamie Bynoe-Gittens sind aktuell im BVB-Profi-Kader wohl die größten Talente. Dortmund ist dafür bekannt, immer wieder Top-Spieler an das Profi-Niveau heranzuführen, sie zu entwickeln und letztlich für viel Geld zu verkaufen.

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