Gewalt, Diskriminierung und Respektlosigkeit begleiten den deutschen Fußball. Der DFB präsentierte Anfang der Woche hierzu erschreckende Zahlen. In der Saison 2022/23 wurden im Amateurbereich mindestens 961 Fußballspiele wegen solcher Delikte abgebrochen. Ronny Zimmermann, der für Gewaltprävention und Fragen der Diskriminierung zuständige Vizepräsident des DFB, sendet deshalb Moralappelle an die Basis: "Wir alle müssen aufmerksamer und wacher werden und negativen Entwicklungen frühzeitig entgegentreten."
Ob er wirklich "alle" meint, darf bezweifelt werden. Mit Blick auf die moralische Integrität in der Chefetage bleibt Ronny Zimmerman nämlich stumm. Trotz direkter Nachfrage kein Wort der Solidarität mit Jennifer Hermoso und kein Hinweis der Einordnung zur peinlichen Haltung von Karl-Heinz Rummenigge, der den Fußballpräsidenten Spaniens in Schutz genommen hatte.
Zimmermann ist kein Einzelfall unter den mächtigen Fußballbossen des Landes: Der DFB ist in seinen Führungspositionen derzeit nicht in der Lage, im Fall "Rubiales" unmissverständlich für die Werte des Fußballs und des Verbandes einzustehen. Der Ethik-Code des Verbandes verkümmert an dieser Stelle zum Papiertiger und die vielbeschworenen Werte des Fußballs scheinen nur noch für die Fußballerinnen und Fußballer an der Basis zu gelten.
Im DFB gibt es viele Mitarbeiter und Ehrenämtler, die sich in Präventionsprojekten und an anderen Stellen für die ideelle Dimension des Fußballs einsetzen. Aber solange im deutschen Fußball beim Moralthema mit zweierlei Maß gemessen wird und sich die mächtigen Männer gegenseitig decken, wird der Verband noch lange seinem Image in Sachen Glaubwürdigkeit hinterherlaufen.
Der ekelhafte Übergriff des Fußballpräsidenten Spaniens und die Sprachlosigkeit des DFB zeigt uns, dass der Fußball in seinen Spitzengremien ein massives Moral- und Strukturproblem hat. Die Loyalität unter einflussreichen Männern ist der Haken, denn außerhalb der gehobenen Funktionärsnetzwerke beziehen nicht nur Fußballerinnen und Fußballer glasklar Position.
Der Fall Rubiales hat weltweite Empörung ausgelöst, selbst Amnesty International und die UNO haben Stellung bezogen und darüber hinaus ist nicht nur in Spanien, sondern in ganz Europa und vielen Teilen der Welt eine beeindruckende Bewegung der Solidarität entstanden.
Bislang waren es vor allem Fußballerinnen, die Haltung gezeigt und unmissverständliche Worte gefunden haben. Beispielsweise die Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft, die eine Stellungnahme veröffentlicht hatten. Offensichtlich nicht im Namen des Deutschen Fußballbundes, denn die Erklärung wurde über die Social-Media-Kanäle einiger Spielerinnen und über das Netzwerk "Fußball kann mehr" verbreitet.
Je länger sich die Spitzen des Verbandes noch wegducken, desto schwieriger wird es werden, das angekratzte Image in Sachen Glaubwürdigkeit noch zu korrigieren. Das Problem liegt ganz tief in den Seilschaften, Traditionen und Moralvorstellungen fußballbezogener Männerbünde.
Solange die DFB-Spitze schweigt, bleibt Raum für Männer wie den Ex-DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, der Mitte der Woche im Gespräch mit der dpa in überaus naiver Art und Weise deutlich machte, wie die Seilschaften im Fußball funktionieren: "Bei Rummenigge muss man sehen: Der sitzt mit Rubiales im UEFA-Exekutivkomitee. Und der Rummenigge ist ein ganz loyaler Mann. Der ist anständig, durch und durch. Aber er mag nicht öffentlich den Eindruck erwecken, jemandem da was reinzudrücken."
Diese Sätze erschrecken in ihrer naiven Kaltschnäuzigkeit. Keine Spur von Perspektivenübernahme und Mitgefühl für die Opfer von Gewalt, Diskriminierung und Respektlosigkeit. Stattdessen Verständnis für die Täter, deren Seilschaften und loyalen Schutzschirme.
Die Lage scheint ausweglos. Wie soll sich die Haltung in der Chefetage des Verbandes ändern? Bekommen die das von allein hin? Brauchen sie Druck von außen? Vielleicht sogar politische Aufsicht? Oder Konkurrenz durch andere Sportarten, Freizeitaktivitäten, Verbände und Initiativen wie der gGmbH "Fußball kann mehr"? Die hatte immerhin in der aktuellen Krise den Nationalspielerinnen eine Plattform gegeben.
Aber vielleicht gelingt es ja dem Präsidenten Bernd Neuendorf doch noch, ein Ausrufezeichen zu setzen. Schließlich ist er ja als Quereinsteiger aus der Politik ins Funktionärsamt gekommen. Möglicherweise lässt es sein Netzwerk ja noch zu Loyalitäten in der gewachsenen Machtstruktur zu übersehen. Aus Sicht der Basis wäre die Zeit reif, denn je länger er noch zögert, desto schwieriger wird es werden, glaubwürdig zu wirken. Und andersherum: Aus der Sicht der mächtigen Netzwerke im Fußball wäre es OK, wenn er weiterhin warten würde.