Mesut Özil hat als Nationalspieler 92-mal für Deutschland gespielt und ist am Samstag durch einen Instagram-Post seines prolligen Fitnesstrainers als Nazi enttarnt worden. Der hatte ein gemeinsames Trainingsfoto veröffentlicht, auf dem nicht nur die peinliche Knopfleisten Jogginghose des Trainers, sondern auch das rechtsradikale Brusttattoo von Özil auffällt.
Kein Hakenkreuz, sondern eine Symbolik der in der Türkei aktiven Grauen Wölfe (eine Fahne mit drei Halbmonden und einem heulenden Wolf). Dabei handelt es sich um eine als rassistisch eingestufte, politische Kraft, die hierzulande Menschen bedroht und vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die Empörung ist groß. Soll man Özil seine Auszeichnungen, wie den Bambi für Integration, aberkennen? Soll der DFB sich offiziell distanzieren? Özil mit einem Einreiseverbot belegen oder gar die WM-Medaille von 2014 zurückfordern? Ich meine: Das ist alles Quatsch. Özil ist nicht mehr als eine sport- und gesellschaftspolitische Schwalbe, die wir getrost vergessen können.
Bislang kannten wir die "Schwalbe" im Fußball als unfaires Täuschungsmanöver, mit dem charakterschwache Spieler Freistöße oder Elfmeter schinden wollen. Das begnadete Fußballtalent Mesut Özil hatte sowas in seiner aktiven Zeit nicht nötig, denn er war als brillanter Techniker seinen Gegenspielern im offensiven Mittelfeld stets einen Schritt voraus.
Das war es dann aber auch, denn ab jetzt können wir ihn getrost eine sportpolitische Schwalbe nennen. Ein junger Mann ohne Haltung, der in gesellschaftspolitischer und ideologischer Hinsicht ausschließlich das macht, was bequem ist und ihm nützt. Wohl wissend, was Fans, Medien und Sponsoren gerade wollen.
Deshalb passte es ins Bild, dass sich der "sportpolitische Schwalbenkönig" unmittelbar vor der WM 2018 vom türkischen Präsidenten Erdoğan in dessen Wahlkampf einspannen ließ. Damals war Özil mit der Kritik durch den DFB und der Öffentlichkeit vollends überfordert, zog den Schwanz ein und suchte zunächst eine naive Nähe zu Erdogan. Gegenüber seinen deutschen Fans konnte und wollte er sich damals nicht erklären.
Es war wesentlich einfacher in die Offensive zu gehen und dem damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel sowie der kritischen Öffentlichkeit Rassismus vorzuwerfen. Statt das gemeinsame Wahlkampffoto mit Erdoğan für seine Fans einzuordnen, formulierte er 2018 anlässlich seines Rücktritts aus dem DFB-Team den populistischen Satz: "In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Immigrant, wenn wir verlieren."
Aussprechen oder diskutieren konnte er solche Sätze nie. Stattdessen wählte er den bequemen Gang in die Gefolgschaft Erdoğans. Der war 2019 Trauzeuge bei Özils Hochzeit und feierte die politische Naivität des Fußballers geradezu ab. Der damalige türkische Justizminister Abdulhamit Gül gratulierte Özil zu dessen Abwendung von der Nationalmannschaft und meinte er habe damit das "schönste Tor gegen den faschistischen Virus geschossen." Mit Blick auf das aufgetauchte rechtsradikale Tattoo auf Özils schmaler Brust: Welche eine handfeste Verarschung. Genauso wie wir es von den Schwalbenkönigen im Fußball kennen.
Auch aus diesem Grund sollten wir dem Thema keine weitere Aktualität gönnen. Es lohnt sich nicht, denn Özil fehlt das, was wir Haltung nennen und von wahrhaften Sportlern erwarten. Für den DFB sollte dieser Spieler keine Zeile des Bedauerns oder Abgrenzens wert sein.
Ich rate allerdings, den Blick in die Zukunft zu richten und darüber nachzudenken, welchen Sinn die nichtssagende Symbolpolitik, die der DFB seit vielen Jahren in gesellschaftspolitischen Fragen an den Tag legt, erfüllen soll. Nur weil jemand einen Migrationshintergrund hat und geniale Pässe schlagen kann, muss er nicht als Modell für gesellschaftliche oder sportliche Werte herhalten. Die begründen sich ganz anders.
Das ist eine Frage von Erziehung, Bildung, Erfahrung und Haltung. Genau darüber sollten wir ins Gespräch kommen. Und über die Frage, ob und wie wir das in der Nachwuchsförderung zum Thema machen. Wollen wir authentische, selbstbewusste, kritische und gesellschaftspolitisch engagierte Spielerinnen und Spieler? Geben wir ihnen auch Zeit und Raum für die Entwicklung solch einer Haltung? Oder bleiben wir dabei, dass es einfacher ist, zu solchen Themen lediglich smarte Videoclips von PR-Agenturen produzieren zu lassen. Ich meine: Wir könnten aus dem Beispiel "Özil" in mehrerlei Hinsicht lernen.