Noch vor dem Anpfiff des Finalspiels zwischen Manchester City und Inter Mailand entwickelte sich der Hashtag #Neumann auf Twitter zum Trend – er galt der ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann. Und auch auf allen anderen Social-Media-Kanälen war die Journalistin und Fußballexpertin ein beliebtes Thema.
Die Tatsache, dass das Finale in der Königsklasse des europäischen Spitzenfußballs erstmals von einer Frau kommentiert wurde, sorgte für reichlich Gesprächsstoff. Möglicherweise sogar für Angst!
Neben vielen anerkennenden und würdigenden Bemerkungen tauchten diesmal auch wieder diffamierende, bisweilen sogar verunglimpfende Kommentare zum Einsatz der Fußballexpertin auf. Die auf Twitter & Co. spontan vorgebrachte Kritik war in ihrem sachlichen Kern zumeist haltlos und wurde deshalb auch im Sinne einer Geschmacksache rübergebracht.
Dabei ersetzt eine harte, emotionale Bewertung das fachliche Argument. Das ZDF meinte anschließende sogar einen "sexistisch unterlegten Shitstorm" erkannt zu haben. Der Sender sah sich veranlasst, die Pionierin im Feld der Live-Kommentierung von Fußballspielen in Schutz nehmen zu müssen.
Claudia Neumann kennt den Fußball – ebenso wie ihre männlichen Kollegen – in- und auswendig. Sie hat Sport und Germanistik studiert und arbeitet seit Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts als Sportjournalistin. Seit 1999 ist sie beim ZDF und dort hat sie es geschafft, in eine der wichtigsten Männerdomänen des deutschen Fußballs einzudringen: Sie ist regelmäßig dabei, wenn es um die Live-Kommentierung von Fußballspielen geht.
2016 war sie während der EM in Frankreich die erste Frau, die ein Spiel der Männer im deutschen Fernsehen kommentierte (am 11. Juni: Wales – Slowakei). Seit diesem Tag spielt bei vielen – zumeist männlichen Fußballexperten und -zuschauern die Angst mit, dass man sich im Ringen um die Deutungshoheit in diesem Sport nun auch noch mit den Frauen auseinandersetzen muss.
Im Grunde ist das peinlich, aber der Fußball ist – historisch gesehen – nach wie vor eine Domäne der Männer. Deshalb schwingt in vielen der diffamierenden und geringschätzigen Kommentare zur Arbeit von Claudia Neumann diese Angst vor dem Verlust von Deutungshoheit mit.
Die ZDF-Kollegin Marie-Julie May fragt am Morgen nach dem Champions-League-Finale in einem Artikel auf dem Online-Portal des ZDF nach den Ursachen für die vielen Beleidigungen. Der Beitrag erscheint treffend unter der Überschrift: "Woher kommt der Hass gegen Frauen im Fußball?". Dort wird herausgestellt, dass es "eigentlich eine Selbstverständlichkeit" sein sollte, dass "Frauen Sportsendungen moderieren, Fußballspieler*innen interviewen und Live-Übertragungen kommentieren."
Der hier eingeforderten Selbstverständlichkeit ist nichts hinzuzufügen. Deshalb ist es wichtig, dass sich Claudia Neumann immer wieder erneut stellt und ihre Spiele so kommentiert, wie sie diese Spiele sieht. Genau deshalb höre ich ihr gern zu.
Sie achtet auf Facetten, die ihr auffallen und ordnet Geschehnisse so ein, wie sie sie begreift. Das, was am Ende dabei herauskommt, entspricht sicherlich nicht immer den Aussagen der Debatten, die am Stammtisch zum Fußball geführt werden. Und das ist gut so. Übrigens: Das war einst auch bei Marcel Reif, Frank Buschmann und anderen prominenten Kommentatoren nicht der Fall. Auch sie haben – wie alle anderen ihrer "guten" Kollegen – ihre Sicht zum Spiel rübergebracht.
Ich meine, wer im Fußballkommentar die Gelegenheit sieht, das Geschehen aus dem Blickwinkel eines Anderen verfolgen zu können, der weiß, dass es genau an dieser Stelle regelmäßig zu Unmut, Missverständnisse und zuweilen sogar Ärger kommen kann. Dass ist das Schicksal aller Kommentatoren und wir haben als erfahrene TV-Fußballzuschauer im Laufe der Jahre herausgefunden und gelernt, dass es ganz ok, vielleicht sogar ausgesprochen gut ist, das Spielgeschehen manchmal anders zu begreifen, als es uns Werner Hansch, Gerd Rubenbauer oder Béla Réthy in ihren Kommentaren nahegelegt hatten.
Es wäre deshalb wünschenswert, dass die Pionierarbeit von Claudia Neumann dazu beitragen mag, dass wir künftig mehr Frauen in den exponierten und wichtigen Rollen des prominenten Fußballgeschehens sehen werden.
Das wird nicht einfach, denn solange die Angst vor dem Verlust von Deutungshoheit in Schmähungen und Verleumdungen übersetzt wird, stehen wir noch ganz am Anfang. Wie dem auch sei: Ich freue mich jedenfalls schon mal auf das nächste Spiel mit Claudia Neumann als Live-Kommentatorin!