Gianni Infantino hat es gemeinsam mit seinen hoch bezahlten Steigbügelhaltern aus dem braven Fifa-Rat geschafft: Sie brauchten ganze zehn Monate nach dem Abpfiff des WM-Endspiels in Katar, um den Weltfußball und seine Fans erneut über den Tisch zu ziehen. Die übernächste WM wird 2034 in Saudi-Arabien stattfinden.
Wahrscheinlich wieder in der Weihnachtszeit, irgendwo in der Wüste, organisiert von den Untertanen eines absoluten Monarchen, in einem Land, in dem Menschenrechte nicht viel wert sind und die Freiheit der Meinung und der Presse im weltweiten Vergleich auf Platz 170 rangiert (von 180 berücksichtigten Nationen).
Wer dagegen ist, muss jetzt aufstehen und protestieren. Abwarten macht keinen Sinn, denn sobald die Würfel gefallen sind und sich die mächtigen Strippenzieher des Weltfußballs gegenseitig auf die Schultern klopfen, ist es zu spät.
Und falls jemand in den Monaten vor dem Beginn des Turniers auf die Idee kommen sollte, einen WM-Boykott zu fordern, dem sei gesagt: zu spät! Da hätte man früher achtsam sein und bei der Vergabe all die in Rede stehenden Probleme kritisch prüfen müssen.
Erinnert ihr euch an die Debatten, die vor einem Jahr im Vorfeld der WM in Katar geführt wurden? Genau dasselbe. Deshalb rate ich: Lernt aus der Geschichte und klärt in diesen Tagen euer Verhältnis zur WM in Saudi-Arabien. Jetzt wird das entschieden, was in zehn Jahren, unmittelbar vor dem Start des Turniers nicht mehr boykottiert werden kann.
Lieber Bernd Neuendorf: Zeigen Sie Haltung und erklären Sie den mehr als sieben Millionen Mitgliedern des DFB und dem gesamten Fußballland, wie Sie als DFB-Präsident und Mitglied des mächtigen Fifa-Rats zu dieser WM stehen, wie Sie sich in den zurückliegenden Monaten in den Abstimmungen hierzu verhalten haben und welches Gewicht Sie in die Waagschale legen.
Was auch immer Sie in den letzten Monaten in dieser Sache unternommen haben und was auch immer sie in den kommenden Tagen und Monaten auf den Weg bringen wollen, ihre Nachfolger müssen genau das in den Jahren und Monaten vor der WM 2034 gegenüber den Fans, der Politik und den Sponsoren des deutschen Fußballs ausbaden.
Offiziell wird über den Ausrichter der WM 2034 erst Ende nächsten Jahres entschieden und die Bewerbung Saudi-Arabiens muss erst im Juli 2024 vorgelegt werden. Formal gesehen wäre also noch Zeit für Protest. Auf der Ebene der Fußballfunktionäre brauchte es dafür aber so richtig viel Mut und vor allem einen glasklaren Wertekompass.
Ohne Rückgrat lohnt sich das Aufstehen in dieser Sache nicht, denn hinter den Kulissen ist alles längst entschieden und jedes kritische Wort in dieser Phase könnte den Posten in den Fifa-Gremien und damit so richtig viel Geld und andere Annehmlichkeiten kosten.
So gesehen passt es ins Bild, dass der DFB auf Anfrage des Sport-Informations-Diensts am Mittwoch mitteilte, dass man gegenüber den Mitgliedern des Verbands und der Öffentlichkeit nichts sagen werde und auch das Vergabeverfahren der Fifa mit keinem Wort bewerten wolle.
Ich meine: Dieses Schweigen und Wegducken ist wirklich schwach! Wer heute stumm bleibt, überlässt den Strippenziehern des internationalen Sports bereitwillig das Feld.
Der internationale Fußball biedert sich regelrecht als williger Dienstleister für die Zwecke des Sportswashing an. Anders als damals bei der WM-Vergabe nach Katar spielt Saudi-Arabien seit vielen Jahren mit offenen Karten. Offiziell spricht man von einem Plan für gesellschaftliche Transformation in diesem Land. Der Kronprinz will das Land verändern und etwas für die nachwachsende Generation tun. Deshalb wird viel Geld in die Hand genommen, um neue Branchen im Land zu fördern.
Neben der Unterhaltungsindustrie und dem Tourismus spielt der internationale Sport eine entscheidende Rolle im neuen Selbstbild von Saudi-Arabien. Im Glanze des Fußballs will man sich durch protzige Investitionen einen Namen machen und ganz vorn in der ersten Reihe des Weltfußballs mitspielen.
Da die Saudis das Spiel auf allerhöchstem Niveau nicht selbst entwickeln können, kaufen sie es einfach. Ich meine, solche Geschäfte widersprechen der Idee des Spiels und schaden dem Fußball.
Dieser zwielichtige Handel wird in den Hinterzimmern der Tagungshotels von Fifa-Kongressen vorbereitet und die Protagonisten solcher Deals treten die Interessen von Fans und Spielern abermals mit Füßen. Der Vergabeprozess lief bislang absolut glatt und niemand steht den Saudis bei ihrer Einkaufstour des Weltfußballs im Weg.
Ich meine, wir brauchen nichts dringender als demokratisch gewählte Vertreter in den hohen Gremien des Sports. Funktionäre, die in der Lage sind, für die Interessen ihrer Mitglieder in den Nationalverbänden die Stimme zu erheben und die sich für die Werte des Sports einsetzen können.